Gruppenbild des ORF RSO Wien mit Chefdirigentin Marin Alsop

THERESA WEY

Das Ö1 Konzert

RSO Wien erstmals bei den Proms

Zum ersten Mal ist das ORF Radio-Symphonieorchester (RSO Wien) zu Gast bei den BBC Proms. Die sommerliche Konzertreihe, die alljährlich in der Royal Albert Hall in London stattfindet, zählt zu den bedeutendsten Festivals klassischer Musik weltweit. Dieses Jahr wurde die Konzertreihe auf Grund des Todes der Queen vorzeitig abgebrochen.

Die US-Amerikanerin Marin Alsop, Chefdirigentin des RSO Wien, war 2013 die erste Frau, die in London die Last Night of the Proms dirigierte - eine Konzertreihe, die sie sehr schätzt. Es sei das vermutlich zugänglichste Festival klassischer Musik weltweit, so die Dirigentin. Erstmals stattgefunden haben die Proms 1895.

Tatsächlich sind die Tickets oftmals sehr günstig, viele der Konzerte werden im Fernsehen übertragen und die Proms ziehen auch viele junge Menschen an. Von den rund 5.000 Plätzen des Konzertsaals sind 1.000 Stehplätze, für die die Sitze extra entfernt werden. Alle seien dort, um Spaß zu haben, "es herrscht ausgelassene Partystimmung, es ist großartig", erinnert sich Marin Alsop.

Bandbreite mit Bela Bartok

Unter ihrer Leitung war nun auch das ORF Radio-Symphonieorchester erstmals bei den Proms vertreten. Am 13. August trat das RSO in der Royal Albert Hall auf, für die Dirigentin eine Gelegenheit, das Orchester einem neuen Publikum vorzustellen. Das RSO sei ein sehr vielseitiges und flexibles Orchester, es habe vielleicht die größte Bandbreite an Repertoire unter den Orchestern, die sie dirigiert, meint Alsop.

Das Programm, das sie zusammengestellt hatte, sollte dieses Können hervorheben. Den Anfang macht die Konzertsuite aus Bela Bartoks Ballett "Der wunderbare Mandarin". Ein wie Alsop sagt "hemmungsloses Stück" mit zahlreichen Soli. Das Orchester würde es "einfach fantastisch" spielen.

Der wunderbare Mandarin

Es ist eine dystopische Stadt, die Béla Bartók am Beginn des Wunderbaren Mandarin entstehen lässt: laut, gehetzt, düster, verstörend. Bis sich der leise Ruf einer Klarinette durchsetzt - ein Mädchen wird in einer Wohnung von drei Zuhältern festgehalten und dazu gezwungen, Freier anzulocken, damit diese dann von den Zuhältern überfallen und ausgeraubt werden können. Die ersten beiden Male schlagen die Versuche des Mädchens fehl; beide Freier sind mittellos. Aber nachdem ihr Locken immer drängender und flehender wird, erscheint plötzlich ein seltsamer Mandarin, musikalisch mit dissonanten Akkorden und einer kleinen Terz als Leitintervall dargestellt. Er stürzt sich voller Begierde auf das panische Mädchen; ein Tanz aus rohen Rhythmen und wilden Drehbewegungen beginnt. Die Zuhälter nutzen diesen Moment und wollen den Mandarin töten, aber es gelingt ihnen nicht - der Mandarin ist weder durch Ersticken oder Erstechen noch durch Aufhängen umzubringen. Erst, als ihn das Mädchen vom Strick in ihre Arme nimmt, beginnen seine Wunden zu bluten, und er stirbt.

Bartóks symbolträchtige Tanzpantomime löste bei ihrer Uraufführung 1926 in der Kölner Oper einen Theaterskandal aus - ähnlich wie Strawinskys Le sacre de printemps wenige Jahre zuvor in Paris. Ein Großteil des Publikums war mit der entfesselten Gewalt in Darstellung und Musik überfordert und verließ schon während der Vorstellung teilweise unter Buhrufen den Theatersaal; das Stück wurde auf Anweisung des Kölner Bürgermeisters - damals niemand Geringerer als Konrad Adenauer - sofort abgesetzt. Auch die Folgeaufführung in Prag war von wenig Erfolg gekrönt, weswegen sich Bartók 1928 zu einer Umarbeitung des Stückes entschloss: Aus der Tanzpantomime wurde die vorliegende Konzertsuite. Sie enthält etwa zwei Drittel der Musik der Pantomime, endet allerdings ohne die Schlussapotheose des Balletts. Die Zuhörenden bleiben also ohne Auflösung, der Mandarin und das Mädchen ohne Erlösung zurück.

Prokofjews 3. Konzert für Klavier und Orchester in C-Dur

Als nicht ganz so revolutionär, aber dennoch richtungsweisend wird Prokofjews drittes Klavierkonzert eingeordnet. Im Einklang mit den Komponist:innen seiner Zeit wagt sich Prokofjew in seinen Werken über die Grenzen der Tonalität hinaus, verlässt dieses Terrain aber niemals vollständig. So auch bei seinem bis heute beliebtesten, und mit Abstand am häufigsten eingespielten Klavierkonzert. Kraftvolle Musik, frei von artistischem Beiwerk, drängend und sich hinwegsetzend über die Konventionen von vorgegebener Dynamik und starren Tempi: Mit seinen Klavierwerken und seinem Klavierspiel trifft Prokofjew genau den Geschmack seiner Zeit und prägt damit die nachfolgenden Generationen von Pianist:innen. Zusammen mit dem RSO trat der junge britische Pianist Benjamin Grosvenor auf.

Musikalischer Hitzeschlag aus Österreich

Eine britische Erstaufführung hatet das Orchester für sein Proms-Debüt ebenfalls im Gepäck - "Heliosis" der jungen österreichischen Komponistin Hannah Eisendle. "Heliosis" bedeutet Hitzeschlag oder Sonnenstich und dieser Eindruck von flirrender und drückender Hitze hat die Komponistin beim Schreiben angeleitet.

Das Werk war eine Auftragskomposition des RSO, die Uraufführung fand im März in Wien statt. Für Hannah Eisendle war es eine erfüllende Aufgabe, genau für dieses Orchester zu schreiben, das, so die Komponistin, von sich aus das Interesse habe, zeitgenössische Musik aufzuführen und das sich auch außerhalb des Standard-Repertoires bewegt. Es sei toll, diese Motivation zu spüren.

Österreich als Gewürz

Zum Abschluss stand dann noch die Symphonie Nr. 7 von Antonin Dvorak auf dem Programm. Dass die musikalische Auswahl möglicherweise von der Erwartungshaltung mancher an ein österreichisches Orchester abweicht, sieht Marin Alsop locker. Sie und das Orchester haben versucht Österreich "ein bisschen wie ein Gewürz zu sehen", das sie zum Konzert hinzufügten.

Durch Hannah Eisendles Komposition sei gewissermaßen das Österreich von morgen vertreten. Und mittels geplanter Zugaben - Polkas, die etwas mehr "typisch Österreichisch" seien, würde man diese Erwartung erfüllen. Das britische Publikum abseits der Royal Albert Hall konnte das mittels Übertragungen der BBC erleben. Auf Ö1 ist es am 20. September soweit.

Text: Julia Sahlender und Anna Jagenbrein

Service

RSO Wien
BBC Proms