Zwischen Überlastung und Protest gegen "Mainstream"

Wenn Nachrichten nichts mehr gelten

Immer mehr Menschen vermeiden bewusst oder unbewusst Nachrichten, sie gehören zu den sogenannten "News Avoiders" - also den Nachrichtenverweigerern. Seit Corona sind es deutlich mehr geworden. Menschen haben oft einfach genug von negativen Meldungen, der Nachrichtenkonsum wird dann zur psychischen Belastung. Viele fühlen sich generell in ihren Bedürfnissen und Erwartungen an die Medien nicht mehr abgeholt, was das Tor zu dubiosen Kanälen mit Verschwörungsinhalten aufmacht.

Sophie Lecheler forscht am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien, sie sagt: "Es geht nicht um die Menschen, denen es egal ist. Es geht um die Menschen, denen es nicht egal ist und die es trotzdem nicht lesen. Das ist Nachrichtenvermeidung." Dass Menschen, selbst wenn sie interessiert sind, den Nachrichtenkonsum einstellen: Das sei ein Phänomen, das man bisher zu wenig berücksichtigt habe, erklärt Lecheler. Nachrichten würden als zu negativ wahrgenommen - "zu konfrontativ, aber auch nicht als konstruktiv genug, als hilfreich, genug, als relevant genug".

Dass die Negativität von Nachrichten zur Vermeidung führt, spiegelt sich auch in den Zahlen des "Digital News Report" wider. Während im Jahr 2019 noch 6,2 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher angegeben haben, Nachrichten oft zu vermeiden, waren es heuer schon 13,9 Prozent.

"Only bad news are good news" stimmt nicht

Josef Seethaler, der an der Akademie der Wissenschaften zur Nachrichtenvermeidung forscht, sieht Krisenphänomene, gerade wenn sie sozusagen unmittelbar vor der Haustür stattfinden, als Auslöser. Aber auch schwierige persönliche Situationen. Wenn dann noch von außen negativen Nachrichten kommen, löse das so ein Gefühl aus: "Ich pack das psychisch nicht mehr, ich kann nicht mehr. Das ist, so würde ich jetzt mal sagen, ist eine Vorstufe zur Nachrichtenvermeidung. Und da hätten dann die Medien auch eine relativ wichtige Aufgabe, solche Menschen wieder rauszuholen." Dass negative Nachrichten im Sinne von "Only bad news are good news" erfolgreich sind, ist laut Seethaler ein Trugschluss.

"Bad News war nie good news, wenn man es zumindest aus einer mittelfristigen Perspektive betrachtet. Wenn jetzt irgendein dramatisches Ereignis passiert, dann ist unmittelbar natürlich der Wunsch, sich darüber zu informieren, in breiten Teilen der Bevölkerung groß. Aber das hält ja nicht an." Mittelfristig hätten zu viele negative Nachrichten einen negativen Einfluss auf das Vertrauen, sagt Josef Seethaler.

Für viele Menschen ist es einfach zu viel

Auch die Fülle an Nachrichten, also ein "News Overload" habe in der Corona-Pandemie dazu geführt, dass viele die Nachrichten gemieden haben und sich dadurch auch von Nachrichten abwenden, wie Sophie Lecheler erklärt: "Für viele Menschen ist das einfach zu viel. Und deswegen gibt es ja auch Bewegungen wie Digital Detox, um sich auszuklinken." Nachrichtenvermeidung sei da durchaus eine natürliche Reaktion, nicht alles passe zum "Doomsday Narrative" - dass keiner mehr irgendwas wissen will. Oft sei Nachrichtenvermeidung auch einfach Selbstschutz, das sei verständlich und habe eigentlich keine demokratiepolitische Tangente.

Bei einer zweiten Gruppe von Nachrichtenvermeidern gebe es diesen Aspekt aber sehr wohl, betont Lecheler. "Das sind Menschen, die sich strukturell nicht repräsentiert sehen in den Medien, die das Gefühl haben, dass die Mainstream-Medien, was auch immer das bedeutet, in verschiedenen Kontexten sie nicht informieren wollen, dass sie Dinge vorenthalten, dass da vielleicht sogar Desinformationen drin sind. Und diese Menschen, die vermeiden eben kontinuierlich alle Medien, die wir jetzt so als normale Medienlandschaft kennen würden in Österreich."

Ein Reservoir für die Verschwörungs-Erzähler

Wenn Menschen so gut wie keine Information mehr aktiv suchen und nutzen, wird es problematisch. Laut "Digital News Report" sind das in Österreich 14 Prozent. Wenn sich dieser Bevölkerungsanteil nicht mehr informiert, dann kann das mehrere Auswirkungen haben, wie der Medienwissenschafter Josef Seethaler erklärt: "Das kann einerseits dazu führen, dass - wenn ich keine solide Informationsgrundlage habe - ich anfälliger werde für Verschwörungstheorien und andere irrationale Erklärungsmuster. Das kann dazu führen, dass ich mich aus dem gesellschaftlichen Leben als Ganzes zurückziehe, weil ich habe ja keinen Konnex mehr, keinen Anschlusspunkt."

Ein Grundsatzproblem für die Demokratie

Wenn ein immer größerer Teil der Bevölkerung da rauskippe, dann habe die Demokratie, die auf eine Beteiligung möglichst vieler Menschen angewiesen ist, ein Grundsatzproblem, sagt Seethaler.

Auch die Kommunikationswissenschafterin Sophie Lecheler sieht bei denjenigen, die bewusst Nachrichten vermeiden, die Gefahr der Radikalisierung und der Spaltung. Diese Leute würden oft in spezielle Medienrealitäten und in die Verschwörungs-Ecke abdriften. Lecheler: "Wir sprechen jetzt nicht nur von Telegram-Gruppen, die durch irgendwelche Influencer auf Social Media geleitet werden, sondern wir sprechen von hochprofessionellen alternativen Medien, finanzierten Medien, die auch durchaus prominente Interviewpartner und -partnerinnen immer wieder haben, die aber völlig verschweigen, dass sie eben sehr stark Ideologie basiert operieren." Aber: Nicht alle "News Avoiders" sind automatisch anfällig für Verschwörungstheorien oder Propagandaplattformen.

Investigativ-Journalismus als eine Chance

Laut Lecheler weichen interessierte Nachrichtenverweigerer auch auf neue Formen von Qualitätsmedien aus, die investigativ recherchieren und nicht durch konventionelle Modelle finanziert werden. Im Investigativ-Journalismus liege daher auch eine Chance, Nachrichtenvermeider zurück ins Boot zu holen.

Es sei auch wichtig, auf die unterschiedlichen Altersgruppen einzugehen: Die Gruppe der älteren Menschen wünscht sich laut Josef Seethaler vor allem mehr Tiefgang in den Nachrichten und weniger "Shortcuts", also Kurzinformationen. Und die Jungen sind besser zu erreichen, wenn man sie persönlicher anspricht, so Seethaler: "Das Einordnen politischer, gesellschaftlicher Ereignisse in den persönlichen Lebenszusammenhang. Eine sehr großen Aufgabe, wie es der ORF mit der Zeit im Bild auf TikTok zu lösen versucht. Das ist ein möglicher Weg."

Journalistische Angebote für die Erschöpften

Außerdem wird sich die Journalismus-Branche Gedanken darüber machen müssen, wie man jenen Nachrichtenverweigerern begegnet, die von der permanenten Nachrichtenüberflutung erschöpft sind, sagt Sophie Lecheler: "Wir sehen zum Beispiel immer mehr, dass eben vor allem junge Menschen versuchen, die Komplexität ihrer Mediennutzung zu reduzieren. Also weniger screen time, mehr Papier, Bücher lesen zum Beispiel, weniger am Handy sein, Digital Detox usw. Das ist durchaus etwas, was auch für den Journalismus relevant ist." Die Frage sei, inwiefern der Journalismus zu dieser Reduzierung von Komplexität beitragen kann durch Produkte, die vielleicht auch einfach nur analoge Aspekte haben. Es gebe etwa in den USA auch wieder Medien, die anfangen, auf Papier zu drucken.

Konstruktiver Journalismus heißt anders erzählen

Nicht neu, aber weiterhin gültig ist der Ansatz: Journalismus muss konstruktiver werden. Da gehe es nicht um Schönfärben, betont Sophie Lecheler, sondern um eine neue Form des Erzählens: "Also nicht nur das herausarbeiten, was alles nicht geklappt hat, was alles problematisch ist, sondern von diesen Krisen, von diesen Problemen auch an Lösungen anknüpfen. Mit Vorschlägen, aber auch Beispielen, wo es schon geklappt hat, wo es schon gut geht. Also die Verbindung vom Negativen mit dem Positiven." Es gehe nicht nur darum, dass sich die Mediennutzer und -nutzerinnen besser fühlen, sondern vor allem darum, auch Wirksamkeit zu vermitteln. "Die Leute sollen das Gefühl haben, hier können Dinge verändert werden, es ist nicht hoffnungslos", sagt Lecheler.