Bunte Flaschen

PICTUREDESK.COM/FOODCOLLECTION

Neue ORF-Streaming-Plattform

Ein Netflix auf Österreichisch

Mit dem Jahreswechsel müssen alle in Österreich für den ORF zahlen. Rechtfertigen will der ORF das mit mehr Programm für wirklich alle - im Fernsehen, im Radio und vor allem auch Online. Die neue Streaming-Plattform "ORF ON" soll den amerikanischen Streaming-Diensten nachempfunden werden und mit mehr Programm und längerer Abrufbarkeit auch ORF-Skeptiker und jüngere Menschen erreichen. Auch news.ORF.at wird mit Jahreswechsel neu: Mehr Videos und Audio sollen dort wettmachen, dass beim Text gekürzt werden muss.

Die Online-Welt des ORF wird sich mit 1. Jänner grundlegend ändern. Mehr Angebot, eine einfache Oberfläche und vor allem eine längere Abrufbarkeit online als die bisherigen sieben Tage sollen sich nach einer "Streaming-Welt" anfühlen, beschreibt ORF-Programmdirektorin Stefanie Groiss-Horowitz die Neuerungen. Das klinge simpel, sei aber eine "Revolution". Die rechtlichen Einschränkungen haben bisher verhindert, dass der ORF ein modernes, zeitgemäßes Online-Archiv anbieten kann.

Gleichzeitig ist die Konkurrenz gewachsen, sowohl in der Information als auch in der Unterhaltung. Da dürfe man sich nicht wundern, dass das Publikum sich ab und an woanders umgeschaut habe, erklärt Groiss-Horowitz. Das neue ORF-Gesetz repariert diese Lücken jetzt und damit will der ORF online deutlich mehr Angebot liefern. Die TVthek wird ausgemustert, und von der neuen Streaming-Plattform "ORF ON" ersetzt.

ORF ON - Streaming-Plattform

ORF ON - Streaming-Plattform

ORF

Ein "begehbarer" ORF für alle

Diese neue Plattform soll zum Stöbern einladen, ähnlich wie es amerikanische Streaming-Dienste tun. Der ORF werde damit ein "begehbarer ORF", in dem man sich sein Programm nach eigenen Interessen zusammenstellen könne. "Sie werden draufkommen, dass es viele Sendungen gibt, die Sie tatsächlich interessieren, Sie waren nur bisher am Dienstag um 21:45 Uhr nicht daheim", zeigt sich Groiss-Horowitz überzeugt. Für den Medienwissenschafter Josef Seethaler von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist der Ausbau des Online-Angebots ein lange geforderter Meilenstein.

Europa müsse hier viel aktiver werden, um ein Gegenwicht zu den amerikanischen Streaming-Riesen zu bieten - oder zumindest Alternativen bereitzustellen, sagt Seethaler. Mit dem neuen Angebot auf "ORF ON" sollen auch Kritikerinnen und Kritiker des ORF und jüngere Menschen angesprochen werden. Denn auch für sie biete der ORF viele Inhalte - "man muss sie nur zu ihnen bringen", glaubt Groiss-Horowitz. Hier will der ORF auch mehr Werbung für die neuen Angebote machen.

Online-Schwerpunkt für Kinder und Familien

Am 1. Jänner startet auch ein Online-Kinderkanal. Mit "ORF Kids" bietet der ORF 24 Stunden täglich Kinder-Programm mit vielen modernen, altersgerechten Sendungen für Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre. "Also kein Verwursten von alten Kasperln, sondern ein ganz hoher Anteil von Eigenproduktionen", verspricht die ORF-Programmdirektorin. Das soll den individuellen Bedürfnissen von Familien zugute kommen, "die richten sich oft ja nicht nach dem Fernsehprogramm", so Groiss-Horowitz. "ORF Kids" sei ein buntes Programm - von "ZIB Zack Mini", über kindgerechte Wissenschaftssendungen und einen "Kids Talk", in dem Kinder lernen sollen, andere Meinungen zu akzeptieren, bis hin zum Kinder-Yoga.

Für Medienwissenschafter Seethaler erfüllt der ORF damit einen wichtigen Punkt seines öffentlich-rechtlichen Auftrages. Denn Kinderprogramm muss werbefrei sein, und ist damit für Privatsender oft nicht leistbar. Auch demokratiepolitisch sei es zu begrüßen, dass der ORF hier auf junge Menschen zugehe, und auch für die Jüngeren ein Informations- und Unterhaltungsangebot zur Verfügung stellt, unabhängig von der Ausstrahlung im Radio oder Fernsehen.

"Verbaler Boxkampf“ neu im Programm

Das Publikum soll künftig auch mehr mitreden, mit neuen Diskussionsformaten will der ORF Bürgernähe schaffen. Neue Ausgaben des Bürgerforums sollen direkt aus den Bundesländern kommen und auch Diskussionen zu regionalen Themen ermöglichen. Im ersten Halbjahr 2024 sollen außerdem zwei neue Diskussionsformate starten. "Frag das ganze Land" - bisher eine Ö3-Anrufsendung - kommt auch ins Fernsehen.

Für viel Aufsehen hat bereits das neue Format "Fight Club" gesorgt. In einer Art "verbaler Boxkampf", so hat es Programmdirektorin Stefanie Groiss-Horowitz beschrieben, werden zwei Personen gegeneinander antreten und versuchen, das Publikum von ihren Ansichten zu überzeugen. So soll es einen Platz für den Austausch von Meinungen abseits von Social Media geben, erklärt Groiss-Horowitz die Idee dahinter. Boxkampf klinge zwar brutal, der Hintergedanke sei aber, dass es dort klare Regeln für den Meinungsaustausch gebe.

Polarisierung entschärfen, aber wie?

Damit wolle man der Polarisierung in der Gesellschaft entgegenwirken, das neue Format sei ein Versuch. Manchmal müsse man auch etwas ausprobieren, so die ORF-Programmdirektorin. Medienwissenschafter Josef Seethaler gibt dem Format allerdings wenig Chancen. Mehr Bürgerbeteiligung sei zwar ein wichtiger Schritt, den viele Menschen auch einfordern würden. Das Ziel einer Gesellschaft müsse aber Akzeptanz sein und nicht, Gewinner oder Verlierer in einer Debatte zu küren. Es gehe nicht darum, andere von der eigenen Meinung zu überzeugen, sondern darum, sich gegenseitig in anderen Meinungen zu respektieren, glaubt Seethaler. Dieses Format sei da kontraproduktiv.

Kürzere Texte, mehr Videos und Audio

Für viel Aufsehen haben im Vorfeld auch die neuen Regeln für die sogenannte Blaue Seite - also news.ORF.at - gesorgt. Mit 1. Jänner erhält die Seite einen erzwungenen Relaunch. Denn die News-Seite war den österreichischen Zeitungen schon länger ein Dorn im Auge. 5,3 Millionen Userinnen und User nutzen sie monatlich. Das neue ORF-Gesetz sieht hier Einschränkungen vor: Künftig dürfen maximal 350 Textbeiträge pro Woche auf news.ORF.at veröffentlicht werden, die Texte selbst müssen kürzer werden. Der Kern der Seite, also die wichtigsten Nachrichten auf einen Blick, werde erhalten, verspricht ORF-Online-Chef Stefan Pollach.

Dazu kommen jetzt aber deutlich mehr Videos und Audio-Beiträge, gut hundert pro Tag sollen es sein. Bisher mussten diese erst im Fernsehen oder Radio ausgestrahlt werden, bevor sie online gestellt werden durften. Diese Hürde fällt jetzt weg, damit können Video- und Audioclips über den Tag verteilt im Netz veröffentlicht werden.

Gratwanderung auf der Blauen Seite

Das Interesse der Userinnen und User der Blauen Seite an Videos hielt sich bisher aber in Grenzen. Es wird also eine Gratwanderung, die News-Leserinnen und -Leser nicht zu verlieren, und sie gleichzeitig für die neuen Video- und Audio-Inhalte zu begeistern. Inhaltlich wolle man keine Abstriche machen - auch wenn die Texte selbst kürzer werden, verspricht Online-Chef Pollach: "Man kann 20-minütige Nachrichtensendungen machen, man kann die Nachrichtenlage aber auch in zwei Minuten zusammenfassen." Hier gelte es also, zu verdichten und die Qualität möglichst auch zu steigern. Die Zeitungsverlage werden genau im Auge behalten, ob die Beschränkungen auch eingehalten werden. Die Messlatte für den Relaunch liegt jedenfalls hoch: Erfolgreich sei die Seite, wenn sie die Marktposition halte, sagt Pollach. Er will also Marktführer bleiben.

Norbert Oberhauser; Nina Kraft, Andi Onea

Die Gala für Licht ins Dunkel 2023

ORF/ROMAN ZACH-KIESLING

Verbesserungen bei "Licht ins Dunkel"

Zur Weihnachtszeit ist das ORF-Programm traditionell auch voller "Licht ins Dunkel"-Sendungen. Vor einem Jahr hat das inklusive Onlinemedium "andererseits" mit einer Doku die Schattenseiten des Spendenprojekts aufgezeigt: Die Sendung drücke auf die Tränendrüse, Menschen mit Behinderung seien Bittsteller, lautete damals der Grundtenor. Der ORF hat damals versichert, diese Kritik ernst zu nehmen, und auch einen Runden Tisch mit Behindertenverbänden einberufen.

"Licht ins Dunkel" ist jetzt mit einer neuen Gala und einigen Änderungen gestartet, so traten inklusive Teams mit Menschen aus Kultur, Sport und Medien in Spielen gegeneinander an. Es gebe Verbesserungen, sagt auch Katharina Brunner, Teil des Gründungsteams von "andererseits": "Ich finde tatsächlich, dass die Tränendrüse dieses Jahr weniger war." Man habe gemerkt, dass die Beiträge über Personen und darüber, was mit den Spenden passiert, bemüht auf Augenhöhe gestaltet wurden.

Die Kritik an der Rolle der Politik bleibt

Trotzdem seien das aber kosmetische Veränderungen, um die Show ein wenig besser zu machen. Das Grundproblem bleibe, glaubt Brunner. Das zeigt auch eine Umfrage zur neuen Gala, die "andererseits" durchgeführt hat. 44 Personen haben daran teilgenommen. Während es zum Teil positive Veränderungen gebe, bleibe der Hintergrund der Spendenproblematik weiter im Dunkeln, so der Tenor. Warum Menschen mit Behinderung überhaupt Spenden benötigen, um beispielsweise einen Rollstuhl finanzieren zu können, werde kaum thematisiert. Stattdessen biete die Show weiterhin viel Platz für Selbstlob von Unternehmen und auch der Politik. Und gerade die Politiker hätten es ja in der Hand, die Rahmenbedingungen zu verbessern, betont Brunner - und damit auch dafür zu sorgen, dass "Licht ins Dunkel" gar nicht erst nötig wäre.

Übersicht