Ada Rybachuk Mother

ADA RYBACHUK

ARVM im Freiraum Ukraine

Die Düfte der Erde

Wie sollen Kultureinrichtungen auf den Krieg in der Ukraine reagieren, wie können sie geflüchtete Kulturschaffende unterstützen? Das MuseumsQuartier hat auf diese Fragen, die sich derzeit viele Veranstalter und Kunsteinrichtungen stellen, eine ebenso rasche wie wirkungsmächtige Antwort gefunden: der Ausstellungsort frei_raum wurde Anfang April zum "Freiraum Ukraine" erklärt. Derzeit zu sehen ist eine Ausstellung eines Künstlerduos aus Kiew, das die urbane Landschaft der Stadt in der Sowjetzeit geprägt hat. Werke der beiden in den 1930er Jahren geborenen Künstler konnten aus dem unter Beschuss stehenden Kiew nach Wien evakuiert werden.

Ihre gemeinsamen Arbeiten signierten sie mit ihren Initialen ARVM. Ada Rybachuk wurde 1931 geboren, ihr späterer Mann Volodymyr Melnychenko 1932. Als Bub war er Augenzeuge des furchtbaren Massakers von Babyn Jar. Die NS-Wehrmacht ermordete im September 1941 innerhalb von zwei Tagen zwischen 30 und 40.000 jüdische Menschen.

Beim Studium an der Taras Shevchenko Kunstakademie in Kiew lernten sie sich Ende der 1940er Jahre kennen - und sie arbeiteten gute sieben Jahrzehnte eng zusammen, bis zu Ada Rybachuks Tod im Jahr 2010. Volodymyr Melnychenko ist vor kurzem 90 geworden. Das Atelier in Kiew ist heute ein Museum; die Stiftung wird geleitet von Ksenia Kravtsova. Als der russische Angriff auf die Ukraine begann, flüchtete sie mit ihrer Familie in die Westukraine - und den betagten Künstler nahmen sie mit. Drei Wochen verbrachten sie in der Westukraine, dann wollte Volodymyr zurück nach Kiew, erzählt Kravtsova. Mit ihrem Mann brachten sie einige Mappen mit Kunstwerken in Sicherheit - einige auch nach Wien, wo sich die Kuratorin derzeit aufhält.

"Ada hatte diese verrückte Idee, in die Sowjetische Arktis zu fahren", Polina Baitsym

Ada Rybachuk, The Hunter Taiborei. Series The People of the Kara Seacoast, 1959

ADA RYBACHUK

"The Hunter Taiborei", 1959

Folgenreiche Studienreise nach Sibirien

Im Freiraum Ukraine ist nun eine Auswahl der frühen Arbeiten des profilierten Künstlerpaars zu sehen. Sie entstanden Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre im Zuge von ausgedehnten Aufenthalten im äußersten Nordwesten Sibiriens. Dort lebten und arbeiteten die beiden über Jahre mit dem nomadischen Volk der Nenzen - die erste Reise fand 1954 statt, als es galt, das Kunst-Studium außerhalb der Akademie praktisch zu vertiefen. "Ada hatte diese damals verrückte Idee, in die Sowjetische Arktis zu fahren, zur Barentssee", erzählt die Kunsthistorikerin Polina Baitsym, die derzeit in Wien an der Central European University an ihrer Dissertation arbeitet. "Sie hatten keine Ahnung, was sie erwarten würde, aber sie waren nachhaltig beeindruckt. Obwohl das Zeichnen und Malen wirklich hart war - in tiefster Kälte und ohne jeglichen Komfort. Während sie bei ihrer zweiten Reise an ihren Diplomen arbeiteten, wurde nur vier Stunden am Tag geheizt, nämlich wenn die Kinder in der Schule waren. Das waren wirklich existenzielle Erfahrungen."

Die Werke, die nun in der Ausstellung "Die Düfte der Erde" im Freiraum Ukraine im Wiener MuseumsQuartier zu sehen sind, sind allesamt Monotypien, eine aufwändige Drucktechnik, bei der nur ein einziges Exemplar entsteht. Sie zeigen großteils Menschen, mit einem feinen Gespür für mimische Besonderheiten der Porträtierten und einem detailgetreuen Interesse für die traditionelle Kleidung der Nenzen. Mit der Nenzen-Community standen Ada und Volodymyr in enger Verbindung; sie stifteten Werke für ihr Museum in Naryan Mar, sie arbeiteten künstlerisch mit ihren Kindern, und sie erhielten Freundschaften über Jahrzehnte. Auch in ihren späteren Werken finden sich Referenzen an die Kultur der Nenzen.

Sonne der Nenzen im Palast der Pioniere

Nenzen-Symbole wie die Sonne sind in die urbane Landschaft Kiews eingeschrieben, erklärt Polina Baytsim im Hinblick auf die großen öffentlichen Aufträge, die Ada Rybachuk und Volodymyr Melnychenko später ausführen sollten. Dazu gehören die Interieurs des Autobusbahnhofs und des Palastes der Pioniere in den 1960er Jahren. Zwischen 1968 und 1982 arbeiteten sie an der Gestaltung des Parks der Erinnerungen auf einem Hügel in Kiew; dazu gehörte eine gigantische, 140 Meter lange Reliefwand sowie ein Krematorium.

Während die Skulpturenwand kurz vor ihrer Fertigstellung 1982 demoliert wurde, steht das Krematorium heute noch: ein Ensemble aus runden und flammenartigen Baukörpern, das zu den herausragenden Beispielen der sowjetischen Moderne zählt. Anleihen dürften sie an den Spitzjurten der Nenzen genommen haben. Polina Baitsym: "Die beiden haben die Verbindung der Nenzen mit der Umwelt und der Natur bewundert - das war für die urbane Moderne etwas ganz Außergewöhnliches. Außer dem Kreis, der Sonne, war auch die Linie ein wichtiges Element. Weniger als abstraktes Element, sondern eher als der Nenzen-Kultur eingeschriebenes Symbol. Auch bei der Restaurierung des Busbahnhofs letztes Jahr beharrte Volodymyr auf der Bedeutung der Linie. Es war beiden wichtig, in Linien zu denken."

Reflektion der Gefühle

In sechsmonatiger Handarbeit und unter Einsatz von 200 Freiwilligen wurden die Mosaike, die Rybachuk und Melnychenko im Busbahnhof in Kiew geschaffen hatten, 2021 restauriert. Mit Rat und Tat dabei war der fast 90-jährige Künstler. Volodymyr Melnychenko sei offen für Input der freiwilligen Helfer gewesen, erzählt Ksenia Kravtsova, er ermutigte sie, sich selbst einzubringen, denn Kunst sei nichts anderes eine Reflektion der Gefühle. Jetzt seien die Mosaike an den Wänden und Säulen sogar noch mehr Gemeinschaftswerk als zuvor, ergänzt Polina Baitsym.

Diese Ausstellung sei wichtig, meint die Kuratorin und Kunsthistorikerin, gerade jetzt, da der Ukraine von den russischen Angreifern ihre kulturelle Identität in Abrede gestellt wird: "Russland behauptet ja, dass es eine ukrainische Kultur gar nicht gibt - dieses Narrativ wird mit einer Ausstellung wie dieser gebrochen. Wir können darstellen, dass unsere Kulturgeschichte sehr wohl eigenständig ist und gar nicht so abhängig von der russischen Kultur, wie man es sich vorstellt.

Gerade diese beiden Künstler, Ada und Volodymyr, haben Kiew mitgestaltet; ihre Kunstwerke sind Teil der Stadt. Angesichts der massiven Luftangriffe, die keinen Unterschied zwischen den Zielobjekten machen, sind wir sehr besorgt, dass dieses kulturelle Erbe durch den Krieg in Gefahr ist."

Alevtina Kakhidze, Kunstwerk

Diese Zeichnung von der ukrainischen Künstlerin Alevtina Kakhidze wurde als großformatiges Kunstwerk vor dem MuseumsQuartier installiert. Kakhidze sprach im Freiraum Ukraine zur Frage nach der Rolle von Künstlern im Krieg.

KAKHIDZE

Freiraum Ukraine

Bis 6. Juni ist der Freiraum Ukraine, der nach Kriegsbeginn kurzfristig eingerichtet wurde, noch geöffnet. Für ukrainische Filmemacher, Künstlerinnen, Kulturwissenschaftler und Kuratorinnen ist es ein Ort der Begegnung und des Diskurses, aber auch für Veranstaltungen und zum Arbeiten - und für das österreichische Publikum ist es ein in Wien einzigartiger Ort, um zeitgenössische Kultur aus der Ukraine kennenzulernen. Kuratiert wird der Freiraum Ukraine von Hedwig Saxenhuber und Georg Schöllhammer, die - als Kuratoren der Kiew Biennale 2015 - enge Verbindungen zur lokalen Kunstszene pflegen.

Service

Freiraum Ukraine
MQW - Freiraum Ukraine

Gestaltung

  • Anna Soucek