Bekenntnisse einer Vierrad-Diva: Unbehindert Mutter sein …
29. Oktober 2024, 11:28
Bekenntnisse einer Vierrad-Diva, die schonungslose Wahrheit über ein Leben mit Behinderung.
Hallo bei meinem Podcast über die vielen kleinen und großen Diskriminierungen, die eine Frau und Mutter mit Behinderung so in ihrem Leben über sich ergehen lassen muss. Mein Name ist Barbara und ich habe seit vielen Jahren eine Kolumne im Inklusionsmagazin VALID. Um besonders lustig sein zu können, habe ich mir zu Beginn meiner Kolumnenkarriere einen Künstlernamen ausgesucht und mich „die Vierrad-Diva“ genannt. Heute würde ich mich wahrscheinlich nicht mehr als Diva bezeichnen, denn inzwischen bin ich Mutter von zwei Kindern und arbeite neben meinem Job als amtliche Sachverständige auch als Lektorin an der TU Graz und der FH Joanneum. Viel Divenhaftes ist also gar nicht übriggeblieben in meinem Leben. Heute lese ich eine Publikation vor, die in einer Tageszeitung erschienen ist, und danach eine, die im Gegensatz dazu beim gleichen Thema von mehreren Zeitungen abgelehnt wurde, weil sie viel zu radikal sei. Ja, okay, ich hab halt auch einmal den Feinwaschgang ausgeschaltet und so geschrieben, wie ich es mich nur selten traue. Ganz zum Schluss möchte ich euch noch einen Artikel vorlesen, den ich veröffentlicht habe, in dem es auch um das Leben als Mutter geht. Dieser Artikel wurde veröffentlicht am Muttertag, und ich bin besonders stolz darauf, dass ihn ganz viele Menschen gelesen und von mir und meiner Zeit als Mutter von zwei sehr kleinen Kindern erfahren haben.
Das ist ja voll behindert! Mama, Mama, das ist voll behindert, wirft mir meine Vierjährige an den Kopf, weil ich ihr wochentags das Fernsehen verbiete. Eigentlich ist nicht das Fernsehverbot behindert, sondern ich bin es. Ich nutze einen Rollstuhl. Meine Tochter benutzt das Wort „behindert“ als Schimpfwort, aber nicht gegen mich, das ist mir schon klar, sondern weil sie es im Kindergarten oder sonst wo aufgeschnappt hat. Wenn etwas schlecht ist, ist es behindert. Wenn etwas ungerecht ist, ist es behindert. Wenn jemand etwas Dummes tut, ist er behindert. Und so weiter und so fort. Im Umkehrschluss würde das bedeuten, alle Menschen mit Behinderungen wären dumm und wertlos. In Zahlen 16 Prozent der Österreicher können wir vergessen, weil so viele Österreicher sind - genau -behindert. Bitte verzeihen Sie mir diese drastische Wortwahl, aber das ist natürlich absoluter Schwachsinn und obendrein auch noch verfassungswidrig. Die österreichische Bundesverfassung beschreibt in Artikel 7 klar und deutlich, dass niemand wegen seiner Behinderung diskriminiert werden darf. Und bitte was ist mehr Diskriminierung als den gesundheitlichen Zustand einer Person als Schimpfwort zu benutzen?
Das Wort Behinderung find ich eigentlich ganz okay, denn ich bin nicht gehandicapt oder habe besondere Bedürfnisse. Nein, ich bin eine Frau mit Behinderung oder auch eine Mama mit Behinderung. Und manchmal bin ich auch eine Mitarbeiterin mit Behinderung. Also, wie können wir die Situation verbessern? Menschen mit Behinderungen sind Teil der Gesellschaft und dürfen nicht getrennt von „den Gesunden“ durchs Leben geschleust werden. Ein Rechtsanspruch auf die gemeinsame Ausbildung von Menschen mit und ohne Behinderung wäre da schon mal ein Anfang. Und dann? Dann müssen wir uns alle an der Nase nehmen und diese Personen, diese behinderten Personen, Teil der Gesellschaft werden lassen. Arbeiten lassen, einkaufen lassen, Steuern und Sozialabgaben leisten lassen, alles lassen. Aber halt, hoppla, dann hätten wir doch bald kein populäres Schimpfwort mehr für alles Schlechte dieser Welt, dann würde behindert bald mit normal gleichgesetzt werden. Ha! Und wie schimpfen wir dann?
Und hier der weniger weichgespülte Artikel zum gleichen Thema:
Sag Inklusion und alle laufen weg. Sie ist an den Rollstuhl gefesselt oder tapfer meistert sie ihr Schicksal. Wie oft habe ich diese Phrasen gehört oder gelesen und mich für das Unvermögen jener Personen geschämt, die sie produziert haben. Menschen mit Behinderungen werden überhöht und als Helden gefeiert oder als Opfer dargestellt, um Mitleid zu erwecken. Dabei sind sie doch einfach nur Teil der Gesellschaft, obwohl, na ja, eigentlich sind sie es gar nicht. Denn dort, wo Inklusion beginnen würde, gibt es noch viele Hürden, bei weitem nicht nur bauliche, sondern auch finanzielle und gedankliche. Schreien Sie mal laut in einer Fußgängerzone: „Ich will Inklusion für alle Menschen!“ Und Sie werden sehen, alle laufen weg. Inklusion bedeutet nämlich Schule für alle, Arbeit für alle, gleiches Recht für alle.
Aber das spielt‘s halt nicht so einfach, denn der gemeinsame Unterricht für alle Menschen kostet auch was und scheint nun so ferngerückt, wie schon lange nicht mehr. Offensichtlich gibt es nur noch jene Menschen, die man optimieren, ausbilden und formen kann und dann die anderen, die nur in das Schema Spendenempfänger reinpassen. Und die werden dann gesondert unterrichtet, die arbeiten in Werkstätten für ein bisschen Taschengeld anstatt einem ordentlichen Gehalt und erhalten natürlich ob der fehlenden Sozialversicherungsbeiträge später auch keine Pension. Bravo! Bravo! So schleust man Menschen durchs Leben. Aber von Selbstbestimmung kann hier wohl nicht die Rede sein. Damit muss jetzt Schluss sein! Im Artikel 7 der österreichischen Bundesverfassung steht, die Republik bekenne sich dazu, niemanden wegen seiner Behinderung zu benachteiligen. Das ist aber nicht alles. Wir müssten alle gemeinsam diesen Weg gehen und dafür geradestehen. Achtung, Wortwitz von der stets sitzenden und daher auch nie gerade stehenden Rollstuhlnutzerin! Haha! Was ist also dein Beitrag dazu, die Welt inklusiver für Menschen mit Behinderungen zu machen?
Na, was hältst du von diesen beiden unterschiedlichen Herangehensweisen an dieses eigentlich gleiche Thema, nämlich das Thema Inklusion für Menschen mit Behinderungen? Schreib mir, wenn du eine Meinung dazu hast. Sag mir, wie du es empfindest, wie Inklusion derzeit bei uns in Österreich funktioniert oder eben einfach wirklich gar nicht funktioniert. Ich danke dir dafür.
Und nun zu meinem Artikel „Unbehindert Mutter sein“:
Ich erkenne in meinem Gegenüber oft Unsicherheit im Umgang mit mir, auch Mitleid, obwohl beides unangebracht ist. Manchmal lächle ich in so einer Situation das Absurde einfach weg. Manchmal macht es mich auch einfach nur traurig und wütend. In so einer Situation befand ich mich damals am Jugendamt, hochschwanger. Das Gebäude war nur eingeschränkt barrierefrei und die Dame hinter dem Schreibtisch mir eher nicht wohlgesinnt: „Aber“, presste sie die Lippen aufeinander und tischte mir einen Mitleidsblick auf, „jetzt sind sie eh schon schwanger.
Jetzt müssen wir auch schauen, wie wir das hinkriegen. Nicht wahr?“ Sie implizierte damit mehrere Dinge, nämlich, dass ich erstens zu dumm gewesen wäre zu verhüten, wenn ich schon zweitens unbedingt ein normales Eheleben mit allem, was dazu gehört, habe führen wollen. Mit diesen zwei Dingen implizierte sie aber noch ein ganz subtiles Drittens: Was das alles kosten wird, weil ich mir einbilde, unbedingt auch Mutter sein zu wollen und diese Aufgabe als Frau im Rollstuhl natürlich nicht ohne Hilfe werde bewältigen können. Hätte es da nicht eine ganz einfache Lösung dafür gegeben? Fassungslos verließ ich das Büro mit einem Betreuungsvertrag für Familienhilfe in der Tasche. Ich hatte, was ich wollte, und war trotzdem so verzweifelt wie nie zuvor in meiner Schwangerschaft. Wie werde ich als querschnittsgelähmte Frau jemals ein Kind großziehen können? Ich bin nicht nur Mutter und Ehefrau, sondern auch querschnittsgelähmt ab der Hüfte. Im Behindertenjargon lediglich ein Hautabschürfler, weil ich beide Arme und sogar Bauchmuskeln noch nutzen kann.
Damals kurz nach meinem Autounfall erklärte mir mein Gynäkologe, wie fruchtbar ich doch sei und überhaupt: Bei meinem Becken sei Kinderkriegen ohnehin ein Kinderspiel. Haha, Wortwitz, haha! Ich war baff und hatte eigentlich überhaupt nicht einmal damit gerechnet, jemals wieder Sex zu haben. Und dann das! Quasi die Aufforderung eines Arztes zur Vermehrung. 12 Jahre nach meinem Unfall kam meine Tochter zur Welt. Ganz unspektakulär: Drei Stunden Wehen, ab in den Kreißsaal, einfache Geburt, Kind da, Mutter müde, Vater unfassbar stolz. Ja, so einfach hatte ich es! Obwohl ich eine Behinderung habe. Und so einfach ging es aber ehrlich gesagt nicht weiter. Mein Leben unterscheidet sich signifikant vom Leben einer nicht behinderten Mutter. Denn nur das engmaschige Hilfsnetz aus Assistentinnen, Omas, Nachbarinnen, das ermöglicht mir das Muttersein. Ich bin also kaum alleine mit meinen Kindern, die inzwischen fünf und zwei sind. Meine Helferlein sind keine Babysitter, sondern Personen, die meine Beine ersetzen, die trotzende Kinder vom Boden aufheben und heimtragen, Kinder gerade noch erwischen, bevor sie auf die Straße laufen, Spielzeug nach einem Streit ohne Einigung auf den höchsten Kasten deponieren, wo Kinder und auch ich nicht hinkommen. Kinder merken zwar, die Mama kann nicht alles, das bedeutet aber nicht automatisch, dass sie das auch mit Verständnis quittieren.
Aktuell versteckt sich mein Sohn gern unter dem großen Esstisch, und ich bring ihn von dort nicht mehr alleine raus. Da ich morgens mit meinen Kindern alleine bin, heißt es, alle Tricks anwenden, die in einer gesunden Mutter-Kind Beziehung erlaubt sind. Dann bringe ich die Kids in die Kinderbetreuungseinrichtung, damit ich arbeiten gehen kann. Ja genau, denn auf eine Karriere möchte ich auch nicht verzichten, obwohl ich behindert bin, obwohl ich zwei Kinder habe. Ich habe hochgesteckte Ziele und möchte auch noch viel erreichen, dafür arbeite ich aber auch hart und viel. Und auch da wieder: Was für nicht behinderte Mütter heute selbstverständlich scheint, wird an mir oft etwas besonders bewundernswert hervorgehoben. Arbeiten auch noch, he, echt stark! Warum denn das bitte? Da fand ich es fast, aber wirklich nur fast erfrischend undiskriminierend, dass ich als zweifache Mutter einen klassischen Karriereknick verspürte. Als ich bei einem Telefonat für einen wichtigen Fachvertrag beiläufig erwähnte, ich hätte zwei Kinder, war das Gespräch sofort beendet. Kein Interesse mehr, weil kann ja sein, dass ich ausfalle, wenn ein Kind krank wird. Also nicht wegen der Behinderung Karriereknick, sondern wegen der Kinder. Gleiches Problem wie viele Mütter in Österreich, oder? Macht es aber eigentlich auch nicht besser. Vielleicht ist meine Familie also doch nicht so anders, obwohl mir tagtäglich vermittelt wird: Ich, nein wir seien so ungewöhnlich. Mama sitzt im Rollstuhl, weil sie einen Umfaller gehabt hat, wie meine Tochter zu sagen pflegte, wenn jemand wieder einmal blöd gegafft hatte. Egal wo wir hinkommen, jedes Mal ist es für die anderen etwas Besonderes, eine Mama im Rollstuhl mit zwei Kleinkindern und Assistentin anzutreffen.
Es ist ein tägliches Outing, ein permanent ausgesetzt sein, ein beobachtet sein. Ich gehe mit meiner Tochter zum Ballett-Unterricht und werde angestarrt. Was macht die denn da, höre ich tuscheln. Ich betrete mit Sohn und Assistentin die Garderobe beim Geräteturnen. Plötzlich herrscht Stille. Eine Mutter fragt mich, warum ich denn hier bin, wenn ich doch dem Kleinen ohnehin nicht helfen könne. Dass mein Kind mich gerne dabei hätte, oder auch ich gerne sehen würde, wie er das erste Mal über eine Langbank läuft und dann runterrutscht, ist offenbar völlig irrelevant. Am liebsten würde ich rausschreien: „Mein Leben ist perfekt!“ Aber das darf man nicht so einfach sagen, so im Rollstuhl und so. Ich darf nicht damit prahlen, dass ich mit meinem Mann eine tolle Ehe führe, dass ich stolz bin auf meine Kinder, dass mein Berufsleben fordernd ist und wie super ich das auch finde. Meine Kinder sind nicht nur Wunschkinder, sie sind auch perfekt, und umgekehrt lieben sie mich so, wie ich bin.
Es gibt in meinem Leben nichts, das ich ändern würde, obwohl eine Sache wünsche ich mir schon: Ich wünschte, Menschen mit Behinderungen würden in Österreich nicht so auffallen oder so besonders sein. Dann wäre die umfassende Barrierefreiheit der gebauten Welt auch keine Ausnahme mehr, sondern die Regel. Wir Menschen mit Behinderungen würden endlich als Teil der Gesellschaft gesehen werden. Ob ich das noch erleben werde? Das waren die Bekenntnisse einer Vierrad-Diva, die schonungslose Wahrheit über ein Leben mit Behinderung. Du kennst das ja: Wenn du meine Beiträge gut findest, dann lass dir einfach keine Folge der Vierrad-Diva mehr entgehen! Du findest mich überall, wo es Podcasts gibt und auf Social Media. Willst du mehr über mich wissen, dann geh auf meine Website, die „dievierraddiva.at“ heißt. Hab noch eine gute Zeit und bis zum nächsten Mal!