Ausschnitt des Buchumschlages

SUHRKAMP VERLAG

Romandebüt

"Die Wunder" von Elena Medel

Jetzt schon gilt Elena Medels Debüt "Die Wunder" als eine der wichtigsten Entdeckungen unter den zahlreichen Spanien-Romanen im Vorfeld des Gastlandauftritts bei der Frankfurter Buchmesse. Susanne Lange hat ihn nun gewohnt souverän ins Deutsche übersetzt.

1968 lässt die jugendliche Maria ihre uneheliche Tochter Carmen in Cordoba zurück und geht als Kindermädchen nach Madrid; ob auf der Flucht vor der Perspektivlosigkeit, der Schande oder der Begegnung mit der Familie des verheirateten Kindsvaters, bleibt offen.

Mehr als 30 Jahre später wird Carmen abermals verlassen: von ihrer Tochter Alicia, die nach dem Suizid des Vaters fluchtartig aus Cordoba nach Madrid zieht. Und obwohl Carmen damit Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist, bleibt sie absichtlich eine stumme Randfigur, erklärt Elena Medel: "In Marias Geschichte ist Carmen ein Opfer, in der von Alicia eine Übeltäterin. Das hat mich sehr interessiert. Denn auch im Leben ist alles grau und nicht schwarz oder weiß, aber wenn es uns persönlich betrifft, sehen wir immer nur das Gute oder nur das Schlechte. So wie die beiden Romanfiguren."

"Ich wollte die Geschichte des Landes durch die Leben dieser Frauen erzählen", Elena Medel

Gesellschaftsroman aus der Randposition

"Die Wunder" reicht aber weit über solche schmerzhaften familiären Verstrickungen hinaus, die sich überdies erst spät als solche zu erkennen geben. Vielmehr ist das Buch ein Abriss der spanischen Politik- und Sozialgeschichte seit den späten 60er Jahren, geschildert abwechselnd aus den Perspektiven von Großmutter und Enkelin. Die beiden sind sich nie begegnet, und doch ähneln sich ihre Wünsche und Sorgen, Kämpfe und Resignationen.

Als "großer feministischer Gesellschaftsroman" wurde Medels Debüt in Spanien gefeiert, in zahlreiche Sprachen wurde es schon übersetzt. Die Autorin selbst wollte kein feministisches Buch schreiben, sondern lediglich ein Gleichgewicht herstellen, wie sie sagt: "Historische Romane handeln meistens von berühmten Männern, deren Entscheidungen sich auf tausende anonyme Menschen auswirken, die sie dann ausbaden müssen.

Marias Leben ist bestimmt vom Tod des Diktators, von den ersten Wahlen und anderen historischen Ereignissen. Alicias hingegen von einer Wirtschaftskrise, die seit den 90ern bis in die Gegenwart andauert. So wollte ich die Geschichte des Landes durch die Leben dieser Frauen erzählen."

Verschwiegenheitsprinzip als Motor der Geschichte

Die 1985 geborene Spanierin, die selbst von Cordoba nach Madrid zog wie ihre Protagonistinnen, hat vor 20 Jahren ihren ersten Gedichtband herausgebracht. 2004 gründete sie den Lyrikverlag "La Bella Varsovia", seither agiert sie vor allem als Editorin und wurde mehrfach ausgezeichnet. "Die Wunder" ist ihre erste Prosaveröffentlichung - mit deutlichen Spuren der lyrischen Vergangenheit:

"Von der Poesie habe ich den exakten Umgang mit Wörtern gelernt, aber auch, auf Dinge zu verzichten und vieles offen zu lassen", erklärt Medel. "Ein Gedicht kann je nach persönlicher Erfahrung ganz unterschiedlich interpretiert werden. Das gilt auch für diesen Roman. Obwohl ich genau weiß, wie es ausgeht, erzähle ich es nicht, sondern das Ende bleibt offen. Das ist eine wertvolle Lektion, die mir die Lyrik erteilt hat."

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Heldinnen ohne Identifikationspotenzial

Diese Offenheit ist eine der vielen großen Stärken des Romans, der sich erst zögerlich aus unterschiedlichen Richtungen und in mehreren Schichten zusammenfügt. So unnahbar, ja fast unsympathisch die Protagonistinnen, so eindrucksvoll ist die komplexe Sprache, in die Medel sie kleidet und die Susanne Lange mit großer Sorgfalt und Kreativität ins Deutsche überträgt.

Dass man zwischen kunstvollen Satzkonstruktionen und zahllosen historischen Querverweisen immer wieder den Faden verliert, innehalten und ein paar Zeilen zurückgehen muss, tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch, sondern macht es im Gegenteil nur noch intensiver und eindrucksvoller.

Service

Elena Medel, "Die Wunder", Roman, aus dem Spanischen von Susanne Lange, Suhrkamp. Originaltitel: "Las maravillas"
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