Menschen vor Riesenbüchern

APA/DPA/HENDRIK SCHMIDT

Kontext

Sachbücher im Mai

Die monatlich erscheinende Sachbuch-Bestenliste der Medienpartner "Die Literarische Welt", Radiosender WDR 5, "Neue Zürcher Zeitung“ sowie Ö1.

Unabhängiges Gremium

Unsere Liste wird von einem unabhängigen Gremium erstellt, dem Fachjournalisten und renommierte Publizisten angehören, darunter Wissenschaftler wie Herfried Münkler und Jochen Hörisch. Das Gremium, das ab Januar noch erweitert werden wird, ermittelt monatlich zehn Bücher auf Basis von Punkten. Jeder Juror, jede Jurorin kann 8, 6, 4 oder 2 Punkte für vier Bücher vergeben.

1. Michael Borgolte

"Die Welten des Mittelalters - Globalgeschichte eines Jahrtausends", C. H. Beck Verlag, 1102 Seiten

2. Catherine Belton

"Putins Netz - Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste", übersetzt von Elisabeth Schmalen und Johanna Wais, Verlag HarperCollins, 704 Seiten

3. Dipesh Chakrabarty

"Das Klima der Geschichte im planetarischen Zeitalter", übersetzt von Christine Pries, Suhrkamp Verlag, 444 Seiten

4. Patrizia Nanz, Charles Taylor, Madeleine Beaubien-Taylor

"Das wird unsere Stadt - Bürger:innen erneuern die Demokratie", übersetzt von Rita Seuss, Edition Körber, 112 Seiten

5. Peter Geimer

"Die Farben der Vergangenheit - Wie Geschichte zu Bildern wird", C.H. Beck Verlag, 304 Seiten

6. Jill Lepore

"Die geheime Geschichte von Wonder Woman", übersetzt von Werner Roller, C.H. Beck Verlag, 549 Seiten

7. Wolfgang Müller-Funk

"Crudelitas - Zwölf Kapitel einer Diskursgeschichte der Grausamkeit", Verlag Matthes & Seitz Berlin, 362 Seiten

8. Philipp Felsch

"Wie Nietzsche aus der Kälte kam. Geschichte einer Rettung", C.H. Beck Verlag, 287 Seiten

9. Deborah Nelson

"Denken ohne Trost - Arbus, Arendt, Didion, McCarthy, Sontag, Weil", Verlag Klaus Wagenbach, (Kleine Kulturwissenschaftliche Bibliothek), 240 Seiten

10. Tobias Haberl

"Der gekränkte Mann - Verteidigung eines Auslaufmodells", Piper Verlag, 256 Seiten

"Kaum ein in den letzten Wochen erschienenes Buch hat das Grauen, das seit dem 25. Februar ausgebrochen ist, in seiner Bedeutung als beschworene 'Zeitenwende' bereits miteinbeziehen können. Aber eine Reihe von Publikationen hat das Grundproblem aufgegriffen, dass zwischen moralischer Welterklärung und faktischer Realität eine unüberbrückbare Kluft liegt. Im Zuge der Gefühlsbestimmung, dass eine Zeit des ewigen Friedens ausgebrochen sei, wurden in den vergangenen Jahren bei Neuausgaben von Shakespeare bis zu Comics politisch unkorrekte Szenen aller Art umgeschrieben oder herausgelöscht. Diese Art retroaktiver Wirklichkeitsgestaltung ließ allein mehr die eigene Wunschwelt gelten.

Der schmale, genau 100 Seiten umfassende Reclam-Band der Berliner Altertumsforscherin Melanie Möller zu Homer ist dagegen aus dem Bewusstsein geschrieben, dass diese Putzwut nicht nur die Literatur um ihre Extremausschläge bringt, sondern auch vermeidet, die Wirklichkeit in einem angemessenen Sinn zu begreifen. Für Schüler ebenso wie für Erwachsene geschrieben, zeigt der Band auf höchst inspirierte Weise den gesamten Homer, mit all seiner literarischen Kraft, seiner philosophischen Weitsicht und seinem erbarmungslosen Blick, dem Leben und der Geschichte ins Auge zu sehen. Eine Tabelle der schrecklichsten Morde krönt diese Darstellung, die das Land der 'ewigen Bestie Mensch' ebenso begreifbar macht wie die Sphäre des Erbarmens. Als Votum für die literarische Transzendenz der Welt ist dieser schmale Band ein eigenes Stück Wirklichkeit, entwickelt am ersten Dichter der historischen Zeit. Er ist, so die Autorin, verfasst als Therapie gegen jene 'neunmalklugen, selbstgerechten' Leser, 'die eine schnörkellose Wohlfühllektüre for everybody ermöglichen wollen'. Ein kleines, großes Buch." (Horst Bredekamp)

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