Andre Heller

APA/DPA/BRITTA PEDERSEN

Ö1 Konzert

Der Meister der Aufzählung

Die Musik von André Heller - zum 75. Geburtstag am 22. März

1970 erschien "Nr. 1", Ende 2019 "Spätes Leuchten": André Hellers Diskografie umfasst ein halbes Jahrhundert. Allerdings klafft nach 1985 eine Lücke von 34 Jahren. Der Großteil seiner Platten erschien also in den 1970er und frühen 1980er Jahren.

Der Sound, mag er auch typisch für jene Zeit sein, kann freilich stilistisch kaum eingeordnet werden. Es sind groß arrangierte Lieder, beeinflusst von Jazz, Pop, Klassik und Volksmusik, produziert mit hohem Anspruch auf Klangschönheit. Trotzdem ist hier nie musikalischer Mainstream erzeugt worden. Um es mit einer etwas schmerzhaften Metapher zu sagen: Die Musik geht ins Ohr, aber mit Widerhaken.

Musik mit Widerhaken

Auch Hellers Stimme mag stets sanft und geschmeidig anheben, doch der "Wiener Stachel" (später dann wörtlich besungen auf "Du ungnädige Gnädige", 1983) steht von Beginn an spitz und scharf aus der Musik heraus, nicht nur auf "Heurige und gestrige Lieder"der genialen Duoplatte mit Helmut Qualtinger.

Schon auf "Nr. 1" rätselt Heller über das "unheilige Wunder um dieses Wien" und singt eine einzigartige Litanei: Da werden "ein Spaziergang für Arthur Schnitzler, eine Zigarettendose für Gustav Klimt" oder auch "ein Kartenhaus für meinen Vater" aufgezählt. Auf jener ersten Platte waren auch Coverversionen von Jimmy Webb und Georges Moustaki dabei, gesungen mit originalem Text auf Englisch und Französisch.

Farbenprächtig unverkennbar

Doch bald schon wird Heller, wenn er sich mit Liedern anderer Künstler/innen beschäftigt, neue Texte dazu schreiben: "Bitter und süß", "Wie mei Herzschlag" etc. Egal ob Coverversion oder durchwegs Eigenes: Die Poesie in seinen Liedern ist farbenprächtig, manchmal verschnörkelt, und so unverkennbar, dass sie - längst ebenso legendär gewordene - Parodien nach sich zog. Doch immer wieder schreibt Heller auch klare Reime, die uns sofort in ihren Bann ziehen:

Wie komm ich nur durch die Nacht?
Was hat mich so schlaflos gemacht?
Kommt das vom Rauschen des Bluts
Oder vom Sinken des Muts?
Führt etwas gegen mich Krieg?
Wittert ein Feind seinen Sieg?

Spielt mit 25 mit dem Aufhören

Damit eröffnet Heller die "Narrenlieder" (1985) - und nimmt dann mehr als drei Jahrzehnte lang nichts mehr auf. Übrigens: Schon die dritte Platte spielte mit dem Aufhören: 1972, Heller ist 25, präsentierte er "Das war André Heller" …

Neben österreichischen Wegbegleitern und Orchesterleitern wie Robert Opratko oder Richard Schönherz geben sich internationale Meister-Musiker/innen die Klinke der Studiotür in die Hand, um an dem einen oder anderen Lied mitzuwirken: Gitarrist Baden Powell, Trompeter Freddie Hubbard, Astor Piazzolla oder das Golden Gate Quartet. Besonders bemerkenswert erscheint "Verwunschen". Auf Basis der Lieder dieser Platte hat das Wiener Serapionstheater 1980 eine "szenische Séance" und damit eine seiner schönsten Produktionen gemacht.

Glaubensbekenntnis

2019 kommt dann schließlich die - erwartungsgemäß viel beachtete und viel beschriebene - neue CD "Spätes Leuchten". Auch darauf versammeln sich fantastische Musiker/innen, um ihren Beitrag zu Hellers musikalischer Welt zu leisten, auch darauf singt Heller "fremde" Lieder mit eigenem Text, wie zum Beispiel "Es gibt" (original "Avrai" von Claudio Baglioni). Hier zeigt sich eine der größten Qualitäten von Heller als Autor, die er von Anfang an (auch schon bei "Nr. 1") unnachahmlich beherrschte: die Aufzählung. In "Es gibt" heißt es:

Es gibt den Lärm der Spielcasinos,
doch auch die Mozart-Symphonien. (…)
Es gibt wirklich Gedichte, die man nie vergisst,
und eine fordert: Sag mir endlich, wer du bist.

Das Lied sei durchaus ein Glaubensbekenntnis, hat Heller in einem Interview gesagt.

Nach Sonnenuntergang

Es gibt, es gibt, es gibt, es gibt
dein brennendes Verlangen nach Würde und Geborgenheit,
nach Zärtlichkeit und Frieden.

"Nachts besuchen mich die Dämonen, aber auch die Melodien und Worte", schreibt Heller im Booklet zu "Spätes Leuchten", und daher erscheint es passend, seine Musik an seinem 75. Geburtstag erst nach Sonnenuntergang leuchten zu lassen.

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