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FPÖ forciert rechtsextremen Verschwörungskanal

Die Normalisierung von Kampfmedien

Wie schwierig ist es, eine Grenze zwischen Propaganda-Medien und journalistischen Medien zu ziehen, ohne dass gleich von Zensur die Rede ist? Die Frage stellt sich, weil die Freiheitlichen als stimmenstärkste Partei im Nationalrat den rechtsextremistischen Verschwörungskanal AUF1 demonstrativ forcieren. Es ist der Versuch einer Normalisierung.

Nationalratspräsident Walter Rosenkranz von der FPÖ hat AUF1 eines seiner ersten Interviews im neuen Amt gegeben, der Interviewer war früher im Führungskader der rechtsextremen Identitären. Kritik an dem Auftritt wischt Rosenkranz weg. "Da gibt es ein Medium, das zugelassen ist, das erlaubt ist. Es sind keine Verbrecher am Mikrofon und hinter der Kamera. Warum soll ich mit diesen Menschen nicht reden?"

Am Tag der Nationalratswahl hat es AUF1 geschafft, sich im Schlepptau des lizenzierten Regionalsenders RTV ins Parlament zu schwindeln und von dort live zu berichten. Völlig haltlose Wahlbetrugsvorwürfe auf Sendung inbegriffen. FPÖ-Obmann Herbert Kickl hat dennoch - oder gerade deshalb - sein erstes Interview als Wahlsieger diesem Medium gegeben.

Walter Rosenkranz und Herbert Kickl

Walter Rosenkranz und Herbert Kickl

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Der Kampf um den vor-politischen Raum

Der Hintergrund ist der Kampf um den vor-politischen Raum, um Medien, Kultur, Universitäten. Rechtsextreme Kreise wie die Identitären und auch Exponenten von AUF1 nennen das "Metapolitik". In einem AUF1-Video wird dazu der ungarische Premier Viktor Orbán als Vorbild bemüht: "Er hat Bündnisse geschlossen, Thinktanks, Stiftungen, Medien aufgebaut, Demonstrationen auf der Straße unterstützt und einen umfassenden Eliten und Personalwechsel vorbereitet."

Ingrid Brodnig ist Expertin für Desinformation und Hassrede im Internet. Sie hat kurz vor der Wahl einen Gastkommentar mitverfasst, der vor der Gleichsetzung von Propaganda-Kanälen mit journalistischen Medien dringend warnt. Manche finden das übertrieben, Brodnig nicht. "Ich würde schon davon ausgehen, dass hier versucht wird, diesen rechtsextremistischen Kanal zu normalisieren. Und in dem Moment, wo ein wichtiger Akteur wie Herbert Kickl wiederholt AUF1 einem großem Publikum sichtbar macht, braucht es journalistische Einordnung."

"Rechtsextremer Kanal wird soll normalisiert werden"

Kickl hat AUF1 am Wahltag das erste Interview als Wahlsieger gegeben und dies als seinen Tribut an die Medienfreiheit dargestellt. Diese sehen solche Propaganda-Kanäle gern bedroht, so wie wenige Tage nach der Wahl, als Facebook die Seite von AUF1 gelöscht hat. Da waren nämlich Droh-Postings gegen Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu lesen wie dieses: "In anderen Ländern werden solche Präsidenten erschossen!"

AUF1 verbreitet sich vor allem über einen Telegram-Kanal mit 290.000 Abonnenten, aber das mit Facebook tue ihnen weh, sagt Ingrid Brodnig. "Dieses verschwörungsaffine Milieu auf Telegram, das haben die ziemlich ausgereizt. Die wollen sicher weiter wachsen und wie können die das? Da brauchen sie wieder die ganz großen Social Media Unternehmen. An erster Stelle in Wirklichkeit Facebook."

Facebook löscht AUF1 und FPÖ-Chef hilft aus

Zum Glück von AUF1 gibt es aber Herbert Kickl und FPÖ-TV. Der Parteikanal übernimmt neuerdings Content vom laut Verfassungsschutz-Bericht rechtsextremistischen Kanal, konkret wurde ein Interview von AUF1-Chefredakteur Stefan Magnet mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán von FPÖ-TV ausgespielt. Und der FPÖ-Chef sichert AUF1 die Präsenz auf Facebook. Ingrid Brodnig: "Er hat allen Ernstes das Interview von AUF1 mit Viktor Orbán geteilt und dann auch noch mit Werbegeldern auf Facebook noch sichtbarer gemacht. Also da sieht man schon, dass Kickl ein Reichweitenhelfer dieses rechtsextremistischen Onlinekanals ist."

Warum ist dieser Onlinekanal kein Medium wie jedes andere, wie Walter Rosenkranz gemeint hat? Der Nationalratspräsident hat dieses Verständnis auf Anfrage von #doublecheck noch einmal bekräfigt, AUF1 sei bei der Medienbehörde KommAustria registriert und im "Verzeichnis der Anbieter von Mediendiensten auf Abruf" erfasst. Zitat Rosenkranz: "Für die Berichterstattung wird das Parlament künftig jedenfalls weiter allen Medien offenstehen.“

Es geht um Aufklärung versus versteckte Agenda

Klaus Meier, Journalistik-Professor an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, befasst sich mit der Abgrenzung von Journalismus zu Propaganda, was angesichts der beschriebenen Entwicklungen immer wichtiger werde. Meier: "Grundsätzlich kann man sagen, dass Journalismus eben aufklären soll und eine öffentliche Aufgabe in der Demokratie ist. Propaganda arbeitet häufig mit Tricks, um zu beeinflussen, also zum Beispiel mit Emotionen, um Ängste zu schüren." Und Walter Strobl, Jurist im Presseclub Concordia bringt die Kernfrage auf den Punkt: "Geht es darum, einen Beitrag zu einer Debatte zu liefern? Oder geht es darum, Partikularinteressen zu bedienen?"

Angst schüren vor dem Weltkrieg und dem Impfen

Stichwörter "Aufklärung" und "Beitrag zur Debatte": In den AUF1 Nachrichten, die fünfmal die Woche auf Telegram gepostet werden, ist dauernd vom Dritten Weltkrieg und Impf-Verschwörungen die Rede, Long Covid etwa gilt den Machern dieser Nachrichten als Folge der Impfung - und generell wird der Sinn von Impfungen auch etwa gegen Masern und Keuchhusten in Frage gestellt.

Für Ingrid Brodnig ein Alarmsignal. "Wir müssen ja nicht nur über das Politische sprechen, sondern auch, was ein Onlinekanal wie AUF1 anrichten kann. Wenn Leute schon im Web skeptisch sind und dort weitere Erzählungen bekommen, die womöglich manche zurückschrecken lassen, sich selbst oder sogar ihren Kinder sinnvolle Impfungen geben zu lassen."

Ein "Rechtsextremismus im feinen Gewand"

Dazu gesellt sich sprachlich ein "Rechtsextremismus im feinen Gewand", wie es in einer umfassenden Recherche aus 2023 der Plattform Correctiv zu AUF1 pointiert heißt. Der Onlinekanal muss sich von Soziologen und Historikern den Vorwurf gefallen lassen, dass er sich antisemitischer Muster bedient - indem etwa permanent der Begriff "Globalisten" verwendet wird, das ist die Chiffre für eine Elite, die die Weltherrschaft an sich reißen will. Das Bild kennt man aus düsteren Zeiten. Ingrid Brodnig: "Da sehe ich die Gefahr, dass AUF1 für aufgebrachte Menschen so das Einfallstor darstellt, wo sie mit einem gewissen Bauchweh oder Unzufriedenheit reingehen und am Ende bei Feindbildern landen, die sehr ähnlich sind zu den klassischen antisemitischen Erzählungen."

Ein "wunder Punkt" der Demokratie

Solche Kanäle müssten schlicht als das behandelt werden, was sie sind: nämlich Propaganda, sagt Journalistik-Professor Klaus Meier. "Wenn wir von wehrhafter Demokratie sprechen und wenn das sozusagen jetzt massenhaft auftritt, dann müssen wir uns überlegen, wo wir hier Grenzen ziehen und die Demokratie schützen können. Denn Demokratie lebt davon, dass die Bürgerinnen und Bürger wahrhaftig informiert werden und eben nicht Falschinformationen aufsitzen. Sonst können wir in freier Gesellschaft nicht mehr leben."

Das Phänomen, dass Medien bewusst Fakten verdrehen und Falschmeldungen verbreiten, das sei relativ neu. Gesetzgeber und in der Folge die Gerichte müssten sich damit beschäftigen, sagt Meier. Die Kriterien seien Faktentreue, inhaltliche Vielfalt und Transparenz bei der Finanzierung. Klaus Meier ist sich des Dilemmas dahinter bewusst: Meinungsfreiheit sei zu Recht ein hohes Gut, die Verfassung sei der Maßstab. "Das ist ein sehr wunder Punkt der Demokratie, könnte man sagen, der eben jetzt erst in den vergangenen Jahren aufgekommen ist."

Bullshit verbreiten als neue Form der Zensur

Meiers Kollege Bernhard Pörksen von der Universität Tübingen formuliert es noch spitzer, er stellt eine fatale Assymetrie in der Annäherung an die Wahrheit fest, was ja die ureigenste Aufgabe von Journalismus sein muss. "Was macht man eigentlich, wenn die eine Seite hemmungslos sich von aller Evidenz befreit, hemmungslos lügt? Wenn es neuartige Formen der Zensur durch Rauschen, durch Bullshitten, durch das Vermüllen von öffentlichen Räumen gibt?"

Die neue Verteilung der Medienmacht leiste dem Vorschub, so Pörksen in einer Rede im Presseclub Concordia. "Ein einziger Tweet von Elon Musk - oft einfach Quatsch, Desinformation, Bullshit - erreicht bis zu 1,2 Milliarden Userinnen und User. Das sind vollkommen neue Macht-Asymmetrien, die einen doch manchmal deprimiert machen können."

Donald Trump und Elon Musk

Donald Trump und Elon Musk

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Elon Musk war mit seiner Plattform X - vormals Twitter - eifriger Wahlhelfer von Donald Trump, er hat in den Swing States täglich eine Million Dollar verlost, um für Trump zu mobilisieren. Ein Richter in Philadelphia sah darin keinen Verstoß gegen die Lotterie-Vorschriften - und Musks Anwälte haben in bester Bullshit-Manier argumentiert: Das Geld werde ja nicht verlost, sondern den Leuten für ihre - Zitat - "Botschafterrolle" gegeben.