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Das schwarz-grüne Medienerbe
Medienpolitisch war die vergangene Legislaturperiode durchaus turbulent. Einerseits, weil sich die Regierungsparteien zu bestimmten Reformen durchgerungen haben. Andererseits, weil sie es mussten, zum Beispiel das ORF-Gesetz reparieren. Expertinnen und Experten sehen das Erbe von Schwarz-Grün in der Medienpolitik dennoch kritisch.
7. Oktober 2024, 11:31
Auch wenn man einiges hätte besser machen können, sei in der vergangenen Legislaturperiode zumindest viel passiert, resümiert die Generalsekretärin des Presseclubs Concordia, Daniela Kraus. "Wenn ich aber sehe, dass tatsächlich Vorschläge am Tisch lagen, um Journalisten mundtot zu machen durch ein Zitierverbot, dann ist die Bilanz sehr durchwachsen."
Der Vorschlag der ÖVP, ein Zitierverbot an das Strafrecht anzuknüpfen, liegt zwar rund sechs Monate zurück. Brisant ist er nicht zuletzt deswegen, weil das Papier sechs Tage vor der Wahl öffentlich wurde. SPÖ, NEOS und Grüne sprechen sich klar gegen ein Zitierverbot aus. Sie alle sind nach der Wahl potenzielle Koalitionspartner, wenn es dabei bleibt, dass niemand mit der FPÖ zusammengehen will.
Ein letztes Mal Karussell im ORF-Stiftungsrat?
Auf die zukünftige Regierung warten bereits Reformen. Sie muss zum Beispiel die Bestellung der ORF-Aufsichtsgremien, das sind Stiftungsrat und Publikumsrat, neu regeln. Derzeit habe die Regierung zu viel Einfluss, urteilte der Verfassungsgerichtshof. Bis März 2025 muss ein neuer Bestellmodus her.
Wenn das nicht passiert, passiert in der Praxis zunächst aber nichts, erklärt Rundfunkrechtsexperte Hans-Peter Lehofer. Die bestehenden Gremien würden nämlich vorerst intakt bleiben, und zwar bis zum Ende ihrer Periode im Mai 2026. Das heißt aber auch, dass die neue Regierung ein letztes Mal ihren Einfluss auf den Stiftungsrat geltend machen und neun Mitglieder des Stiftungsrates austauschen kann. Das wäre verfassungswidrig, aber eben erst ab April 2025.
Wie es in den nächsten Jahren mit dem ORF weitergeht, bleibt nicht nur deswegen spannend. Die ÖVP spricht in ihrem Wahlprogramm zum Beispiel davon, den ORF schlanker machen zu wollen. Die Budgetschraube wurde schon mit der Umstellung auf die Haushaltsabgabe Anfang des Jahres angezogen. Wie schlank kann der ORF noch werden? Konkrete Vorgaben gibt es nicht, Lehofer. "Aber es heißt deutlich, dass man den ORF nicht auf eine Randveranstaltung zurechtstutzen kann, die niemanden mehr interessiert."
ORF/CHRISTIAN ÖSER
FPÖ will Grundfunk und mehr "alternativ"
Nach einer "Randveranstaltung" klingt das, was die FPÖ unter einem sogenannten Grundfunk versteht. In ihrem Wahlprogramm heißt es, es sei denkbar, öffentlich-rechtliche Leistungen zukünftig am freien Medienmarkt auszuschreiben.
Das geht einher mit einer anderen Forderung der Freiheitlichen: Sie wollen die Förderstruktur so ändern, dass sich sogenannte alternative Medienkanäle etablieren können. "Das Steuergeld soll verschoben werden von seriösen journalistischen Medien hin zu vollkommen einseitigen Propagandaplattformen", hält Kraus vom Presseclub Concordia dazu kritisch fest.
Struktur der Wiener Zeitung "brandgefährlich"
In einer Umfrage des "Standard" im Vorfeld der Nationalratswahl bezeichnete die FPÖ ihrerseits ein ganz anderes Medium als "Propaganda-Organ", nämlich die "Wiener Zeitung". Seit 1. Juli 2023 ist diese ein reines Onlinemedium und sieht sich als öffentlich-rechtlich. Die Transformation war nicht unumstritten. Medienrechtsexperte Lehofer äußert beihilfenrechtliche Bedenken, weil die "Wiener Zeitung" ohne konkreten Auftrag Geld vom Staat bekomme.
Es gibt aber noch ein zweites Problem, das die nächste Regierung beschäftigen wird: 2025 tritt der European Media Freedom Act in Kraft. "Diese Richtlinie verlangt, dass der Staat nicht unmittelbar Einfluss auf die redaktionelle Linie nehmen darf. Das ist beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gewährleistet. Bei der Wiener Zeitung nicht", erklärt Lehofer. Für ihn ist die "Wiener Zeitung" daher eben kein öffentlich-rechtliches, sondern ein Staatsmedium.
Ein Einfallstor für zukünftige Interventionen?
Daniela Kraus kritisiert diese Struktur noch deutlicher: "Die Wiener Zeitung macht jetzt einen guten Job, gute Berichterstattung. Aber die Struktur der Wiener Zeitung ist brandgefährlich." Die "Wiener Zeitung" untersteht als GesmbH nämlich direkt dem Bundeskanzleramt. Ein Einfallstor für zukünftige Interventionen.
Dazu kommt eine Marktverzerrung im Onlinebereich, weil das Medium als "WZ.at" 7,5 Millionen Euro Steuergeld als Grundfinanzierung zur Verfügung hat.
Ein Dorn im Auge ist Kraus auch die Journalistenausbildung. Und zwar nicht nur, weil der "Wiener Zeitung" dafür zehnmal so viel Geld wie anderen Institutionen zur Verfügung steht. "Im Bundeskanzleramt hat man mit der Ausbildung ein gutes Steuerungsinstrument mit einem Riesenbudget. Ich bin erstaunt, dass das nicht diskutiert wird", sag Kraus. Ein "Propaganda-Organ" könnte die "Wiener Zeitung" zukünftig also sehr wohl werden, auch wenn sie heute weit davon entfernt ist.
Irreführender Name Qualitätsjournalismus-Förderung
Statt einseitiger Propaganda journalistische Vielfalt unterstützen: Das ist das Ziel der neuen Qualitätsjournalismus-Förderung. Jährlich werden 20 Millionen Euro ausbezahlt, jheuer zum ersten Mal für 2022 und 2023. Das meiste Geld bekommen die "Kronen Zeitung" und die Regionalmedien, sprich die gratis Bezirksblätter. "Qualitätsjournalismus-Förderung ist ein besserer Name, aber Qualität ist nicht das primäre Kriterium. Das ist einfach eine Branchenförderung", kritisiert Hans Peter Lehofer.
Und diese Förderung bekommt, wer ein Universalmedium ist. Dazu gehört neben Politik- und Wirtschafts-Berichterstattung auch jene über Wissenschaft und Forschung. Dass das überhaupt dort drinsteht, war ein hartes Brett, erzählt Eva Stanzl vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten. "Und es ist aber nur die halbe Miete, weil es nicht finanziell unterfüttert ist."
Das Dilemma des Wissenschaftsjournalismus
Die Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten hätten sich gewünscht, dass es ähnlich wie bei den Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten zu einer pro Kopf-Förderung kommt. In Österreich gibt es nämlich immer weniger von ihnen. Daran hat auch die Berichterstattung über das Coronavirus oder Klimawandel-bedingte Unwetter nichts geändert. Gerade in Österreich ist die Wissenschaftsskepsis extrem hoch. 38 Prozent ziehen den gesunden Menschenverstand wissenschaftlichen Studien vor, zeigt das Wissenschaftsbarometer 2023. "Es ist ganz schwierig, Hardcore-Wissenschaftsskepsis abzubauen", weiß Stanzl. Ob die Politik erkannt hat, dass dafür mehr Geld für Wissenschaftsredaktionen benötigt wird, bezweifelt sie.
Und wo bleibt die Förderung des Neuen?
Gefördert wird also weiterhin nach dem Gießkannenprinzip. Und zwar diejenigen, die ohnehin schon aus anderen Titeln viel Geld bekommen, sagt Daniela Kraus vom Presseclub Concordia. "Was fehlt, ist die Stimulation und die Anregung und die Unterstützung ganz neuer Dinge."
Neue Dinge wollte man mit der ebenfalls neu eingeführten Podcast-Förderung unterstützen. Doch auch hier sagt die Branche: gut gemeint, schlecht gemacht. Eine bestimmte Reichweite als Förder-Voraussetzung bevorzuge zum Beispiel erst recht große Medienhäuser gegenüber kleineren, innovativen Projekten. Für Daniela Kraus gehört die österreichische Förderlandschaft überhaupt neu geordnet – unter dem Aspekt Qualitätsjournalismus
Hass gegen Journalisten steigt sichtbar
An die nächste Regierung hat Kraus außerdem noch einen ganz bestimmten Wunsch: Die Umsetzung einer Empfehlung der Europäischen Kommission zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten. "Niemand redet wirklich gerne darüber. Aber Journalisten und Journalistinnen werden auf Demos zum Teil auch körperlich angegriffen. Und die FPÖ befeuert den Hass gegen sie, man muss es so sagen", sagt Kraus.
Da wird dann zum Beispiel auf Kundgebungen von der Bühne gegen einzelne Journalisten und Journalistinnen gehetzt. Oder es kommt eben tatsächlich zu körperlichen Angriffen, wie es zuletzt "Puls24"-Reporter Christoph Isaac Krammer und sein Kameramann beim Wahlkampf-Finale der FPÖ am Wiener Stephansplatz erlebt haben.
Kraus leitet aus solchen Anfeindungen und dem Erstarken von Propaganda-Kanälen etwas ganz Grundsätzliches ab. "Wir haben in unserer Gesellschaft das Problem, dass wir verwechseln, was Journalismus ist. Wir müssen wirklich aufpassen, wie wir diesen Journalismus-Begriff verwenden. Nicht jedes Mal, wenn jemand aus einem Bildschirm rausredet, dann ist das Journalismus." Und eben nicht alles, was publiziert wird, ist Qualitätsjournalismus. Wo und ob die zukünftige Regierung diese Grenzen zieht, werden die Koalitionsverhandlungen zeigen.