ORF-Schild

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Haushaltsabgabe und ORF-Digitalnovelle

Ein großer Deal mit Fragezeichen

Verfassungsrichter zwingen die Regierung die Finanzierung des ORF neu aufzustellen: Eine Haushaltsabgabe soll kommen. Die ÖVP verknüpft das mit Sparmaßen. Der Boulevard macht mit. ORF-Generaldirektor Roland Weißmann liefert ein Sparpaket, das Kulturszene und Sport-Fans auf die Barrikaden treibt. Bekommt der ORF dafür nun endlich auch mehr digitale Rechte? Wir werfen einen Blick hinter die Inszenierung.

Bundeskanzler Karl Nehammer von der ÖVP sitzt nach der Regierungsklausur im Zeit im Bild 2 Interview mit Martin Thür. Die Stimmung ist von der ersten Frage an seltsam aufgeheizt. Der Kanzler nützt die Bühne für einen Angriff gegen den ORF und Martin Thür, etwa indem er sich über Fragen echauffiert und dem Moderator erklärt, was er sich vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk erwarte und Thür solle doch bitte nicht "so sensibel" sein. Sensibel ist auch der Zeitpunkt: Gerade beginnen die Gespräche zwischen Medienministerin Susanne Raab von der ÖVP und ORF-Generaldirektor Roland Weißmann über die Finanzierung. Die Kampfansage hat sie davor via "Kronen-Zeitung" geliefert - "Regierung zwingt ORF zum Sparen" titelt die Anfang Jänner. Auch im #doublecheck-Interview wiederholt Raab mehrfach sie wolle einen "Kassasturz, weil das Geld wächst nicht auf den Bäumen".

Ein Interview wie ein Boxkampf

Das aufgeheizte Kanzlerinterview bringe die Strategie der ÖVP auf den Punkt, sagt Meinungsforscher Peter Hajek, er hält die Kritik am ORF für "eine Inszenierung". Die ÖVP ist im Dilemma: Sie muss auf Druck des Verfassungsgerichtshofs die Finanzierung des ORF neu regeln. Dass die Haushaltsabgabe nicht gut ankommt, zeigt eine Umfrage von Hajeks Unique Research - mehr als 50 Prozent lehnen sie ab. Daher wolle die ÖVP nun zeigen "dass man die größte Medienorgel des Landes im Griff hat", sagt Hajek.

ORF-Bashing auf dem Boulevard

Auch der Boulevard haut sich auf das Thema, ORF-Bashing bringt billige Schlagzeilen. Die Tageszeitung "Österreich" etwa nennt die geplante Haushaltsabgabe wiederholt eine "ORF-Steuer" - und titelt etwa so: "Umfrage: Mehrheit der Bevölkerung gegen ORF-Steuer" oder „Ungerecht!“ - Jugend-Aufstand gegen ORF-Steuer". In der "Krone" ist von "Zwangsgebühren, Zwangsbeglückung durch Gendersprache und Luxuspensionen" die Rede - Zitat: "Auch wenn der ORF jetzt ein Sparprogramm vorgelegt hat, sollte er sich von der trügerischen Sicherheit verabschieden, auf dem sich wandelnden Medienmarkt eine geschützte Werkstätte zu sein."

Roland Weißmann

Roland Weißmann

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Weißmann präsentiert Sparpaket

Indessen präsentiert ORF-Generaldirektor Roland Weißmann dem ORF-Stiftungsrat Eckpunkte seines Sparprogramms - mehr als 300 Millionen Euro bis 2026: Für das Radio Symphonie Orchester RSO fehle die Finanzierung, der Sender Sport plus soll teilweise auf ORF1 wandern und ins Internet, zur Disposition stehen die Streaming-Portale Flimmit und Fidelio. Rund 500 Mitarbeiter, die in wenigen Jahren in Pension gehen, werden wohl großteils nicht nachbesetzt. Im Gegenzug hofft Weißmann auf eine abgesicherte Finanzierung durch die Haushaltsabgabe und mehr Rechte im Internet - etwa, dass TV- und Radiobeiträge länger als sieben Tage im Netz bleiben dürfen, und dass der ORF ein eigenes Online-Programm betreiben kann, das unabhängig vom Rundfunkprogramm ist. Der ORF-Chef spricht von einem Zukunftsszenario, in dem der "ORF digitaler, effizienter und österreichischer wird".

Paarlauf mit Medienministerin Raab

Eine Ansage, die der Medienministerin hörbar gefällt. Susanne Raab diese Woche in einer Nationalratsdebatte zum ORF: "Wenn Sie mich auch als Staatsbürgerin fragen, dann wünsche ich mir einen öffentlich rechtlichen Rundfunk, der natürlich schlanker ist, der österreichischer ist, der auch digitaler ist, um auch die Jugend zu erreichen". Ein Paarlauf, der für Medienjournalistin Barbara Tóth vom der Wochenzeitung "Falter" verdächtig ist. Der ORF lasse sich zu viel von der Politik gefallen, sagt Tóth. Sie erinnert daran, dass Weißmann bei seiner Bestellung Wunschkandidat der ÖVP war und dementsprechend unter Beobachtung stehe: Redaktionelle Eingriffe seien nicht bekannt, das hält sie ihm zugute, aber: "In Zeiten wie diesen müsste ein ORF viel autarker, viel kämpferischer auftreten, das macht Herr Weißmann leider nicht".

Roland Weißmann

Susanne Raab

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Was haben Sparen und Haushaltsabgabe miteinander zu tun?

Auch Medienwissenschafter Matthias Karmasin von der Uni Klagenfurt kritisiert, dass die Spardebatte im Zusammenhang mit der Debatte über die neue Finanzierung überhaupt geführt werde. Denn diese sei ja vom Verfassungsgerichtshof ausgelöst worden, und in einem Rechtsstaat seien Urteile umzusetzen. Als hätte sie die Kritik gehört, hielt Ministerin Raab genau das im Parlament fest: "Das ist keine politische Entscheidung, sondern eine höchstgerichtliche Entscheidung. Und manche politischen Mitbewerber mögen jetzt ignorieren wollen, was Höchstgerichte in Österreich entscheiden, wir tun das nicht. Wir wollen das auch nicht tun. Das ist auch nicht mein Verständnis von Demokratie, denn wir leben in einem Rechtsstaat."

Wo bleibt die Debatte über Ziele und Aufgaben des ORF?

Dass dennoch ein Spar-Diktat mit der Gesetzesreparatur verknüpft ist, sei politisches Kalkül der ÖVP, um die Maßnahme zu verkaufen. Wichtiger wäre die Debatte über Ziele und Aufgaben des ORF, die finde aber nicht statt, kritisiert Karmasin und nicht nur er. Die Debatte werde vermieden, "weil dann die Debatte über eine Gremienreform, also Stiftungsrat, Publikumsrat auf die Tagesordnung käme, und offensichtlich will man die Debatte nicht führen". Besitzt doch die ÖVP im Stiftungsrat doch allein die Mehrheit.

Stiftungsrat: "Der ORF ist kein Sparverein"

Was hält eigentlich der ORF-Stiftungsrat von den Sparplänen? Ist der öffentlich-rechtliche Auftrag überhaupt noch finanzierbar? Stiftungsratsvorsitzender Lothar Lockl: "Das ist das, was notwendig ist, weil der ORF nur ausgeben kann, was er einnimmt". Ob der Stiftungsrat die vorgeschlagenen Sparmaßnahmen mitträgt - hier gibt es gewisse Erwartungen an das Plenum Ende März - wollte Lockl nicht sagen. Man habe das zur Kenntnis genommen, sagt er, betont aber einmal mehr, dass der ORF schon seit vielen Jahren spare: "Der ORF ist kein Sparverein, es ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk, Sparen ist kein Selbstzweck, der ORF erreicht jeden Tag 6, einhalb Millionen Menschen und irgendwann ist der Punkt erreicht wo das Programm eingeschränkt wird und ich hoffe nicht, dass wir zu dem Punkt kommen". Wo seine rote Linie überschritten wäre, verrät Lockl nicht. Die finanzielle Situation sei schwierig, vieles sei derzeit nicht planbar, möglicherweise komme es letztlich doch besser als erwartet.

"Beispiel für die österreichische Realverfassung"

Warum aber lässt man sich als Aufsichtsrat des ORF überhaupt bei den Finanzen von der Politik etwas sagen? Lässt man sich für mehr Rechte im Netz erpressen? Lockl: "Das sehe ich überhaupt nicht so". Es gehe um ein Gesamtpaket. Dass sich Geschäftsführung und Stiftungsrat mit dem Spardruck abfinden und es keinen öffentlichen Aufschrei gibt, kommentiert Medienexperte Matthias Karmasin lapidar: "Es ist glaube ich ein Beispiel für die österreichische Realverfassung".

Haushaltsabgabe soll weniger kosten als die GIS

Wie hoch die Haushaltsabgabe ausfallen wird, ist offen. Es soll aber weniger als die bisher 18 Euro 59 sein, die der ORF aus der GIS bekommt. Auch die Anzahl der Haushalte und Betriebsstätten sind noch Thema - an die 300.000 Zahler und Zahlerinnen mehr als bisher bei der GIS dürften es aber wohl werden. Die Details verhandeln ÖVP und Grüne, die Gespräche laufen jetzt an und sollen erklärtermaßen bis Ende März abgeschlossen sein.

Die Grünen halten nichts vom Spardiktat der ÖVP

Die ÖVP kommentiert die Verhandlungen vor dem Mikrofon nicht. Die Mediensprecherin der Grünen, Eva Blimlinger, betont hingegen im #doublecheck-Gespräch, dass sie vom Rabatt- und Spar-Gerede des Koalitionspartners gar nichts hält: "Nein, da kann ich nicht mit, es ist ja so dass der ORF in den letzten 5 Jahren eine halbe Milliarde eingespart hat, ich wunder mich immer, dass der ORF das nicht stärker propagiert. Der ORF versucht immer zu sparen, bei gleichbleibendem Programm, der ORF-Rabatt ist schon lang erbracht, eigentlich". Aus Sicht der Grünen sollte das neue ORF-Gesetz vor allem drei Dinge bringen: Zuerst die Haushaltsabgabe, und zwar "in einer Höhe, dass sie den ORF nachhaltig finanziert. Uns ist wichtig, dass es eine Novelle jeder Digitalbereiche gibt, die den ORF stärken 'Online First' gehen zu können. Uns ist auch der Erhalt der Blauen Seite wichtig", erklärt Blimlinger.

Verleger als stummer Gast am Verhandlungstisch

Den Zeitungsverlegern, denen ORF.at ein Dorn im Auge ist, hat Weißmann schon im Herbst eine Kürzung des Umfangs der sogenannten "Blauen Seite" in Aussicht gestellt. Das ist der Knackpunkt in der Verhandlungen zur Digitalnovelle. Die Privaten sitzen da als stummer Gast dabei. Diskutiert würden jetzt noch die Höhe der Haushaltsabgabe, sagt Blimlinger, und ob die Länder weiterhin eine Abgabe aus dem ORF-Beitrag bekommen, was die Grünen ablehnen. Eingehoben werden soll die Haushaltsabgabe wie bisher von der GIS, die freilich verkleinert wird, und mit dem Unterschied, dass man sich eben nicht abmelden könne.

Wer profitiert von der Inszenierung des Großen Deals?

So viel wird sich möglicherweise gar nicht ändern. Wer profitiert also von dem Getöse? Die ÖVP jedenfalls nicht, vermutet der Meinungsforscher Hajek: "Sollte die ÖVP glauben, dass man aus dem Tal der Umfrage-Tränen mit ORF Kritik herauskommt, das wäre doch eine Überschätzung der Situation". ORF-Kritik, das sei seit jeher das Wahlprogramm der FPÖ. Auch Barbara Tóth vom „Falter“ sieht dort die Gewinner. Profitieren würden Parteien und Bewegungen, die auf Desinformation setzen, "in Österreich ist das vor allem die FPÖ". Auch die Verleger erhoffen sich mehr Geld durch Werbeeinnahmen und wollen Themen vom ORF übernehmen, meint Tóth. Am Ende des Verhandlungen will wohl jeder mit einer guten Geschichte von der Bühne gehen: Die könnte lauten: Die ÖVP hat gespart, die Grünen haben den ORF abgesichert und digitale Rechte erkämpft, und die privaten Medien bekommen auch wieder was - auch so will es die Realverfassung. Das Publikum bekommt hoffentlich einen finanziell abgesicherten und digitaleren ORF.

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