Eine winterfeste Pyramide in einem der Lobau-Protestcamps am Stadtrand von Wien.

APA/ROLAND SCHLAGER

Hörbilder

Kampf um den Lobautunnel

"Hörbilder Spezial" als Radio-Zweiteiler und Podcastserie - von Ulli Gladik

Schildkröten und Biber in den Sümpfen, das Plätschern des Wassers, Vogelschwärme, Dickicht - und die nahe Stadt: donnernde Güterzüge und Flugzeuge, die wenige Meter über dem Augebiet den Landeplatz Schwechat anfliegen.

Aulandschaft der Wiener Lobau

Kurt Kracher

Die Lobau wird oft als "Urwald der Wiener" bezeichnet. Sie ist wie ein Dschungel, der als grünes Tortenstück in die Millionenstadt ragt, und bildet ein Viertel der Fläche des Nationalparks Donau-Auen.

Seit vielen Jahrzehnten steht diese Flussauenlandschaft im Fokus von Umweltschützer:innen. Bereits in den 1970er Jahren gab es das Vorhaben, Schnellstraßen durch die Lobau zu bauen, um damit den Autobahnring rund um Wien zu schließen. Das Projekt wurde damals aufgrund massiver Proteste abgesagt, taucht Anfang der Nullerjahre aber wieder auf: Ein Teilstück der "Lobau-Autobahn", wie sie im Volksmund heißt, soll jetzt als acht Kilometer langer Tunnel durch das grüne Tortenstück führen. Anfang 2021 scheint es so, als würde im Laufe des Jahres mit dem Bau begonnen werden. Dass dies auf Widerstand stoßen wird, zeichnet sich immer deutlicher ab.

Szenen einer Erregung

Als ich im Juli 2021 erstmals Aufnahmen für das "Hörbilder"-Radiofeature und die Podcast-Serie mache, sind es bereits - laut Veranstalter:innen - 5.000 Menschen, die trommelnd durch die Stadt ziehen. Junge Klima-Aktivist:innen haben sich den schon länger gegen den Lobautunnel kämpfenden Bürgerinitiativen angeschlossen. Am selben Tag verkündet Verkehrs- und Umweltministerin Leonore Gewessler, dass sie die Lobau-Autobahn nochmals evaluieren lassen werde. Trotz dieser Entwicklung errichtet die nun ausgerufene "Lobau bleibt"-Bewegung Ende August ein Protestcamp in einem Park in Wien Donaustadt. Ursprünglich nur für eine Woche geplant, wird es um viele Monate verlängert.

  • Demonstration

    Demonstration in Hirschstetten Protestcamp

    ORF/JOSEPH SCHIMMER

  • Hütte aus Brettern

    Protestcamp in Hirschstetten

    ORF/JOSEPH SCHIMMER

  • Protestcamp in der Wiener Lobau

    Protestcamp, im Hintergrund die bestehende Stadtautobahn A23, die sogenannte Südosttangente

    ORF/JOSEPH SCHIMMER

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Für mich als Dokumentaristin bieten sich fortan unzählige Gelegenheiten, akustisch Szenen einzufangen. Im Protestcamp finden täglich Veranstaltungen statt, kurz darauf wagen die Aktivist:innen auch den Schritt zum zivilen Ungehorsam: Mehrere Baustellen werden besetzt. Denn unweit des Camps sind bereits die Bagger am Werk. Hier entsteht die Stadtstraße, ein Verbindungsstück zwischen der geplanten Lobau-Autobahn und der A23.

Protestcamp

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Befürworter und Gegner begleitet

Ich entschließe mich, die damals 16-jährige Schülerin Clara Pories von "Fridays for Future" zu begleiten, und Jutta Matysek, eine schon seit 20 Jahren gegen den Lobautunnel kämpfende Umweltschützerin. Auch die Befürworter:innen interessieren mich. Ich treffe den Gründer der Bürgerinitiative "Lobautunnel jetzt", Michael Machek. Alle drei werden fortan auf viele Proben gestellt. Es gibt Klagsandrohungen seitens der Stadt Wien, heftige Kritik und Anfeindungen in den sozialen Medien und schließlich einen Brandanschlag sowie polizeiliche Räumungen. Die Bürgerinitiative "Lobautunnel jetzt" steht ebenfalls im Fokus der Kritik: In ihrer Facebook-Gruppe gibt es Hasspostings und Gewaltdrohungen gegen die Aktivist:innen. Im Dezember 2021 verkündet Ministerin Gewessler das Aus des Lobautunnels. Doch der Kampf geht weiter.

Fast ein Jahr habe ich die Pro- und Kontrabewegung beobachtet, bin den Menschen, die ich begleitet habe, nähergekommen, habe ihre Beweggründe, Herausforderungen und Grenzen kennengelernt. Menschen, die bereit sind, neben Beruf und Schule ihre gesamte Zeit dem Klima- und Umweltschutz zu widmen. Und Befürworter:innen, die dieses Straßenprojekt aus vielen Gründen als unumgänglich sehen. Die Gräben scheinen immer tiefer zu werden, auch wenn es manchmal den Versuch einer Annäherung gibt.

Gestaltung

  • Ulli Gladik