Michael Heltau

WIENER BURGTHEATER/SERGI PONS

Die Literatur, das Radio und ich

Zum 90. Geburtstag von Michael Heltau

Ich gehöre einer Generation an, die nicht mit dem Fernsehen aufgewachsen ist. Aber mit dem Radio. Freilich, die schöne Adrienne mit ihrer Hochantenne war noch vor meiner Zeit! Das erste Radiogerät, an das ich mich erinnern kann, war der "Volksempfänger" in der Küche meiner Mutter.

Das war bereits in der Nazizeit, in Seewalchen am Attersee. Was hörte man da? Rosita Serrano, Zarah Leander, Johannes Heesters. Meine kleine Schwester und ich hörten diese Schlager der Zeit, ganz bestimmt nicht die Frontberichte. Vielleicht "Lili Marlen", aber das weiß ich nicht mehr so genau. Meine andere kleine Schwester, Heidi, machte aus den Namen im Radio dann etwas ganz Besonderes: Zarita Zarano zum Beispiel, und wenn sie bei Zarah Leander mitsang, dann wurde daraus: "Ich steh im Regen und warte auf Schnee …"

Unvergesslich geblieben ist mir das Radio beim Gasthof Huber in Haining am Attersee. Es stand im Küchenfenster. Die Direktübertragung von den Salzburger Festspielen: Arabella. Da saß die wunderbare Maria Reining inmitten einer Wiener Sommerfrische-Gesellschaft aus Burg und Oper - Raoul Aslan zum Beispiel, Käthe Dorsch oder Fred Liewehr (später mein Lehrer und noch später Doyen des Burgtheaters). Die Reining, mit einem Glas Wein in der Hand, hörte zu und sagte: "Ach, wie herrlich! Wie schön! Und ich hab’s hinter mir!"

Schon während meiner Zeit im Reinhardt-Seminar war ich bei Aufnahmen für das Radio dabei, bei Hans Nüchtern, dem Ravag-Pionier. Und nach dem Seminar habe ich viele Aufnahmen gemacht, sehr, sehr oft im Studio in Wien, dann vor allem viele Jahre hindurch im ORF-Landesstudio Salzburg. Da kamen im Sommer während der Festspiele immer die tollsten Besetzungen für Hörspiele zusammen.

Gerufen wurden sie von dem unerhört belesenen Regisseur Klaus Gmeiner, mit dem ich unzählige Aufnahmen gemacht habe, auch Romane in Fortsetzungen. Manches davon ist mittlerweile vom ORF auch auf CDs wiederveröffentlicht worden. Ich habe die Arbeit am Mikrofon immer sehr gern gehabt. Die Fantasie hat da alle Möglichkeiten. Keine störenden Dekorationen, kein unnötiges Beiwerk, das vom Wesentlichen ablenkt - dem Text des Dichters! Das Radio ist ganz bestimmt das intimste Medium.

Von meinen frühen Erfahrungen im Studio sind mir vor allem die Begegnungen mit kostbaren Kollegen und Kolleginnen in Erinnerung geblieben: Liesl Karlstadt, Alma Seidler, Kurt Sowinetz. Und die Erinnerung an unser Lachenkönnen miteinander!

Michael Heltau

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Manchmal hatte ich mit lebenden Autoren zu tun: Alexander Lernet-Holenia, Friedrich Torberg oder Herbert Rosendorfer. Und wenn die mir dann sagten, sie hätten in ihren Arbeiten durch mich Dinge entdeckt, von denen sie zuvor gar nichts gewusst hätten, dann war das natürlich ein Ritterschlag!
Dass ich immer wieder eingeladen worden bin, Hörbücher aufzunehmen, etwa die unermesslich herrlichen Romane von Joseph Roth (allein den Radetzkymarsch habe ich dreimal in verschiedenen Produktionen eingelesen), hat bestimmt auch mit meiner Präsenz in dem Medium Radio zu tun. Dafür bin ich dankbar. Denn die Beschäftigung mit Literatur stand für mich am Beginn des Berufs und blieb das ganze Berufsleben hindurch der Mittelpunkt.

Jetzt füge ich noch ganz rasch hinzu: Ich bin treuer, begeisterter Hörer von Ö1. Durch meinen Beruf bin ich sehr weit herumgekommen. Nirgendwo habe ich einen Radiosender erlebt, der sich auch nur annähernd mit Ö1 messen kann.
Das musste sein!

Text: Michael Heltau, Schauspieler und Chansonnier, hat im Lauf der Jahrzehnte zahlreichen Ö1 Literatursendungen seine Stimme geliehen