Kyiv Symphony Orchestra

ELZA ZHEREBCHUK

Interview

Zuflucht und Hilfe für ukrainische Orchestermusiker:innen

Anna Stavychenko ist Geschäftsführerin des Kyiv Symphony Orchestra. Die Musikmanagerin erzählt, wie sie Orchestermusiker:innen und Musiker aus dem Kriegsgebiet herausholen konnte und sie skizziert die Situation der klassischen Musik in der Ukraine. Ö1 hat mir ihr gesprochen.

Ö1: Können Musiker:innen in der Ukraine derzeit auftreten und Konzerte geben?

Anna Stavychenko: Einige ukrainische Musiker:innen können noch immer in der Ukraine auftreten, unsere Opernhäuser sind geöffnet und auch in der Nationalen Philharmonie in Kiev können einige Konzerte stattfinden. Die Musiker:innen, die für solche Institutionen arbeiten, haben einen Job. Aber einige Orchester sind nicht mehr in der Lage, Gehälter zu zahlen.

Mit ihrem italienischen Chefdirigenten Luigi Gaggero hat sich das Kyiv Symphony Orchestra in den letzten Jahren internationaler ausgerichtet. Wie ist die heutige Situation des Orchesters?

Das gesamte Symphonieorchester wurde im April aus der Ukraine evakuiert. Dennoch entschieden sich einige unserer Mitglieder in der Ukraine zu bleiben, zu kämpfen oder Freiwilligenarbeit zu leisten. Das war jeweils eine persönliche Entscheidung. Wir mussten daher einige Musiker:innen aus anderen Orchestern einbeziehen, um genügend Musiker:innen zu haben. So kam das Symphonieorchester im April zuerst nach Polen. Wir bekamen Hilfe vom polnischen Kulturministerium und dem Nationalen Institut für Musik und Tanz und der Nationalen Philharmonie in Warschau. Wir haben für zwei Wochen einen Proberaum bekommen, damit wir unsere Tournee vorbereiten konnten - da die Musiker:innen in der Ukraine natürlich nicht in der Lage waren zu spielen, zu proben oder gar zu Hause zu üben.

In Warschau war es also das erste Mal seit Kriegsbeginn, dass das Symphonieorchester wieder geprobt hat. Es war ein sehr bewegender Moment, das Orchester wieder zusammen zu sehen, ihnen beim Musizieren zuzuhören. Nach zwei Konzerten in Polen ging das Orchester auf Deutschlandtournee. Wir hatten sieben Konzerte in sieben Tagen, unter anderem in der Elbphilharmonie und der Berliner Philharmonie. Nach einem kurzen Aufenthalt in Bayern können wir nun ein Jahr hier in Gera in der Nähe von Leipzig bleiben.

Müssen Musiker in der ukrainischen Armee kämpfen?

Wenn unsere Männer den Einberufungsbefehl bekommen, sollten sie dem Folge leisten. Aber es ist nicht so, dass jeder Mann in der Ukraine einberufen wird. Dennoch müssen Männer, einschließlich der Musiker, in der Ukraine bleiben - falls sie gebraucht werden. Im Fall des Kiewer Symphonieorchesters haben wir eine Sondergenehmigung vom Kultur- und Verteidigungsministerium erhalten, die es uns erlaubte, auch Musiker auf unsere Tournee mitzunehmen.

Wegen der Sicherheitslage in der Ukraine können und wollen nicht alle ihr Leben riskieren. Das müssen alles sehr schwierige Entscheidungen sein …

Viele mussten die Ukraine verlassen, um ihre Kinder zu schützen, ihre Familien zu retten. Und für diese Musiker:innen versuchen wir gemeinsam mit der Philharmonie de Paris Orchesterjobs zu finden - befristete Verträge in den nationalen französischen Orchestern.

Auch ich musste mein Land verlassen. Als ich gerade in Polen war, wollte ich auch kulturell etwas für mein Land tun. Also beschloss ich, die ukrainische Musik noch mehr zu fördern, als ich und meine Kollegen es zuvor getan haben. Also begannen wir, ukrainische Partituren zu sammeln und zu systematisieren, um sie verschiedenen Institutionen in der Welt anzubieten. Und dann beschloss ich, einige dieser Institutionen direkt zu kontaktieren und ihnen zu erklären, dass wir diese Partituren haben und sie sie verwenden können. Und eine dieser Institutionen war die Philharmonie de Paris. Sie antworteten mir sehr schnell und sagten: Ja, das ist eine großartige Idee. Wir würden gerne ukrainische Musik spielen, aber wir würden auch gerne etwas mehr für Ihr Orchester tun. Und so begann dieses Projekt.

Wie sieht diese Kooperation im Detail aus?

Also wir haben gemeinsam die Idee entwickelt, ukrainische Musiker und Musikerinnen nach Frankreich zu bringen, damit sie ihre berufliche Karriere fortsetzen können. Natürlich ist es gerade jetzt für jeden Ukrainer, jede Ukrainerin das Wichtigste, zu überleben. Aber es ist auch wichtig, sein Leben halbwegs weiterzuführen. Wenn ich mir unsere Musiker:innen in Frankreich oder in Deutschland ansehe, erkenne ich, wie extrem wichtig es gerade jetzt für uns alle geworden ist, immer noch aufzutreten und Musik zu machen. Nicht zuletzt um zu erklären, wer wir sind, wie reich unsere Kultur ist, und sie aller Welt zu zeigen.

Jetzt haben wir also Musiker:innen im Orchestre de Paris, im Orchestre d'Ile-de-France, in Lyon, in Lille, in Toulouse, in Metz ... Wir hoffen sehr, dass sich auch andere europäische Orchester bei diesem Projekt mitmachen. Daher möchte ich die Gelegenheit nutzen, auch österreichische Orchester aufzurufen, sich diesem Projekt anzuschließen; den ukrainischen Kollegen zu helfen, temporäre Verträge zu bekommen. Wir haben in der Ukraine wirklich brillante Musiker:innen. Daher ist es eine Win-Win-Situation: Sie helfen jemandem, diese tragische Zeit zu überleben, aber gleichzeitig können Sie phantastische neue Kollegen:innen gewinnen.

Service

Kyiv Symphony Orchestra

Gestaltung

  • Rainer Elstner