Außenansicht der Zentrale des Vorarlberger Wirtschaftsbundes in Feldkirch

APA/STIPLOVSEK DIETMAR

Inseratenkrise der ÖVP Vorarlberg

Die blinden Flecken einer Affäre

In der ÖVP Vorarlberg ist seit Anfang April endgültig Feuer am Dach. Die von #doublecheck ins Rollen gebrachte Inseraten-Affäre hat zu einer Steuerprüfung im ÖVP-Wirtschaftsbund geführt, inklusive Selbstanzeige und – mittlerweile – Geldwäscheverdachts seitens der Finanzbehörde. Es geht um Zahlungen des Wirtschaftsbunds an die Landespartei. Auch der Landeshauptmann rückt jetzt in den Fokus, während die Rolle des Zeitungsmonopolisten Russmedia bisher unterbelichtet geblieben ist.

"Für mich ist Michael Stadler, der Innungsmeister, der Held." Das hat Christoph Hinteregger gesagt, er ist ein Schwergewicht der Vorarlberger Wirtschaftsszene und war viele Jahre lang Manager beim weltweit tätigen Seilbahnbauer Doppelmayr. Hinteregger war auch Funktionär in der Wirtschaftskammer - so wie der Tischlermeister Michael Stadler, den er angesprochen und so gelobt hat. Stadler hat sich nämlich getraut, in der ZIB2 zur Vorarlberger Inseratenaffäre das zu sagen: "Zirka 20 Jahre ist mir in meinem Magen gelegen, dass wir als Innungen Werbung schalten sollten in der Wirtschaftbund-Zeitung. Meine Ansicht war immer die, dass das absolut nichts mit Werbung zu tun hat, sondern dass das reine Parteifinanzierung ist."

Der Tischlermeister löste eine Lawine aus

Drei Tage nach dieser Aussage waren die Spitzen des ÖVP-Wirtschaftsbundes, Hans Peter Metzler und Jürgen Kessler, Geschichte. Sie mussten gehen, weil die Dinge durch eine noch immer laufende Steuerprüfung der Finanz zu nah an den ÖVP-Landesobmann und Landeshauptmann Markus Wallner herangekommen sind.

Es geht um Geldflüsse vom Wirtschaftsbund an die Partei, eingestanden werden von der ÖVP 900.000 Euro seit 2014. Und die sollen aus Inserateneinnahmen mit der Wirtschaftsbund-Zeitung "Vorarlberger Wirtschaft" gespeist worden sein, die - das vermutet die Finanz - nicht ordentlich versteuert worden sein sollen.

Die Cash-cow und die Schutzgeld-Methoden

Der zurückgetretene Wirtschaftsbund-Direktor Kessler hat diese Zeitung zu einer Cash-cow gemacht hat - mit Schutzgeld-Methoden, wie jetzt betroffene Funktionäre wie Michael Stadler auch offen sagen. Bis zu einer Million Inserateneinnahmen im Jahr waren auf diese Weise möglich. Wieviel Geld da zusammengekommen ist und was damit passiert ist, weiß man nicht. Der intermistische Wirtschaftsbund-Chef Karlheinz Rüdisser hat zuletzt angedeutet, dass er sich eine komplette Offenlegung der Wirtschaftsbund-Gebarung vorstellen kann.

900.000 Euro seien geflossen und kein Cent mehr

Dem "Kurier" gegenüber hat das Landeshauptmann-Büro jedenfalls betont, dass es über die 900.000 Euro hinaus keine weiteren Zahlungsflüsse gegeben habe. #doublecheck wollte ÖVP-Chef und Landeshauptmann Wallner dazu kein Interview geben. In einer aktuellen Anfragebeantwortung an die NEOS hält Wallner zudem fest, dass die Zuwendungen des Wirtschaftsbundes als "Beiträge von den der Partei angehörenden Mandataren und Funktionären" verbucht worden seien - dass es also Mandats-Abgaben gewesen seien, auch Parteisteuer genannt. Klingt ein bisschen nach Vernebelung, nachdem die Finanz mittlerweile laut "Standard" auch einem Geldwäsche-Verdacht nachgeht und mit der Staatsanwaltschaft Feldkirch in Kontakt ist.

Für die ÖVP ist das alles katastrophal. Die haben bis zuletzt so getan, als hätten sie mit dem Wirtschaftsbund nichts zu tun. Das sei ein eigenständiger Verein - und es interessiere ihn nicht, was dort abgeht, hat zum Beispiel der ÖVP-Landesgeschäftsführer Dietmar Wetz gegenüber #doublecheck erklärt - noch wenige Tage bevor sein Parteichef Wallner dann die Reißleine für Kessler und Metzler gezogen hat. In den "Vorarlberger Nachrichten" hat Markus Wallner mittlerweile seine Verantwortung zum Teil eingestanden.

Wallner hat "vielleicht ein wenig zu lange zugeschaut"

Auf die Frage, ob er einen Fehler gemacht habe, sagte der Landeshauptmann in den VN: "Möglicherweise den, dass ich ein wenig zu lange zugeschaut habe. Ich bin nicht persönlich für alles mitverantwortlich, was in einer Teilorganisation passiert. Aber wenn Sie mich so fragen, hätte es in den vergangenen Jahren da oder dort rascher einen Eingriff geben müssen." Apropos verantwortlich: Wallner kennt die ÖVP und ihre Finanzen in- und auswendig. Er war Büroleiter seines Vorgängers Herbert Sausgruber, dann Landesgeschäftsführer der ÖVP Vorarlberg und Klubobmann der ÖVP im Landtag, seit 2012 ist er Landesparteiobmann und Landeshauptmann.

Auch die "Vorarlberger Nachrichten" haben zugeschaut

Und Stichwort: lange zugeschaut. Das trifft auch auf Russmedia zu, das ist das Medienhaus von Eugen Russ, der in Vorarlberg eine fast schon legendäre Monopol-Stellung hat und den Medienmarkt dort beherrscht. Daraus leitet sich auch das geflügelte Wort "Russ-Land" für Medien-Vorarlberg ab. Die "Vorarlberger Nachrichten" sind das Flaggschiff und was die schreiben, das gilt im Ländle. Was da im Wirtschaftsbund und in der ÖVP abgelaufen ist, ist von der Opposition und von der Grünen Fraktion in der Wirtschaftskammer eigentlich schon vor zehn Jahren und auch später immer wieder thematisiert worden. Doch die Vorarlberger Zeitung, die das Land dominiert, hat die Causa nicht aufgegriffen. Von ein paar nicht tiefgehenden Artikeln abgesehen, ist die Inseratenaffäre in den "Vorarlberger Nachrichten" einfach nicht vorgekommen.

Mit Informationen bei Russmedia abgeblitzt

Der Tischlermeister Michael Stadler hat es immer wieder versucht, aber erfolglos, wie er berichtet. Er habe auch keine Leserbriefe dazu unterbringen können. "Ich hab den Eindruck gewonnen, dass Großinstitutionen, landesnahe Institutionen und Industriebetriebe über Geschäfte, die man mit Russmedia macht, einfach Medienschutz im Land haben." Nur ein Beispiel für die Verflechtung der großen Namen mit dem Wirtschaftsbund: Jürgen Rauch ist Chef des gleichnamigen Fruchtsaft-Herstellers, ein Vorarlberger Paradeunternehmen. Und Rauch ist auch Finanzreferent des Wirtschaftsbundes. Vor ihm war der damalige Chef der Landes-Hypo, Michael Grahammer, der Finanzreferent.

Das ist eine Funktion, über die Manager Christoph Hinteregger wenig Schmeichelhaftes erzählt hat: "Dann hat der Finanzreferent gesagt: ja, alles gehörig, alles gut. Die Einnahmen passen, die Ausgaben, und wir sind gut dran, hat irgendwer noch eine Frage? Ruhe im Raum. Keiner hat sich getraut zu piepsen. Nächster Tagesordnungspunkt. Und damit haben wir nie gewusst, was wirklich mit den Finanzen des Wirtschaftsbundes los ist.“

Macht im Sinne von "keine negative Berichterstattung"

Zurück zu Russmedia und den VN. Tischlermeister Michael Stadler sagt nicht mehr und nicht weniger, als dass die Monopol-Zeitung die Vorgänge im Wirtschaftsbund durch Nicht-Berichterstattung gedeckt habe. "So ist es ganz definitiv. Ich hab schon in früheren Jahren beobachtet und mich gefragt, was das soll, dass man da ganzseitige Inserate geschaltet hat – auf einer solchen Seite ist etwa nur groß WKÖ draufgestanden. Mein Eindruck war, dass man da nichts anderes tut, als sich Macht zu erkaufen. Macht in dem Sinn, dass man einfach keine negative Berichterstattung hat."

VN-Chefredakteur räumt "zu große Nähe" ein

VN-Chefredakteur Gerold Riedmann hat dazu dieses Statement abgegeben: "VN-Journalistinnen und -Journalisten haben seit 2010 mehrfach Artikel über den Verdacht der Parteienfinanzierung durch Wirtschaftsbund-Inserate veröffentlicht, die Kammer kritischst kommentiert und die Geldflüsse von Landesunternehmen transparent gemacht. Michael Stadler sprach uns gegenüber stets andere Themen an, die zu Artikeln führten - wie der Vorstellung seines Betriebs oder Kritik an der Tischler-Einkaufsgenossenschaft."

In seinem Interview mit Christoph Hinteregger im Format "Vorarlberg live" hat Riedmann leise Selbstkritik anklingen lassen: "Das ist ein Erdbeben - und damit meine ich ja auch, dass wir zu nah sind, wir werden alle damit erschüttert und müssen sicherlich auch unserer eigene Arbeit und Aufarbeitung auch machen. Alle miteinander." Wobei - "alle miteinander" ist relativ. Tatsächlich war dem politischen Erdbeben niemand so nah wie Russmedia. Das Medienhaus hat über Jahre in einer gemeinsamen Firma mit Jürgen Kessler das Anzeigengeschäft für Zeitschriften der Wirtschaftskammer Vorarlberg, der Landeslandwirtschaftskammer und der Vorarlberger Jägerschaft abgewickelt. Auch das wird wohl ein Grund für Beißhemmung gewesen sein.

Werbevermarktung für Russmedia jetzt noch lukrativer

Diese Werbevermarktung ist ein lukratives Geschäft: der Bilanzgewinn der Media Team hat 2020 stolze 164.560 Euro betragen. Allein in der Bilanz der Wirtschaftskammer für 2020 sind Erlöse aus Inseraten von knapp 532.000 Euro verbucht, das war eine Steigerung um 7,5 Prozent gegenüber dem Jahr davor. Und an diesem Kuchen hat eben nicht nur der ÖVP-Mann Kessler mitgenascht, sondern auch Russmedia - jetzt sogar zu 75 Prozent, weil Kessler seine Anteile nach unseren Recherchen im Herbst abgeben hat müssen und Russmedia sie übernommen hat.

Jahrelang gekleckert, jetzt klotzen die VN

Gerold Riedmann hat das angesprochen und dabei bestätigt, wer über die Causa berichtet hat und wer erst ganz spät auf den Zug aufgesprungen ist: "Jürgen Kessler hat diese Anteile, wie wir auch berichtet haben, Ende des Jahres aufgrund medialen Drucks durch Berichterstattung vom Standard, von Ö1 - von uns auch zum Schluss -zurückgelegt." Die Berichterstattung in den VN darüber musste man übrigens suchen - es war ein Einspalter, versteckt im Wirtschaftsteil. Und dass Russmedia weitere 50 Prozent an der Media Team übernommen hat, stand nicht einmal im Titel.

Jetzt wird in den "Vorarlberger Nachrichten" nicht mehr gekleckert, sondern richtig geklotzt. Chefredakteur Riedmann hat sogar ein eigenes Team in der Redaktion eingesetzt, das zum Thema breit recherchiert. Das hat am Ende wohl dazu beigetragen, dass die Vorarlberger ÖVP so rasch die ersten Konsequenzen im Wirtschaftsbund gezogen hat.

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