Wolfgang Rihm

DPA/BERNHARD SCHMITT

Neue Musik auf der Couch

Wolfgang Rihm: "Im Innersten"

Wild und verletzlich – ein Streichquartett der musikalischen Extreme.

In einem Versuch, seine innere Gestimmtheit zur Zeit des dritten Streichquartetts zu beschreiben, verweist der Komponist Wolfgang Rihm rückblickend auf ein Sonett des romantischen Dichters Joseph von Eichendorff: "auf der Suche nach Bezug und Verweis durch die Bücher (…) fand ich blätternd ein Gedicht von Joseph von Eichendorff, (...) darin las ich das Wort 'im Innersten' mitten in der zweiten Strophe, und je weiter ich das mir bis dahin unbekannte Gedicht las, um so deutlicher stellte sich mir die Gestimmtheit vor, aus der heraus mir vor über zwanzig Jahren Musik erfindbar gewesen sein mochte: als hätte da einer das Vokabular vorausgeprägt, womit sich später ein junger Musiker seine Poetik erträumen wollte."

In diesem Sonett finden sich unter anderem folgende Zeilen:

"Es wächst sehnsüchtig, stürzt und leuchtet trunken,
Jauchzend im Innersten die heil'ge Quelle,
Bald Bahn sich brechend durch die Kluft zur Helle,
Bald Kühle rauschend dann in Nacht versunken."


Der Beginn der dritten Strophe lautet:

"So laß es ungeduldig brausen, drängen!
Hoch schwebt der Dichter drauf in goldnem Nachen,
Sich selber heilig opfernd in Gesängen."

Thomas Wally am Klavier im Wiener Funkhaus

Thomas Wally - ORF/JOSEPH SCHIMMER

Besonders den Imperativ am Beginn der dritten Strophe, es ungeduldig brausen und drängen zu lassen, betont Rihm ausführlich: "Die ungeheuerlich befreiende, aufbrechende Zeile: 'So laß es ungeduldig brausen, drängen!', wo Geduld und Gelassenheit mit Ungeduld und Drängen keinen Gegensatz mehr in ihrer Vereinigung behaupten müssen und dennoch als Unterschiedenste zusammenwirken, dieses 'So laß es' vertieft den Atem vom Thorax hinab ins Geschlecht und hinauf ins Gehirn, bei jedem erneuten Lesen, immer wieder. Wie im Schock des Nachverstehens weiß ich nach dreimal sieben Jahren, was ich damals nicht ahnte."

Wild, ungezügelt und zerfahren, aber auch intim, direkt und verletzlich zeigt sich diese die musikalischen Extreme auslotende Musik. Dieser Polarität entspricht eine zweifache Tempo-Grundausrichtung: Nach Wolfgang Rihm sind alle sechs Sätze entweder als Adagio-Sätze oder als con moto-Sätze verstehbar, teilweise sind diese gegensätzlichen Weisen musikalischen Sprechens auch in einem Satz angelegt.

Mehrere Komponisten-Namen sind im Zusammenhang mit dem dritten Streichquartett, teilweise sogar von Rihm selbst, genannt worden: der späte Beethoven, Mahler, die zweite Wiener Schule und auch Janáček. Eine spezielle Verbindung scheint jene zu Alban Berg und hier zu dessen Streichquartett der "Lyrischen Suite" zu sein, die über ein verwandtes musikalisches Idiom hinausgeht: So verbindet die "Lyrische Suite" mit "Im Innersten" u.a. die Sechssätzigkeit, weiters die Technik, einen musikalischen Namen durch gleichlautende Töne auszudrücken (im Falle Rihms: der Eva-Akkord) und nicht zuletzt das Schließen des Werkes mit einem verklingenden Terzpendel im tiefen Register der Viola.

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