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Haushaltsabgabe und die Folgen
Öffentlich-rechtlich auf Bewährung
Für den ORF markiert der Jahreswechsel auch eine Zeitenwende. Alle müssen den ORF-Beitrag ab Jänner 2024 zahlen, und dafür soll es auch ein Programm für wirklich alle geben - online und on air. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber den ORF zu einer neuen Transparenz verpflichtet, Gehälter und Nebenjobs müssen offengelegt werden. Spannend wird, wie groß die Reform der Gremien ausfallen wird, die der Verfassungsgerichtshof erzwungen hat.
1. Jänner 2024, 02:00
FPÖ-Obmann Herbert Kickl hat schon beim Beschluss der Haushaltsabgabe klargemacht, was sich wie ein blauer Faden durch den Wahlkampf im kommenden Jahr ziehen wird. Komme die FPÖ an die Macht, dann werde man diese Abgabe zurücknehmen, so Kickl im Parlament. Die Haushaltsabgabe als Feindbild, dabei ist das Gesetz gut gemacht, wie Österreichs führender Rundfunkrechts-Experte Hans Peter Lehofer betont: "Es ist handwerklich solide gemacht. Man hat sicher gelernt daraus, was in Deutschland, was in der Schweiz gemacht wurde."
Der ORF-Beitrag für Firmen bemisst sich an der Kommunalsteuer, gilt nicht für Ein-Personen-Unternehmen und wird ab April eingehoben. Die privaten Haushalte zahlen pro Hauptwohnsitz und deutlich weniger als bisher: 15,30 Euro statt 22,45 Euro - es fallen auch Gebühren weg, die der Bund auf die GIS draufgeschlagen hat.
Wie umgehen mit Beitrags-Verweigerern?
Wie wird die ORF Beitrags-Service GesmbH als GIS-Nachfolgerin mit Verweigerern umgehen? So wie schon immer, sagt der Technische Direktor, Harald Kräuter. "Die OBS wird Zahlungsaufforderungen an die Haushalte ausschicken. Danach folgen Mahnungen. Und wir gehen davon aus, dass nur wenige Fälle an das Inkassounternehmen weitergegeben werden müssen." Wie viele waren es in der Vergangenheit? Ein geringer Prozentsatz, der über die Jahre hinweg gleich geblieben sei, sagt Kräuter. "Wir gehen nicht davon aus, dass es steigt."
Das Personal der OBS sei sensibilisiert und geschult, da habe man auch Erfahrungen aus der Vergangenheit mitnehmen können, so Kräuter: "Auch an der Tür kam es immer wieder zu Situationen, wo Diplomatie gefragt war. Fuß in die Tür geht gar nicht und dergleichen. Aber da haben wir insgesamt die Mitarbeiter schon sehr gut darauf geschult, letzten Endes zu diplomatischen Lösungen zu kommen."
Alles im Namen der Akzeptanz der Abgabe
Die Haushaltsabgabe sichert die Finanzierung des ORF ab und schließt die Lücke beim Streaming, für das bisher keine Gebühren gezahlt werden mussten. Aber der ORF schwimmt nicht im Geld, wie es die Kritiker gern darstellen. Bis 2026 muss das Unternehmen mehr als 300 Millionen Euro einsparen, die Belegschaft hatte heuer den niedrigsten Gehaltsabschluss des ganzen Landes mit 2,1 Prozent - für kommendes Jahr drohen weitere massive Reallohn-Verluste. Alles im Namen der Akzeptanz für die Haushaltsabgabe.
So wie der Transparenzbericht: Mit Ende März - also mitten im Wahljahr - muss der ORF erstmals eine Fülle von Daten offenlegen und an Regierung und Parlament übermitteln, das wird veröffentlicht. Werbeeinnahmen müssen nach Medium genau aufgeschlüsselt werden, Ausgaben nach Eigen- und Auftragsproduktionen, auch der Aufwand für Eigenwerbung, Beraterverträge und hohe Werkverträge muss offengelegt werden.
Nebenbeschäftigungen aus der Blackbox holen
Am spektakulärsten ist wohl die namentliche Veröffentlichung von Großverdienern ab 170.000 Euro Jahresbrutto, auch deren Honorare aus Nebenbeschäftigungen müssen offengelegt werden. Weiters sind Gehaltsklassen zu bilden mit der Anzahl der Mitarbeiter, die da jeweils hineinfallen. Dasselbe gilt für die Nebenbeschäftigungen, die derzeit eine Art Blackbox sind. Niemand spricht gern darüber.
Jüngstes Beispiel: ZIB1-Anchor Nadja Bernhard hat die Eröffnung der Interpol-Konferenz in Wien mit Kanzler und Innenminister am Podium moderiert, über die am selben Tag in der ZIB1 berichtet wird. Der ORF betont dazu, das sei beantragt und genehmigt gewesen, Bernhard habe keinerlei Einfluss auf die Berichterstattung in der ZIB gehabt.
Ethik-Kommission ist auf der Zielgeraden
Ab dem neuen Jahr wird es neue Regeln geben, eine von ORF-Chef Roland Weißmann eingesetzte Ethik-Kommission wird dazu Empfehlungen vorlegen, die Arbeiten sind auf der Zielgeraden und sollen noch vor Jahresende abgeschlossen werden. Man werde die Kriterien nachschärfen und vereinheitlichen, damit sie auch in der öffentlichen Wahrnehmung klar und verständlich sind, heißt es aus dem Büro Weißmann. Anlass für die Einsetzung der Kommission waren die Fälle Ziegler und Schrom, der Ex-Landesdirektor von Niederösterreich und der Ex-ZIB-Chefredakteur sind über zu große Partei-Nähe gestürzt.
Neue multimediale Chefredaktion bestellt
Stichwort ZIB-Chefredakteur: Mit 1. Dezember ist die neue multimediale Chefredaktion für die ORF-Information bestellt worden. Gabi Waldner ist für die Fachressorts zuständig, Sebastian Prokop für die Kurznachrichten in Radio und TV sowie für die ganze Online-Berichterstattung und Johannes Bruckenberger für die Sendungen von der ZIB bis zu den Ö1-Journalen. Dazu sind drei fixe Stellvertretungen bestellt worden. Die Trennung nach Medien gehört der Vergangenheit an, die Ressorts sollen zusammenwachsen, die Medien auch. Keine leichte Aufgabe für die Chefredaktion - auch deshalb, weil es im Team viele Ängste weckt.
"Ausgemachte Sache" bis "unsägliche Farce"
Bruckenberger kommt von der Austria Presse Agentur, er war dort Chefredakteur. Waldner und Prokop kommen aus der Redaktion. Die Namen sind schon vor Monaten genannt worden. Dass es jetzt auch alle Genannten geworden sind, kommentiert der Medienberater Peter Plaikner so: "Das ist nicht nur eine unsägliche Farce, sondern hält viele fähige Bewerber, externe wie interne, von einer Bewerbung ab. Ein solcher Vorgang schadet der Weiterentwicklung des ORF." Ähnlich Florian Skrabal von der Recherche-Plattform "Dossier", er sagt: "Als gelernter Österreicher, als jemand, der sich auch journalistisch mit dem ORF und mit vorherigen Postenbesetzungen befasst hat: das hat für mich wie eine ausgemachte Sache gewirkt."
Vertrauensvorschuss von der Redaktion
Skrabal hat sich für einen der Chefredakteurs-Posten beworben, warum eigentlich? "Hier reden wir von den wichtigsten journalistischen Jobs in Österreich. Und dann wird eben im Vorfeld schon kolportiert, wer das werden soll. Dann gibt es eine Bewerbungsfrist, die so kurz ausgelegt ist - und da ist mir der Kragen geplatzt. Und ich wollte einfach auch meinen Namen in das Rennen werfen, damit sich das ORF-Management und die Redaktion auch mit jemandem von außen befassen müssen." Das ist auch geschehen, Skrabal war beim Hearing der Geschäftsführung, wo er sich fair behandelt gefühlt hat. Die Redaktion hat am Ende in einer geheimen Abstimmung den favorisierten Kandidaten und Kandidatinnen einen Vertrauensvorschuss gegeben.
Ringen um mehr Unabhängigkeit flammt wieder auf
Der Einfluss der Parteien - speziell der übergroße Einfluss der jeweiligen Kanzlerpartei - auf den ORF ist vielen ein Dorn im Auge, der Redaktionsrat argumentiert seit Jahren dagegen. Auch die Zeitungen, die sich gegenüber dem ORF benachteiligt fühlen, fordern immer wieder eine Reform der ORF-Gremien wie Stiftungsrat und Publikumsrat, um die Unabhängigkeit zu stärken. Allein: Die ÖVP hat sich verweigert und betont, davon stehe nichts im Koalitionsabkommen.
Der Verfassungsgerichtshof hat dann vor einigen Wochen die Beschickung der ORF-Gremien als zum Teil verfassungswidrig aufgehoben. Jetzt muss das repariert werden. Der Rundfunkrechts-Experte Hans Peter Lehofer über die Folgen: "Es würde den direkten Einfluss der Bundesregierung jedenfalls verringern. Und zwar zum einen, weil nicht mehr so viele Mitglieder direkt von der Bundesregierung bestellt werden dürften. Und bei der Auswahl müsste man konkreten Kriterien folgen, und eine neu bestellte Bundesregierung könnte nicht sofort alle auswechseln."
Kein Umfärben mehr im ORF nach Wahlen
Sprich: Das Umfärben des Stiftungsrats nach jeder Nationalratswahl geht dann nicht mehr. Für die Reparatur des Gesetzes ist bis März 2025 Zeit, das könnte die Regierung also auch der nächsten überlassen - die Grünen wollen es nicht verschleppen, die ÖVP hält sich zu der Frage derzeit völlig bedeckt. Für realistisch halten Insider eine Minimal-Reparatur: der Publikumsrat bestellt derzeit sechs, die Bundesregierung neun Stiftungsratsmitglieder - das muss umgedreht oder ausgewogener werden, sagen die Verfassungsrichter.
APA/ROLAND SCHLAGER
Wird der Stiftungsrat am Ende noch größer?
Das könnte sogar dazu führen, dass der Stiftungsrat mit den derzeit 35 Mitgliedern noch größer wird. Denn die Bundesregierung zu beschneiden, wäre realpolitisch schwierig, so Hans Peter Lehofer. Die neun Stiftungsräte der Bundesregierung seien das Gegengewicht zu den neun Länder-Stiftungsräten. "Ich glaube, dass die Bundesregierung so emotional schwer auf die neun verzichten kann. Das heißt, eigentlich müsste man dann mehr bestellen, wenn man nicht eine Gesamtreform macht."
Für so eine Gesamtreform gäbe es gute Vorschläge - vom ORF-Redaktionsrat zum Beispiel und vom Presseclub Concordia. Generalsekretärin Daniela Kraus über die zentralen Forderungen: "Das eine ist, dass der Stiftungsrat als professionelles Aufsichtsgremium reformiert wird, so wie ein Aufsichtsrat, also kleiner, Unabhängiger mit einer sehr diversen Expertise, die man auch darstellen kann und nachvollziehbar macht und der Publikumsrat tatsächlich in einer breite und repräsentativ verschiedene gesellschaftliche Bereiche abdeckt. " Der Publikumsrat würde auch die Mitglieder des Stiftungsrats wählen, Parteiferne wäre dann garantiert, sagt Kraus.
Auch Minimalvariante ermöglicht Verbesserungen
Die Concordia-Generalsekretärin weiß, dass das ein Idealbild ist. Sie hat auch einen pragmatischen Zugang: "Selbst wenn man eine sogenannte Minimalvariante umsetzen würde, dann könnte man Themen wie Transparenz bei der Bestellung, genau nachvollziehbare Qualifikationskriterien für Stiftungsräte und auch die Überprüfbarkeit - das kann man auf jeden Fall umsetzen. Das ist jetzt keine besonders hoch gehängte idealistische Forderung meiner Ansicht nach."
Das würden auch viele teilen, sagt Kraus. Aber nicht alle. So hat der Leiter des ÖVP-Freundeskreises im Stiftungsrat, Thomas Zach, im "Standard"-Interview die parteipolitischen Gruppierungen als wertvoll bezeichnet und betont, dass der ORF nicht politikfern sein könne. Der ORF seit integraler Bestandteil der Demokratie, und Demokratie ohne Politik und Parteien gebe es nicht. Florian Skrabal von der Rechercheplattform "Dossier" - er ist auch im Concordia-Vorstand - hält das für irreführend: "Das halte ich wirklich für bizarr. Offensichtlich zeigt das, dass den handelnden Akteurinnen und Akteure sowohl innerhalb des Stiftungsrates, aber auch in der Politik noch nicht die Dringlichkeit dieser Reform bewusst ist und dass man zu sehr in alten Denkmustern verhaftet ist."
Schub von Mitbewerbern und Zivilgesellschaft fehlt
Der Medienberater Peter Plaikner sieht nur eine Möglichkeit, dass eine Gremienreform kommt, die diesen Namen verdient: "Dazu müssten die Zivilgesellschaft und die privaten Medien kontinuierlich und nicht nur anlassbezogen gegen die jetzige Regelung Sturm laufen. Von den Parteien ist da zu wenig zu erwarten. Wahrscheinlich bräuchte es so etwas wie das Rundfunkvolksbegehren vor 60 Jahren. Aber die Bevölkerung hat heute leider zu wenig Verständnis für die demokratiepolitische Notwendigkeit eines öffentlich rechtlichen Mediums."
"Grundfunk" à la FPÖ wäre verfassungswidrig
Eine Stärkung der Unabhängigkeit des ORF würde auch Kräften wie der FPÖ Wind aus den Segeln nehmen, die den ORF in die Bedeutungslosigkeit redimensionieren wollen. Der Verfassungsgerichtshof hat hier in seinem Erkenntnis zu den Gremien vorgebaut, wie Hans Peter Lehofer weiß: "Dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk muss auch eine funktionsadäquate Stellung einnehmen, heißt es in dem Erkenntnis. Das heißt, ein Zurückfahren auf einen Minimalfunk, der nur mehr Nischen bedient, wäre nicht zulässig. Die Funktion des Rundfunks ist eben, ein Rundfunk der gesamten Gesellschaft zu sein." Also kein "Grundfunk", wie die FPÖ es nennt - den Ausdruck haben sie von der deutschen AfD übernommen, die ebenfalls gegen die Öffentlich-Rechtlichen wettert. Und wie die FPÖ auf dubiose Telegram-Kanäle und Verschwörungssender setzt.