ORF/JOSEPH SCHIMMER
Ö1 Funkhaustag
Hilda Jessers Wandmalereien im Wiener Funkhaus
Eine Aulandschaft in Grün- und Blautönen. Wasserflächen, Wiesen, Bäume und Tiere, die sich zum Bild einer freundlichen Natur vereinen. Menschen halten sich darin auf, sie baden, tanzen, picknicken, wandern oder sitzen einfach da und genießen den Frieden dieser idyllischen Umgebung. In der Realität unterbrechen hohe Lisenen aus Holz das Schweifen des Blicks von Wand zu Wand. Oder bilden sie geheime Fensteröffnungen, die die Sicht auf eine paradiesische Welt freigeben?
1. Juli 2022, 00:14
Der Ort, an dem sich diese Aulandschaft befindet, ist das Studio 3 des Funkhauses Wien. Als der aufwendige, vom Ständestaat initiierte Neubau der RAVAG schließlich unter dem Namen Reichssender Wien eröffnet wird, trägt das Studio die Bezeichnung M. S. 1. Es wird zur Arbeitsstätte für Generationen von Musiker:innen, die hier Radiokonzerte spielen, proben und sich zwischendurch Augenblicke der Kontemplation erlauben.
Hilda Jesser über die dekorative Lösung im Saal
Lösungen für die dekorative Malerei im Musiksaal (Aufsatz von Hilda Jesser von 1940)
Wer ist Hilda Jesser?
Die Künstlerin hat dem fensterlosen Raum mit der nüchternen, an akustischen Prinzipien ausgerichteten Architektur eine inspirierende Atmosphäre verliehen. An der Stirnseite des Saals, nahe dem Eingang finden wir ihre Signatur: "Hilda Jesser ’39". Die Jahreszahl weckt düstere Assoziationen. Haben wir es etwa mit "Nazikunst" zu tun? Ein erneuter Blick auf die heitere Bildwelt scheint das Schlagwort kaum zu rechtfertigen. Wir wollen wissen: Wer ist Hilda Jesser?
Breites Oeuvre
Wir befragen zunächst das Internet und finden Arbeiten der Künstlerin in Auktionshäusern und Sammlungen: Vasen, Glasobjekte und anderes begehrtes Kunsthandwerk der Zwischenkriegszeit. Eine spätere Ausstellung des MAK, die sich den "Frauen der Wiener Werkstätte“ widmet, listet unter zahlreichen Einträgen auch Hilda Jessers Namen. Wir sind überrascht von der Vielfalt ihrer Arbeit, die Mode- und Gebrauchsgrafik, Entwürfe für Tapeten und Druckstoffe sowie Kleinmöbel samt Bemalung oder Hinterglasmalerei einschließt. Wir erfahren von ihrer umfassenden Ausbildung und Lehrtätigkeit an der Kunstgewerbeschule, der Vorläuferin der Hochschule für angewandte Kunst. Dort wird Hilda Jesser nach 1945 die Meisterklasse für Malerei leiten, fast 20 Jahre lang.
Recherche bei Schüler:innen
Wir sprechen mit ehemaligen Student:innen, die bereitwillig unsere Fragen zu Hilda Jessers Unterricht beantworten. Sie erzählen von einer strengen Lehrerin, die ihren Schüler:innen umfassende handwerkliche Kenntnisse vermittelt, aber keinen Einfluss auf ihre künstlerische Entwicklung zu nehmen versucht.
ORF
Hilda Jesser als Pädagogin
Die Kunsthistorikerin Sabine Plakolm-Forsthuber, sowie die Jesser-Schüler:innen Lucia Kellner und Valentin Oman
ORF/RAINER ELSTNER
Hilda Jesser hat nie über eigene Werke gesprochen. Die Befragten wissen lediglich von großen Aufträgen ab der Nachkriegszeit, etwa Stuckarbeiten in der Wiener Staatsoper und im Burgtheater. Noch vor Ende des Krieges und danach lebt Hilda Jesser zeitweise in Innsbruck, wird mit Restaurierungsarbeiten im Stift Wilten und im Dom betraut und gestaltet Stuckdecken für die Hofburg. Eine weitere Arbeit kommt in Dornbirn zustande.
Ein Leben als Brücke über die Zeiten
Die große Aulandschaft im Studio 3 des Wiener Funkhauses ist eine der wenigen erhaltenen Arbeiten Hilda Jessers auf dem Gebiet der dekorativen Malerei, wenn nicht sogar die einzige. Ihre Entstehung fällt in eine Zeit politischer Umbrüche: Die Künstlerin ist an prestigereichen Architekturprojekten des Ständestaates beteiligt, wird 1938, im Alter von 44 Jahren, von den Nazis in den Ruhestand gezwungen, tritt der Reichskunstkammer bei, nimmt Aufträge im Großdeutschen Reich an. Die Biographie erscheint widersprüchlich. Wir wollen mehr erfahren über eine Künstlerin, die den Charakter prominenter Orte mitgeprägt hat, deren Name aber nur wenigen bekannt ist.
Anne-Katrin Rossberg
Biografischer Abriss von Hilda Jesser
Mehr dazu in
oe1.ORF.at - Diagonal
Gestaltung
Rainer Elstner, Michael Böck