Carl Spitzweg, "Der Hagestolz"

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Eckhart Nickel

"Spitzweg" und die Pop-Literatur

Vor gut zwanzig Jahren gehörte Eckhart Nickel mit Christian Kracht und Benjamin von Stuckrad-Barre zu den Pionieren der deutschen Pop-Literatur, jetzt hat der studierte Kunsthistoriker einen neuen Roman herausgebracht. Der trägt den Titel "Spitzweg", spielt in einer Maturaklasse, und die Hauptfigur ist ein feingeistiger Ästhet, der ein rätselhaftes Verschwinden zu klären hat.

Er wirkt wie aus der Zeit gefallen, der Neue, der kurz vor der Matura in die Klasse kommt. Dieser Carl trägt seine Bücher nämlich mit einem Lederriemen zusammengebunden, statt in einer Tasche, besitzt einen Spazierstock mit Metallknauf und trägt Sockenhalter.

Im Künstlerzimmer

Dazu wohnt er auch noch in einem versteckt gelegenen und holzgetäfelten Zimmerchen, in dem er E.T.A. Hoffmann liest und Chopin hört, natürlich als Vinylschallplatte.

"Es musste für Carl natürlich einen zentralen Rückzugsort geben, wo er all das findet und verwirklicht, was er in der Wirklichkeit nicht bekommt und alles, was ihm fehlt, stellt er sich eklektisch in diesem Kunstversteck zusammen", sagt Eckhart Nickel, über seine Hauptfigur, die der namenlose Ich-Erzähler einmal als "affektloses Fabelwesen" bezeichnet.

Bilder mit doppeltem Boden

Als erklärter Verächter der Gegenwart begegnet Carl seiner Umgebung kalt und distanziert, sein Heil sucht er in der Kunst, nur sie kann dem Dasein Sinn geben. Einer der Künstler, die Carl bewundert, und dessen Gemälde "Der Hagestolz" er in Kopie besitzt, ist der Biedermeiermaler Carl Spitzweg, der dem Roman aus gutem Grund seinen Titel gegeben hat.

Die Schönheit der Sprache im vollsten Umfang auskosten

"Er ist halt, wie ich finde", so Eckhart Nickel, "noch immer ein unausgeloteter Künstler. Gerade in seiner Doppelbödigkeit - wie er dem scheinbar Oberflächlichen mit einer gewissen Volte Tiefe verleiht - fand ich ihn die perfekte Titelfigur."

Buchcover: Mann mit hinter dem Rücken verschränkten Händen

PIPER

Das Vokabular von Thomas Mann

Eckhart Nickel ist ein bekennender Bewunderer von Thomas Mann und umspielt mit der Gewitztheit des gelernten Pop-Literaten, dem die Kunst des Zitats die höchste ist, Manns Sprache. So präsentiert er beiläufig seine Lieblingsbegriffe bei Mann, unschlagbar in diesem Kontext das Wort chaperonieren, das die Begleitung einer jungen Dame zu ihrem Schutze bezeichnet.

"Es geht halt wirklich darum", sagt Eckhart Nickel, "die Schönheit der Sprache im vollsten Umfang auszukosten, und das geht immer, wenn man seinen Wortschatz erweitert."

Im Museumslabyrinth

Zurück zu Dandy Carl und dem Ich-Erzähler. Die haben neben ihrer Verachtung für die Gegenwart noch eine weitere wichtige Gemeinsamkeit und das ist ihr intensives Interesse an der Klassenkollegin Kirsten. Nachdem diese von der Zeichenlehrerin unsensibel abgekanzelt wurde, beschließt das Trio einen Vergeltungsakt, doch dann verschwindet Kirsten plötzlich, was eine spannende Suche nach sich zieht. Schauplatz: Die dunklen Gänge eines geschlossenen Museums. Der Spannungsaufbau: An einer Großmeisterin geschult.

"Kunst-Krimi" bekommt bei Eckhart Nickel eine neue Bedeutung

"Eine meiner ersten Leidenschaften war Agatha Christie", erzählt Eckhart Nickel, "und ich werde nie vergessen, wie ich bei den Familienurlauben an der Nordsee immer die Buchhandlungen nach ihren Büchern abgesucht habe. Am Ende stand in diesen wunderbaren Plastikdrehregalen kein einziger Agatha-Christie-Krimi mehr, weil ich sie alle gekauft und gelesen hatte."

Raus aus dem Albtraum

Das Wort Kunst-Krimi bekommt bei Eckhart Nickel eine neue Bedeutung und das neue Genre mit "Spitzweg" auch gleich ein Hauptwerk. Vorangestellt ist dem Roman übrigens ein schönes Arno-Schmidt-Zitat: "Die Welt der Kunst & Fantasie ist die wahre, the Rest is a nightmare" heißt es da, also raus aus dem Albtraum und hinein in die Welt der Kunst. Einen besseren Reiseleiter als Carl wird man so schnell nicht finden.

Service

Eckhart Nickel, "Spitzweg", Roman, Piper

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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