LUCIA ELENA PRUSA
Ö1 Talentebörse
Raphael Reichl, Ortsbezogene Kunst - Shortlist 2022
Ich würde mich prinzipiell als einen optimistischen Mensch bezeichnen, mit viel Willenskraft, mit einem Sinn für Humor und Gutmütigkeit. Mein Temperament wirkt auf andere phlegmatisch und ich erwische mich manchmal selbst beim Abdriften in meine tagträumerischen Fantasien. Man kann mein Herz pochen sehen – vielleicht ist das der Grund, dass ich viele Menschen sehr gerne in mein Herz schließe. Für mich ist das Leben erfüllend, wenn ich ganz nach meiner intrinsischen Motivation lebe und beim Düfteln mich ins Detail verlieben kann. Ansonsten kann ich auch wie ein richtiger Wiener gut sudern.
30. Juni 2023, 01:00
Ö1 Talentebörse | 29 08 2022
Geboren: 1994 in Klosterneuburg
Aktuelles Studium: Ortsbezogene Kunst, bei Prof. Paul Petritsch, Universität für angewandte Kunst Wien (abgeschlossen)
Mein größter Erfolg: mein abgeschlossenes Studium; Preisträger des Kunsthallenpreises
Was ist Kunst?
Kunst ist ein Medium zur Kommunikation zwischen Menschen, von Künstler:innen, die mit ihrer Kunst kreativ schaffen, konzeptionieren und reflektieren, und dem Publikum, dass sie inspirieren, zum Denken anregen und auffordern.
Kunst kann der pure Ausdruck eines Menschen sein – geballt in all den Gesten über Intentionen und Intuitionen. Somit ist Kunst in jedem Menschen zu finden, es ist nur eine Frage nach dem Wollen und Können. Wenn Kunst dazu geholfen hat, uns Menschen zu verbinden, dann wird sie immer existenziell bleiben. Wir gehen Spuren nach und wir hinterlassen Spuren – jedoch identifizieren sich die Menschen über ihr kulturelles und kollektives Wissen, über ihre Geschichten, und so kommt es auch zu festgetretenen Fußspuren von Ideologien, die sich je nach Kontext populär, konservativ, innovativ oder revolutionär etablieren. Kunst ist, wenn man pragmatisch über das Einnehmen von Räumen reflektiert, eine politische Praxis, die über Kommunikation und Ästhetik Menschen inhärent inspirieren, beeinflussen und bewegen lässt. Somit steckt heutzutage in der Kunst viel Verantwortung über Moral und Gesellschaft, denn ohne Widerstand und Kritik an sie selbst, hätten wir schon längst ausgelernt. Kunst ist auch etwas Natürliches – wie ein Prozess – die Idee lebt, die Form wächst und die Autorschaft stirbt letztlich
Wie sind Sie zur Kunst gekommen?
Als ich Stift und Papier zum ersten Mal in die Hände bekam – als Kind habe ich es geliebt zu zeichnen. Da wurde meine eigene Welt real. Aber dass ich mich entschied, Kunst zu studieren und sie als meine berufliche Ausbildung ernst zu nehmen, dafür musste ich mich erstmals von meiner österreichischen Identität entwurzeln. Nachdem ich in Nicaragua ein Jahr lang in einem Kulturzentrum gearbeitet habe, fiel mir die Entscheidung dann leichter. Ohne meinen engsten Freunden hätte ich den Mut nicht schöpfen können.
Kommt Kunst von können, müssen oder wollen?
Sie muss von allen drei Verben kommen, um damit auch erfolgreich sein zu können. Aber bei der Frage fällt mir das Zitat von Dante ein, das die Schule Friedl Kubelka (bei der ich ein Jahr unabhängigen Film studierte) als Leitmotiv verwendet: „Wo das Können dem Wollen folgt“. Das Müssen schließt mit dem Kompromiss an, Projekte auch abschließen zu können. Denn irgendwann kommt auch das öffentliche Interesse, wo man dann gewisse Dinge erledigen muss. Dialog, Feedback oder Anerkennung führen zu Entwicklungen, dass man Kunst eben machen will, kann oder muss.
Wo würden Sie am liebsten ausstellen?
Mein Wunsch ist es in Kunsträumen und Museen auszustellen, wo das Interesse und der Austausch an diskursiver Kunst besteht. In Wien interessiert mich die Secession, die Kunsthalle und das Mumok am meisten. Ebenfalls wünsche ich mir Filme in etablierten Filmfestivals zu zeigen, wo das Experimentieren und Ausstellen mit dem Medium gefördert wird. Festivals, wie die Kurzfilmtage Oberhausen oder Dok Kassel, sind jene, die mich begeistern würden. Abgesehen von den etablierten Kunst- und Kultureinrichtungen ist es mir ein Anliegen Kunst auch an dezentralen Orten zu zeigen. Für mich ist das ein wichtiges Ziel durch die Auseinandersetzung eines Ortes einen direkten Dialog unter den Menschen schaffen zu können.
Mit wem würden Sie gerne zusammenarbeiten?
Neuerlich würde bei mir Harun Faroki ganz oben auf der Liste stehen. Auch Elisabeth T. Spira sehe immer noch sehr hoch an, aber da beide schon gestorben sind, werde ich wohl nur mehr ihre Werke weiterhin bewundern. Künstler:innen, die noch leben, finde ich momentan die Arbeit von Jonathas de Andrade sehr inspirierend, aber auch Anna Witt, Katrin Hornek oder Ernst Logar, die in Wien leben. Ursula Biemann finde ich auch großartig und ich könnte natürlich noch einige weitere Künstler:innen aufzählen. Zum Glück gibt es schon einige Freunde und Kolleg:innen, die mich stetig inspirieren und mit denen ich sehr gerne weiterhin zusammenarbeiten möchte.
Wie viel Markt verträgt die Kunst?
Im Sinne der Forschung und Förderung von Kunstprojekten mit der Anstellung von Mitarbeiter:innen verträgt die Kunst sicher viel Markt. Aber ich behaupte, wenn Kunst profitorientiert ist, dann spricht sie tendenziell weniger für die Arbeit/für den Prozess persönlicher Entwicklung sowie für einen kulturellen oder sozial-politischen Diskurs. Wenn Kunst nur nach Angebot und Nachfrage ginge, dann wäre Kunst eher dem „Müssen“ unterfangen, als dem „Wollen“ und „Können“ – und das wäre nicht sehr förderlich für die persönliche Neugierde, authentisch Kunst zu schaffen. Aber es geht nicht nur darum, dass Kunst sich ausschließlich frei am Markt bewegt, denn die Schaffenden müssen auch von Etwas leben können.
Und wie viel Kunst verträgt der Markt?
Prinzipiell denke ich nicht an Geld, wenn ich an meiner Kunst arbeite. In einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung muss der Markt Kunst vertragen, sonst wäre sie in unserer Gesellschaft schon sehr fremdartig und schwierig einzuordnen, ohne ihr einen Wert zuzuschreiben zu können. Aber es ist schon mal sehr positiv, dass in der Kunst emotionale oder auch didaktische Werte vermittelt werden können. Diese positive Energie kann dann durch Geld ersetzt werden, beispielsweise durch Eintrittsgelder, die wiederum dem Markt zu Gute kommen. Die Kunst ist für mich ein skurriles Marktmodell, das zum einen das liberale Wirtschaftssystem hinterfragen lässt und zum anderen es mitgeprägt hat
Wofür würden Sie Ihr letztes Geld ausgeben?
Ich nehme einmal an für meine Beerdigung. Aber falls ich ohne Geld noch weiterleben sollte, dann zum Reisen und für gutes Essen … und dann irgendwo leben, wo ich kein Geld mehr brauche, wo ich wahrscheinlich weniger Erwartung von meinem Leben hätte. Das klingt eigentlich sehr schön, aber auch beängstigend.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Ich sehe mich irgendwo zwischen Wien und Mexiko Stadt. Ich habe dann bereits eine Familie gegründet und wünsche mir eine Tochter. Mein Traum wäre es bis dahin keinen Nebenjob mehr haben zu müssen und vollkommen in Film- und Kunstprojekten involviert zu sein. Ich hoffe, ich habe noch Haare am Kopf.
Haben Sie einen Plan B?
Nein, ich habe nicht wirklich einen. Ich finde Plan A schon so aufregend, dass ich an einen Plan B noch gar nicht gedacht habe. Ich bin prinzipiell kein Mensch, der einen Plan B parat hält. Jedoch brauche ich im Alltag oft Plan B, um mit Umwegen dann wieder auf Kurs A zu gelangen oder zumindest in der Richtung zu bleiben. Aber wenn es mit der Kunst nicht klappen sollte, wäre ich wahrscheinlich als Sozialarbeiter tätig, z.B. im Kindergarten.
Wann und wo sind Sie das letztes Mal unangenehm aufgefallen?
Das würde ich selber gerne wissen, da ich manchmal impulsiv oder cholerisch sein kann. Somit gibt es hier und da Momente, in denen ich einen Stuss zusammenrede oder mich exzessiv im Raum tanzend bewege, so dass manche vielleicht irritiert sind, oder eben sich darüber amüsieren. Ansonsten muss ich an meine verschiedensten Projekt-Reisen denken, wo es für mich immer unangenehm war, als privilegierter Europäer, sich in Konfliktzonen aufzuhalten. Aber da spreche ich nur von meiner Seite aus. Neben meiner Reise nach Guatemala-Stadt, wo Drogenbanden in Zonen herrschen und ich teilweise mit weichen Knien durch Gassen entlang ging, war auch einer meiner schockierenden Erfahrungen das Flüchtlingscamp Moria auf der griechischen Insel Lesbos.
Wollen Sie die Welt verändern?
Mir macht es Spaß, über die Welt und über das Leben nachzudenken. Das ist diese Neugierde, warum ich mich in der Kunstwelt so wohlfühle. Irgendwann als ich meinen Schulabschluss noch machte, dachte ich noch an diese Worte: die Welt verändern zu können. Mittlerweile halte ich es für schwachsinnig, die Welt alleine verändern zu wollen. Wenn ich mir Biografien von Widerstandskämpfer:innen anschaue, dann ist das für mich pure Gänsehaut, sich in diese Charaktere einzufühlen. Nina Simone ist so eine Ikone. Allerdings sehe ich mich durch meinen privilegierten Kontext nicht in der Position, aber ich möchte durch Empathie und mit meiner diskursiven Kunst zumindest etwas dazu beitragen. Komme was wolle.