Alicja Kwade

ORF/CHRISTINE SCHEUCHER

Orte der Macht

Alicja Kwade an der Place Vendôme

Frederic Chopin starb hier, Coco Chanel residierte hier: Die Pariser Place Vendôme steht für Luxus, Dekadenz und Eleganz. Nicht nur das Ritz, auch die vornehmsten Juweliere der französischen Hauptstadt haben hier Quartier bezogen. Einmal im Jahr wird der ehrwürdige Platz zum Ausstellungsort: Ein Spektakel, das in der Kunstwelt als Ritterschlag gilt. In diesem Jahr wurde der deutsch-polnischen Künstlerin Alicja Kwade die Ehre zuteil, eine Intervention zu gestalten.

Knallig pink strebten die phallisch anmutenden Schlangen in die Höhe, die Franz West 2007 auf der Pariser Place Vendôme installierte, so als wollte der österreichische Ausnahmekünstler der Triumphsäule Konkurrenz machen, die Napoleon Bonaparte höchstpersönlich nach dem Sieg bei Austerlitz errichten ließ - gegossen übrigens aus österreichischen und russischen Kanonen.

Auch der US-amerikanische Aktionskünstler Paul McCarthy kam nicht ganz ohne Imponiergehabe aus und errichtete an der Place Vendôme 2014 eine aufblasbare Skulptur, die empörte Bürger an einen Dildo erinnerte.

Keine Frage der Größe

Ganz anders die deutsch-polnische Künstlerin Alicja Kwade. Sie vermeidet den obligatorischen Größenvergleich, den so mancher Künstler vor ihr gewagt hat. Stattdessen hat die Künstlerin auf der Place Vendôme einen verspielten Kunstparcours geschaffen, der imaginäre Räume öffnet. "Die Place Vendôme ist ein öffentlicher Raum, der sehr besetzt ist: Durch die Geschäfte dort, die Werbung und natürlich durch die Siegessäule Napoleons, die 30 Meter in die Höhe ragt", so Alicja Kwade. "Heute wird der Platz aber von Kapitalismuschaos beherrscht."

Alicja Kwade zählt zu den erfolgreichsten Künstlerinnen ihrer Generation. Sammler:innen auf der ganzen Welt reißen sich um die Arbeiten der 43-Jährigen, Institutionen öffnen ihre Pforten, wenn ihr Name fällt. 2019 bespielte Kwade die Dachterrasse des Metropolitan Museum in New York, 2022 folgte die Einladung der ART Basel, die mittlerweile traditionsreiche Kunstintervention auf der Place Vendôme zu gestalten. Alicja Kwade nähert sich diesem Ort der politischen und militärischen Machtdemonstration im kleinen Maßstab. "Ich wollte nicht mit der Napoleonischen Geste mithalten, sondern ihr etwas entgegensetzen", so Kwade.

Klassizistische Opulenz und Kapitalismuschaos

Treppen, die ins Nichts führen, tonnenschwere Marmorkugeln oder Sphären, die über den Platz verstreut sind, so als habe eine höhere Gewalt mit Murmeln gespielt. Aus der Vogelperspektive blickt Alicja Kwade auf die klassizistische Opulenz der Pariser Hauptstadt. Das glatt polierte Gestein, mit dem die Künstlerin arbeitet, stammt aus unterschiedlichen Regionen der Welt - aus Indien, Finnland oder Portugal - und steht für Spuren der Erdgeschichte. Denn: Der Mensch und seine vergängliche Repräsentationskultur markieren vor dem Hintergrund der großen erdgeschichtlichen Verwerfungen und Faltungen nicht mehr als einen Wimperschlag der Geschichte.

"Die menschliche Lebenszeit ist lächerlich kurz", Alicja Kwade

"Der Mensch ist ein zufälliges Ergebnis in Zeit und Raum", so Kwade. "Die menschliche Lebenszeit ist im Vergleich zu jener eines Baumes oder eines Steins lächerlich kurz. Es ist für mich erstaunlich, wie die Kultur ein Bild prägen konnte, das den Menschen zur Krone der Schöpfung macht."

Die Welt nach dem Anthropozän

Alicja Kwade schafft Installationen von beinahe entrückter Schönheit, deren konzeptionelle Verankerung in naturwissenschaftlichen Diskursen von einer Welt nach dem Anthropozän erzählt. Ob Kwades Botschaft bei den wohlhabenden Käuferinnen ihrer auf Hochglanz polierte Kunst wirklich ankommt, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Auf der Pariser Place Vendome gibt sich die hochpreisige Künstlerin jedenfalls egalitär: Jeder und jede darf hier mit ihren Skulpturen auf Tuchfühlung gehen.

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