ACHIM KUKULIES
Hilma af Klint & Kandinsky
Pas de deux der Abstraktion
Gemeinsamkeiten von Hilma af Klint und Wassily Kandinsky beleuchtet eine Ausstellung in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf.
3. Mai 2024, 02:00
Sie galt lange als Geheimtipp und wird in den vergangenen Jahren wiederentdeckt. Er wurde zur Ikone der Moderne, sein Werk zum Inbegriff der Abstraktion. Die schwedische Malerin Hilma af Klint und Wassily Kandisky finden unabhängig voneinander eine gänzlich neue Formensprache und werden zu Pionieren der abstrakten Malerei. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf zeigt erstmals Werke der beiden Künstlerpersönlichkeiten im Dialog.
Im echten Leben sind sie einander vermutlich nie begegnet, in ihrer Kunst jedoch erscheinen sie wie zwei Parallelen, die sich in der Unendlichkeit treffen. Ohne voneinander zu wissen, beschreiten die schwedische Malerin Hilma af Klint und Wassily Kandinsky zwischen 1907 und 1911 künstlerisch gänzlich neue Pfade. Ihre Malerei löst sich vom Gegenständlichen, um Unsichtbares sichtbar zu machen.
ACHIM KUKULIES
Unsichtbares sichtbar machen
Inspiriert von neuen Erkenntnissen der Atomphysik bannen sie unsichtbaren Teilchen auf die Leinwand, von deren Existenz man bisher nicht gewusst hat. "Eine wichtige Quelle, die den Schritt zur Abstraktion befördert hat, sind die modernen Naturwissenschaften", betont Kuratorin Julia Voss. Die Kunsthistoriker und Hilma-af-Klint-Expertin hat in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf einen Pas de deux zweier künstlerischer Positionen inszeniert, der im Leben nicht stattgefunden hat und dennoch staunen macht.
“Die Naturwissenschaften beschäftigen sich in dieser Zeit mit unsichtbaren Kräften. Ich nenne als Beispiel die Atomphysik, oder ein Phänomen wie Radioaktivität, auch die Röntgenstrahlen werden entdeckt. Es handelt sich um Kräfte, die eine enorme Wirkung entfalten, aber bis dahin unbekannt waren. Für Künstler und Künstlerinnen lag demnach die Frage auf der Hand, auf welche Weise man auf diese neuen Erkenntnisse reagieren solle. Malen wir weiter die Oberfläche der Wirklichkeit ab? Oder dringen wir hinter die Oberfläche und versuchen uns mit diesen unsichtbaren Kräften auseinanderzusetzen?“
THE MODERNA MUSEET/STOCKHOLM
Hilma af Klint, Altarbild, Gruppe X, Nr. 1, 1915
Die Auflösung der Figur
Im Herzen der Schwabinger Boheme beginnt Wassily Kandinsky Bilder zu malen, die Figuren zeigen, die sich zunehmend auflösen. Im hohen Norden, genauer in Stockholm, entstehen erratisch wirkende Gemälde in Pastelltönen ebenfalls ohne erkennbaren Bezug zur darstellbaren Welt. Für Wassily Kandinsky und Hilma af Klint steht dieser Schritt hin zur Abstraktion auch im Zeichen einer großen gesellschaftspolitischen Utopie.
Die neue, die abstrakte Kunst sollte den Weg zu einer neuen Gesellschaft ebnen, betont Kuratorin Julia Voss. "Beide haben die Abstraktion nicht als Stil verstanden, sondern als eine Möglichkeit, das Leben in Bewegung zu versetzen und das haben sie auch mit ihrem eigenen Leben gemacht. Sie probieren neue Lebensentwürfe aus. Kandinsky zieht aufs Land, nach Murnau und auch Hilma af Klint zieht auf eine einsame schwedische Insel."
Die Abstraktion wird zum Zankapfel
In den 1950er wird die abstrakte Kunst zum Zankapfel zwischen den politischen Bruchlinien. Der Kalte Krieg machte auch vor dem Feld der Kunst nicht Halt. Im sogenannten Formalismusstreit positionieren sich die politischen Blöcke: Während der Westen auf Abstraktion und Konzeptkunst setzt und Individualität und persönlichen Ausdruck zu Insignien der Freiheit macht, erhebt der Osten die gegenständliche Malerei zur ästhetischen Norm. Der sozialistische Realismus wird zur Staatsdoktrin. In den Nachkriegsjahren steigt Wassily Kandinsky als Vater der Abstraktion in den Olymp der Kunstgeschichte auf. Das Werk Hilma af Klints gerät hingegen in Vergessenheit. Erst im 21. Jahrhundert wurde ihr jene Anerkennung zuteil, auf die sie Zeit ihres Lebens vergeblich gewartet hat.
Service
Die Ausstellung "Hilma af Klint und Wassily Kandinsky - Träumen von der Zukunft" ist bis 11. August in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf zu sehen.