Sennerin mit einer Kuh

ULLI GLADIK

Hörbilder

Das Leben von Sennerinnen aus drei Generationen

Die Dokumentarfilmerin Ulli Gladik besucht ihre Heimat und erforscht dort Tier, Mensch und Natur.

Es ist ein kühler Samstag im Juni 2023. Heute ist Almauftrieb. Ich stehe mit dem Mikrofon und Respektabstand am Wegrand und nehme das aufgeregte Muhen der ankommenden Kühe und die Rufe der Bäuerinnen und Bauern auf. Mitten im Tumult steht die Mitte 30-jährige Petra Miedl. Sie trägt die Tiere in Listen ein. Ihr Dialekt ist mir vertraut. Ich bin ganz in der Nähe von Petras Alm aufgewachsen, in der Kleinstadt Murau in der Steiermark. Die Arbeit mit Kühen hat mich schon als Kind fasziniert, die Tätigkeit auf der Alm habe ich stets romantisch verklärt.

Diesen Sommer darf ich Petra begleiten. Sie ist "Oimhoitarin", wie man Hirtinnen hier nennt.

Drei Frauen, die in der Vergangenheit als Sennerinnen gearbeitet haben, treffe ich ebenso. Ihre Erzählungen führen tief in das vorige Jahrhundert, als die Symbiose zwischen Tier, Mensch und Natur die Grundlage für das Überleben in dieser abgelegenen, gebirgigen Region darstellte.

Agnes Tockner ist 92 Jahre alt Sie musste schon als Fünfjährige ihre Ziehmutter auf die Alm begleiten.

"Sie hot oiwei Angst ghob und sie hot gsog, sie braucht an Grausngspann", erzählt Agnes. Ein "Grausengspann" war ein Kind, dass die Angst der Frauen auf der Alm lindern sollte. Denn es kamen oft Männer vorbei, die um Essen oder einen Schlafplatz fragten. Mit 14 Jahren war Agnes selbst Hauptverantwortliche. Sie erinnert sich an die beißend brennende Aschenlauge, mit der sie das Holzgeschirr für die Milchverarbeitung reinigte, und an die langen Fußmärsche, um die Butter zum Bauernhof zu bringen. Trotz der harten Arbeit liebte sie die Alm: "Ich bin eine Almhex," sagt sie lachend.

Bäuerin im Stall

PRIVAT

Maria Priller

aka "Miazl von der Knollialm"

Maria Priller blättert in ihrem Fotoalbum und zeigt ein Foto aus den 1990er Jahren. Mit einem Kopftuch und einer blauen Schürze bekleidet steht sie mit dem Melkzeug neben einer Kuh. "Die hab ich besonders mögen", erzählt Maria, die als "Miazl von der Knollialm" überregional bekannt war. Aufgewachsen ist sie in den 1930er Jahren in der ärmlichen Hütte ihrer Großmutter. Mit der Milch einer "Leihkuh" konnte die Großmutter die Kinder ihrer Tochter, einer Wanderdirn, über die Runden bringen.

Marias Freundin, die Mitte 70-jährige Christl Plank, war eine der ersten Tierärztinnen in der Steiermark. Auf einer Wanderung zu ihrem Geburtshaus viele Kilometer entfernt vom nächsten Dorf bekomme ich einen Einblick in Christls vielfältiges Wissen. Die Menschen, so lerne ich, folgten den überlieferten Abläufen: Jedes Tier hatte seinen Nutzen, nicht nur für die Menschen, auch für die Erhaltung der Almweiden. Man kannte den Wert der Almkräuter als Futter- und Heilpflanzen.

Christl Plank Jedes Tier hat seinen Nutzen, nicht nur für die Menschen, auch für die Erhaltung der Almweiden.

ULLI GLADIK

Petra begleite ich einen Sommer lang beim Kühesuchen auf der Alm: In brütender Hitze, bei Nebel und Nieselregen - alle Tiere sollten täglich auf ihr Wohlbefinden kontrolliert werden. Während man früher auf der Alm auch viele Milchkühe hatte, betreut Petra heute nur noch Jungvieh und trächtige Kühe. Sie pendelt zwischen Berg und Tal, denn sie muss zu Hause täglich ihre eigenen Kühe melken. Seit ein paar Jahren vermarktet sie ihre Milchprodukte selbst, womit sie den kleinen Hof im Vollerwerb führen kann.

Meine romantische Verklärung ist einem realistischen Bild gewichen: Almhalterin zu sein bedeutet harte, verantwortungsvolle Arbeit. Keine Möglichkeit, einen Tag mal auszuspannen. Und auch wenn in diesem Sommer alles gut geht - kein Absturz, kein Blitzschlag, keine Wolfsattacken - so ist die Almwirtschaft dennoch gefährdet. Nicht nur durch den Wolf, wie die Bäuerinnen und Bauern sagen, auch der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die immer strengeren Auflagen seitens der europäischen Union zwingen viele zum Aufhören. Entstanden ist dieses Feature in Kooperation mit Uli Vonbank-Schedler vom Handwerksmuseum Murau.

Text: Ulli Gladik