Helmut Lachenmann

APA/ROLAND SCHLAGER

Neue Musik auf der Couch

Helmut Lachenmann: "Reigen Seliger Geister"

Bekannterweise macht der Ton die Musik. Bei Lachenmann ist dieser Ausspruch allerdings nur teilweise zutreffend, konzipierte der 1935 geborene Komponist doch in Anlehnung an die von Pierre Schaeffer geprägte "musique concrète", die direkt und konkret mit Klang- und Geräuschmaterial (auch Alltagsgeräuschen) abseits des im klassischen Betrieb etablierten Tones arbeitet, eine Musik, in deren Zentrum man den "körperlich-energetischen Aspekt bei der Klang- beziehungsweise Geräusch-Hervorbringung" findet.

Die Erforschung von Klangerzeugung abseits ausgetretener Pfade ist eine logische Folge der Emanzipation des Klangs: "Die Emanzipation des akustisch vorgestellten Klangs aus seiner vergleichsweise untergeordneten Funktion in der alten Musik gehört zu den Errungenschaften der musikalischen Entwicklung in unserem Jahrhundert. Anstelle der alten, tonal bezogenen, konsonanten und dissonanten Klang-Auffassung ist heute die unmittelbar empirisch-akustische Klang-Erfahrung zwar nicht in den Mittelpunkt, aber doch an den Schlüsselpunkt des musikalischen Erlebnisses gerückt", so der Komponist.

Lachenmanns Forscherdrang hat allerdings wenig mit einem "Klangfarben-Fetischismus" zu tun; sein theoretisches Denken ist gespeist von der kritischen Infragestellung "des alten bürgerlichen Verlangens, sich mit dem Kunstwerk identifizieren zu können, statt sich von ihm verändern zu lassen", wir stoßen auf die Kritik "falscher bildungsbeflissener Aufgeschlossenheit und intellektuellen Behagens", und nicht zuletzt auf die Kritik "eines Geborgenheitsbedürfnisses, das sich widerstandslos im Einklang sieht mit geläufigen Denkgewohnheiten in Bezug auf bestimmbare und mitvollziehbare Ordnungen bloß um der Ordnung willen."

Eine der bekannten Ordnungen des Streichquartetts, die herkömmliche Stimmung, ist schon zu Beginn des Streichquartetts durch eine spezielle Skordatur aufgehoben. Diese Skordatur behält die Quintstimmung der einzelnen Instrumente bei, weicht aber im Laufe der Komposition einer "wilden Scordatur": "Durch je eine beliebig weite Drehung des Handgelenks an allen vier Wirbeln" entsteht eine weder von den Spieler:innen, noch vom Komponisten vorherzusehende Saitenstimmung. Die somit entstehende neue Stimmung soll besonders bunt sein: So sollen "durch bewusst unterschiedlich große Drehbewegungen möglichst unterschiedliche Intervallverhältnisse der einander benachbarten Saiten (und möglichst kein Quintabstand mehr) entstehen."

Großformal betrachtet stellt dieses Werk eine Transformation von luftigen, rauschenden Klängen in eine Pizzicato-Landschaft dar: So "ist das Werk, als poco a poco sich ergänzendes und zugleich transformierendes Kategorienfeld, zunächst bestimmt vom Gestus des 'Flautato'-Spiels, dessen akustische Komponenten ausgeleuchtet werden, während sich der abgesteckte Klangraum allmählich in eine diametral entgegengesetzte Landschaft von unterschiedlichst strukturierten Pizzicato-Feldern verwandelt."

Die Uraufführung dieser "aus der Luft gegriffenen" Töne fand im Jahr 1989 durch das Arditti Quartett statt.

Gestaltung

  • Rainer Elstner

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