Eine Luftaufnahme des Brucknerhauses

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Visionen

Anton Bruckner und die Moderne

Seit 2018 greift das Programm des Brucknerfestes jeweils einen Aspekt aus dem Wirken seines Namensgebers auf. Ging es in den ersten Jahren des Direktoriums Dietmar Kerschbaum um Bruckners Umfeld, um die Einflüsse, die ihn prägten, so richtete das vorjährige Brucknerfest bereits den Blick auf jene Generation, die Bruckner noch als Lehrer erlebte.

2022 weitet sich nun der Blick bis weit hinein ins 20. Jahrhundert. Heinrich Kaminski, Jean Sibelius, Arnold Schönberg, Richard Wetz, Franz Schmidt, Paul Hindemith, Krzysztof Penderecki, Arvo Pärt und Alfred Schnittke sind nur einige der Komponist:innen, die sich entweder unmittelbar in musikalischen Zitaten auf Bruckner beziehen oder deren Auseinandersetzung mit dem formalen Aufbau Bruckner’scher Werke, seinen Rhythmen und Klangfarben sich in ihren eigenen Werken spiegelt.

Richtungsweisend steht Bruckners unvollendete Symphonie Nr. 9 d-Moll am Beginn des Brucknerfestes, das offiziell am 11. September eröffnet wird, nachdem zuvor schon am 4. September in Ansfelden des 198. Geburtstags Anton Bruckners gedacht worden sein wird.

Bruckners Neunte zum Auftakt

Verstörend neu wirkte Bruckners letztes Werk auf die Nachwelt, sodass man die originale Partitur beschönigenden Veränderungen unterzog, bevor man sie 1903 veröffentlichte. Bis in die 1920er Jahre hinein galt Bruckner als Wegbereiter der Zweiten Wiener Schule, findet sich doch am Beginn des dritten Satzes seiner Neunten Symphonie ein chromatisches Thema, das - wenn man so will - einer Zwölftonreihe entspricht, auch wenn der Komponist noch nicht in Arnold Schönbergs Sinn gedacht hat.

In seinem Dritten Streichquartett aus dem Jahr 1927 setzt sich Schönberg mit dem formalen Aufbau von Bruckners Siebter Symphonie auseinander. Das Minetti Quartett stellt dieses Werk am 27. September Streichquartetten von Charles Ives und Fritz Kreisler gegenüber.

Schönbergs Cellokonzert

Auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen ließen sich Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts oft von Musik des Mittelalters, der Renaissance und des Barock inspirieren. So bezieht sich Arnold Schönberg in seinem Cellokonzert auf ein barockes Cembalokonzert. Christoph Heesch und das Bruckner Orchester unter Markus Poschner stellen dieses Werk am 6. Oktober zwischen zwei monumentale Symphonien, in denen Heinrich Kaminski und Franz Schmidt bei ihrem Blick in die Zukunft Rückschau auf Gregorianik und Bruckner halten.

Schmidt war allerdings erst 13, als er die letzten Vorlesungen Bruckners besuchte, gar erst siebenjährig kam George Enescu nach Wien, wo er gemeinsam mit Schmidt in Bruckners Harmonielehre-Stunden saß.

Den Blick schärfend

Das Fauré Quartett und der Klarinettist Matthias Schorn stellen den Symphonien zwei ihrer Kammermusikwerke gegenüber, die dazu einladen, das Bruckner’sche in dieser Musik herauszuhören. Bruckners Einflüsse auf die Moderne bis hin zu Krzysztov Penderecki, dessen Violinkonzert beim Eröffnungskonzert Bruckners Neunter Symphonie vorangestellt ist, sind bislang generell wenig untersucht worden. Das Brucknerfest 2022 schärft den Blick hierfür und stellt die Frage in den Raum, was Bruckner den Komponist:innen von heute zu sagen hat.