Sara Minkara - Wir müssen mitentscheiden und schwierige Gespräche führen
27. Dezember 2024, 13:31
Herzlich willkommen bei FreeCasters, sagt Sandra Knopp. Unser Podcast dreht sich um Menschen, Geschichten, Leidenschaften und Inklusion.
Unsere heutige Gesprächspartnerin ist überzeugt, dass althergebrachte Vorstellungen über das Leben mit Behinderung aufgebrochen werden müssen. Sie ist der Ansicht, Menschen mit Behinderung müssen sich bei allen wichtigen Themen einbringen können, etwa bei Klimaschutz, Wirtschaft und Sicherheit. Sara Minkara ist Sonderberaterin für Behindertenrechte im US-Außenministerium. Mit ihrem Team setzt sich die Amerikanerin dafür ein, dass die Expertise von Menschen mit Behinderung in viel mehr Bereiche einfließen kann. Wir haben Sara Minkara bei der Zero-Konferenz 2024 in Wien in der UNO-City getroffen und mit ihr über Ableismus, ihren Bildungsweg und ihre Ziele gesprochen. Das Gespräch führten Christoph Dirnbacher, Udo Seelhofer und ich auf Englisch. Die Gesprächspassagen fassen wir auf Deutsch zusammen.
Sara Minkara ist Jahrgang 1989 und wurde in den USA geboren. Sie ist Muslima und trägt ein Kopftuch. Sie ist wie ihre Schwester im Alter von sieben Jahren erblindet. In einem Video im Rahmen des Global Leadership Awards, den sie 2023 erhielt, erzählt Sara Minkara, dass sie Mathematik und Natur liebt, aber manchmal auch eine Troublemakerin sei. Damit meint sie, Unruhe in bestimmten Bereichen zu stiften. Dort, wo sich Menschen mit Behinderung zu wenig einbringen können. Die 34-Jährige ist überzeugt, dass sich das Bild von Menschen mit Behinderung wandeln muss. Jeder Mensch soll gesehen, gehört und wertgeschätzt werden. Um das zu erreichen, müsste diskutiert werden, warum Menschen mit Behinderung zu wenig teilhaben können und wie sich das ändern lässt. Seit 2021 ist Sara Minkara Special Advisor on International Disability Rights. Sie ist im US-Außenministerium dafür verantwortlich, welche Strategie die USA zum Thema Behinderung und Behindertenrechte verfolgen. Ihr ist es wichtig, dass ein Fokus auf die Perspektive von Menschen mit Behinderung in zentralen Bereichen wie Klimaschutz, Künstliche Intelligenz oder Demokratie gelegt wird. Dafür ist sie auch viel im Ausland unterwegs, erzählt sie auf der Zero-Konferenz in der UNO-City in Wien. Sie hat über 30 Länder bereist und am internationalen Parkett über Behindertenpolitik und die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen gesprochen. Weiter setzt Sara Minkara auf Gespräche mit Journalistinnen und Journalisten, um Narrative, also wiederkehrende Erzählungen sowie Vorurteile über das Leben mit Behinderung zu verändern. Es brauche viel mehr als nur Heldengeschichten oder Mitleidserzählungen. Stattdessen bräuchte es eine authentische Berichterstattung aus dem Alltag mit Behinderung.
Minkara will mehr Raum für Gespräche schaffen. Das Thema Behinderung soll auch in Sachen Klimaschutz, Ernährungssicherheit oder künstliche Intelligenz mitgedacht und mitgeplant werden.
In diesem Teil des Gesprächs geht es um Ableismus, ein Begriff, das strukturelle Missstände beschreibt und weit mehr umfasst als Behindertenfeindlichkeit. Damit gemeint sind Vorurteile und Klischees, aber auch überschwängliches Lob dafür, Alltagstätigkeiten trotz der Behinderung zu erledigen, anstatt aktiv über Barrieren nachzudenken und diese zu beseitigen. Auch Sara Minkara hat Ableismus erlebt. Sie traf auf Menschen, die ihr sagten, was sie als blinde Frau in der Lage ist zu erreichen oder was nicht. Die ihr nicht zutrauten, zu studieren oder einen anspruchsvollen Job zu finden, die mit ihren Freundinnen und Freunden sprachen, anstatt mit ihr. Sara Minkara ist überzeugt, dass jeder Mensch eine spannende Geschichte zu erzählen hat. Ihre Familie und ihr Umfeld ermutigten sie, an sich zu glauben. Saras Eltern stammen aus dem Libanon, dorthin reiste die Familie regelmäßig im Sommer. Bildung war für ihre Eltern sehr wichtig. Besonders ihre Mutter ermutigte sie und ihre Schwester, ihre Behinderung nicht zu verstecken und förderte Saras Leidenschaft für Mathematik. Zunächst studierte sie Mathematik und Ökonomie am Wellesley College. Dort fragten sie Studienkolleginnen und Kollegen, welche Kurse sie als nächstes belegen würde. Warum? Weil sie das Gefühl hatten, dass die Lehrenden viel besser erklärten, wenn Sara teilnahm. Da sie die Tafel nicht sehen konnte, mussten sie einen anderen Zugang finden, ihr den Prüfungsstoff näher zu bringen. Einige Prüfungen absolvierte sie mündlich statt schriftlich. Anschließend studierte sie auf der Elite-Universität Harvard Public Policy.
Ihre Familie war für Sara Minkara sehr wichtig bei der Erreichung ihrer Ziele. Sie erlebte aber auch, dass dieser Rückhalt nicht selbstverständlich ist. Daher gründete sie als Studentin die gemeinnützige Organisation „Empowerment Through Integration“, die blinde und sehbehinderte Jugendliche unterstützte, an der Gesellschaft teilzuhaben. Veranstaltet wurden integrative Sommercamps, Sozialprojekte, Eltern- und Familienworkshops, sowie Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer.
Sara Minkara wurde schon oft interviewt. Gibt es eine Frage oder Redewendung, die sie geärgert hat? Sie mag es nicht, wenn das Wort Behinderung allzu blumig umschrieben wird. Etwa wenn von Menschen mit besonderen Bedürfnissen gesprochen wird. In solchen Situationen sagt sie: Sie brauchen Licht, ich nicht. Also haben Sie besondere Bedürfnisse.
Was möchte Sara in ihrem Job erreichen? Sie wünscht sich, dass Ihr Team und die Ihr nachfolgenden Kolleginnen und Kollegen mit Ihrer Mission fortfahren können, mehr Chancen für Menschen mit Behinderung zu eröffnen. Sie könnte sich aber auch vorstellen, nach ihrer Tätigkeit als Special Advisor als Unternehmerin tätig zu sein.
Die US-Amerikanerin wünscht sich, dass die Stimmen von Menschen mit Behinderung noch mehr gehört werden und Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen diese Perspektive deutlich am Schirm haben. Es brauche Räume für Begegnungen, die auch schwierig sein können. Und es brauche auch manchmal unkonventionelle Partnerschaften. Für ihr eigenes Arbeitsumfeld schwebt ihr Folgendes vor: Die Expertise von Menschen mit Behinderung soll in jedem Themenfeld berücksichtigt werden, Politik, Wirtschaft, Handel oder Öffentlichkeit, das ist einer ihrer Träume.
Sie hörten ein Gespräch mit Sara Minkara, sie ist Sonderberaterin für Behindertenrechte im US-Außenministerium. Wir haben sie im Rahmen der Zero-Conference 2024 in der UNO-City in Wien
getroffen. Die Fragen stellten Christoph Dirnbacher, Udo Seelhofer und ich. Das war FreakCasters für heute. Bis zum nächsten Mal, sagt Sandra Knopp.
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