Mechtilde Lichnowsky, 1912

GEMEINFREI

Wiederentdeckt

Mechtilde Lichnowskys Werk

Anfang des 20. Jahrhunderts von Schriftstellerkollegen wie Rilke, Hofmannsthal und Tucholsky hochgeschätzt, später vergessen, jetzt endlich wiederentdeckt: Mit Mechtilde Lichnowsky (1879-1958) wird - schon wieder - eine schreibende Frau rehabilitiert, deren wortgewandte Texte, bissige Beobachtungen und Kommentare damals und heute verblüffen.

Für Eva Menasse begann die Wiederentdeckung mit einem Auftrag: sie möge doch die Einleitung zur aktuellen Werkausgabe (Zsolnay) verfassen, lautete die Anfrage der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. "Ich habe offen zugegeben, dass ich den Namen noch nie gehört hatte, und mir dann 'Kindheit', einen der wenigen noch greifbaren Romane besorgt. Und ich war sofort hingerissen von dieser Sprache, von diesem fragmentarischen Erzählen. Egal welchen Text man aufschlägt, sofort wird der individuelle Zugang dieser Autorin klar."

Hiltrud und Günter Häntzschel hingegen hatten "immer schon" einige Romane der Autorin im Bücherregal, "zum Teil auch in Originalausgabe. Wir haben 'An der Leine', 'Der Stimmer' und 'Kindheit' sehr gern gelesen", erzählt Günter Häntzschel, der die vorliegende Werkausgabe gemeinsam mit seiner Frau herausgebracht und kommentiert hat, darunter auch den bislang unveröffentlichten Roman "Der Gärtner in der Wüste" (1938).

Dass er angesichts des markanten Entstehungsjahres ideologisch fragwürdig sein könnte, ist übrigens ausgeschlossen: "Lichnowsky trat als entschiedene Gegnerin der Nationalsozialisten auf und emigrierte schon Anfang der 30er Jahre nach Südfrankreich", so der Herausgeber.

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HANSER VERLAG

Die schreibende Frau im Männerreich

Die Entschlossenheit, mit der sie auch in ihren Werken gegen Hitler auftrat, legte Mechtilde Christiane Marie Gräfin von und zu Arco-Zinneberg generell im Schreiben wie im Leben an den Tag - Pfeife rauchend, selbstbestimmt und unabhängig behauptete sie sich als Frau von Welt mit scharfen, präzisen Texten, die stets in akribischer Feinabstimmung von Klang, Rhythmus, Farbton und Grad der Bissigkeit entstanden. "Sie war nicht nur Autorin, sondern fotografierte, zeichnete und komponierte auch. Diese Vielseitigkeit ist in allen Texten spürbar", meint Günter Häntzschel über die 1879 geborene Ur-ur-ur-Enkelin von Kaiserin Maria Theresia.

Der literarische Durchbruch gelang der Fürstin und dreifachen Mutter 1913 mit der Reisereportage "Götter, Könige und Tiere in Ägypten". Doch während Alfred Kerr oder Rainer Maria Rilke ihre Bewunderung ausdrückten, ließ Karl Kraus in der "Fackel" kein gutes Haar an der unbekannten Schriftstellerin. Erst ab 1918 - einmal mehr durch Lichnowskys Beharrlichkeit - begann eine tiefe, zum Teil auch erotische Freundschaft der beiden.

Die Liebe zu Karl Kraus

Lichnowsky vertonte Nestroy-Couplets, die Kraus erfolgreich in Wien vortrug, sie adressierte Gedichte an ihn, flocht ihn als Figur in ihre Geschichten ein und behandelte im Roman "Geburt" auch ihr ungestilltes Verlangen von ihm anerkannt zu werden.

Bei aller gemeinsamen Lust an Brillanz und sprachlichem Feinschliff - "trotzdem hat er sie nie richtig ernstgenommen", attestiert Eva Menasse, deren Essay zur Werkausgabe den bezeichnenden (von Lichnowsky geliehenen) Titel "Wenn man schon leider, leider ein Mädchen sein muss …" trägt.

Unbemerkt verschwunden

Mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten begann Lichnowskys Bekanntheit im deutschen Literaturbetrieb zu schwinden. In den 30er Jahren emigrierte die entschiedene Nazi-Gegnerin nach Südfrankreich, 1946 zog sie, zum zweiten Mal verwitwet, zu einer Schwester nach London.

Hatte sie vor dem Zweiten Weltkrieg bei renommierten Verlagen wie S. Fischer oder Rowohlt publiziert, erklärten sich danach nur kleine, unbedeutende Verlage bereit, ihr Werk zu veröffentlichten. Es wurde wieder mit dem Epiteton "harmlose Frauenliteratur" versehen, fand wenig Echo und verschwand aus der öffentlichen Wahrnehmung ebenso wie sein 1958 verstorbene Schöpferin.

Dieser Misere setzt nun die vierbändige Werkausgabe im Zsolnay-Verlag ein glorreiches Ende. Möge die literarische Schatzsuche beginnen.

Service

Mechtilde Lichnowsky, "Werke", ausgewählt und herausgegeben von Günter und Hiltrud Häntzschel, vier Bände, Zsolnay

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