Ana Marwan

APA/HARALD SCHNEIDER

Gedanken

Wanderin zwischen den Sprachen

Ana Marwan, Schriftstellerin und Gewinnerin des Bachmann-Preis 2022, mit Gedanken zur Vielsprachigkeit.

„Die Muttersprache ist so natürlich wie ein Gang, die Fremdsprache so schwer und kunstvoll wie ein Tanz“, sagt die aus Slowenien stammende, heute im niederösterreichischen Wolfsthal lebende Schriftstellerin Ana Marwan. Für ihren lakonisch-hintergründigen Text Wechselkröte wurde die Autorin bei den heurigen 46. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet.

In diesem Text lässt Ana Marwan eine junge Frau sprechen, die gerade von ihrer Schwangerschaft erfahren hat und sich in einer Situation zwischen Lebens- und Klimakrise das Aufwachsen des Kindes ausmalt. Thomas Bernhard ist ein wichtiger Referenzpunkt im Schreiben der 42-Jährigen und eine Bernhard‘sche Figur steht auch im Zentrum ihres Debütromans „Der Kreis des Weberknechts“. Ein Misanthrop zieht sich da nämlich aus der Welt zurück, um ein allumfassendes, philosophisches Werk zu schreiben. Dieses 2019 im Salzburger Otto Müller Verlag erschienene Debüt hat Ana Marwan auf Deutsch verfasst, ihren aktuellen Roman „Zabubljena", übersetzt: „Verloren“, jedoch auf Slowenisch. Beide Bücher sollen nun vice versa in die andere Sprache übersetzt werden.

"Wenn ich mich im Alltag problemlos und vollständig ausdrücken könnte, hätte ich wahrscheinlich kein Bedürfnis zu schreiben."

Geboren 1980 in Murska Sobota, studierte Ana Marwan Vergleichende Literaturwissenschaft in Ljubljana und anschließend Romanistik in Wien. Im Alter von 25 Jahren kam sie nach Österreich. Schnell reifte in ihr der Wunsch auf Deutsch zu schreiben, eine Sprache sie bereits in der Schule erlernt hatte. „Ich finde es interessant, dass für mich der unterschiedliche Klang jedes neuen deutschen Wortes so viel einfacher zu erlernen, zu verinnerlichen ist, als das unterschiedliche Geschlecht der Dinge. Grammatikalisch gesehen. Bin ich mir beim bestimmten Artikel eines Substantivs nicht sicher, versuche ich den Begriff durch ein Synonym zu ersetzen. So entstehen manchmal Pausen in meinem Sprachfluss. Wahrscheinlich hätte ich gar kein Bedürfnis zu schreiben, wenn ich mich im Alltag problemlos und vollständig ausdrücken könnte“, gesteht Ana Marwan.

"Jede Sprache birgt Geheimnisse, die geteilt werden sollten."

Ana Marwan

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Ana Marwan

Den Turmbau zu Babel im Hinterkopf habend, kann davon ausgegangen werden, dass Vielsprachigkeit ein Thema ist, dass die Menschheit seit jeher begleitet und auch im Jahr 2022 nichts von seiner Aktualität verloren hat - im Gegenteil. Unzählige Schriftsteller und Autorinnen setzen sich auf unterschiedlichsten Ebenen, mit der Frage nach der Vielsprachigkeit auseinander, ist doch die Auseinandersetzung mit fremden Sprachen und damit vermeintlich fremden Identitäten immer auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Sprache und damit der eigenen Identität, wie das Fremde ein Teil des Eigenen ist, ist das Eigene Teil des Fremden. Zudem birgt das Spiel mit anderen sprachlichen Strukturen ein schier unerschöpfliches Reservoir an Inspiration, erweitert eigene Denk- und Schreibmuster, führt zu neuen kreativen Prozessen.

Ana Marwan wandelt zwischen den Sprachen. Für ihren eben abgeschlossenen Roman „Verpuppt“ - im Februar 2023 erscheinend - hat sie sich wieder für Deutsch entschieden. Ruht die Schreibfeder, weiß sich die Autorin vielseitig zu beschäftigen. Neben ausgedehnten Spaziergängen mit ihrem Hund hat sie vor kurzem angefangen zu spinnen und zu weben. Außerdem lernt sie gerade Akkordeonspielen und sie hat sich im Garten ein kleines Häuschen gebaut. Auf dessen Dach liegt sie abends gerne, um sich dann wie Snoopy zu fühlen, oder anders gesagt: sprachlos glücklich.