Vjosa-Wildfluss-Nationalpark

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Radiokolleg

Der Vjosa-Wildfluss-Nationalpark

Mehr als zehn Jahre lang hatten Naturschutzorganisationen, Forscher:innen, Musiker:innen, Künstler:innen und Anwält:innen gegen Kraftwerksprojekte und für den Schutz des Flusses Vjosa in Albanien gekämpft und hatten schließlich Erfolg. Am 13. März 2023 wurde die Vjosa in Albanien zum ersten Wildfluss Nationalpark in Europa erklärt. Die Freude darüber war nach mehr als zehn Jahren Einsatz für den Schutz des Flusses groß.

Die Vjosa entspringt als Aoos in Griechenland und fließt in Albanien frei bis in die Adria. Der wilde, sich ständig verändernde Fluss mit seinen tiefen Schluchten, breiten Schotterflächen, Mäandern und einem großen Delta hat eine Vielfalt an Lebensräumen und Arten entstehen lassen, die anderswo in Europa sehr selten geworden sind oder nicht mehr existieren. Denn in den vergangenen rund 150 Jahren wurden die meisten Flüsse in Europa begradigt und verbaut.

Breiter Widerstand gegen Wasserkraftwerke

Als im Jahr 2011 bekannt wurde, dass an der Vjosa und ihren Zuflüssen zahlreiche Wasserkraftwerke gebaut werden sollen, die diese Dynamik, die besonderen Ökosysteme und die kleinen Dörfer am Fluss, zerstört hätten, formte sich breiter Widerstand. Die Naturschutzorganisationen EuroNatur Deutschland und Riverwatch mit Sitz in Wien begannen, sich gegen die Kraftwerksprojekte und für den Schutz der Vjosa zu engagieren.

In Albanien wurden dafür die Naturschutzorganisation EcoAlbania gegründet und rechtliche Möglichkeiten gesucht, die Kraftwerksprojekte zu verhindern. Auch Musiker, Künstlerinnen und Schauspieler wie Leonardo di Caprio sowie die Bewohner:innen der kleinen Dörfer am Fluss machten auf das Thema aufmerksam. Das Engagement auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene gemeinsam mit der Naturschutzarbeit der US-Outdoor-Firma Patagonia überzeugte schließlich den albanischen Premier Edi Rama und brachte den Schutz für den Fluss.

Rafting im Vjosa-Fluss

AP/FELIPE DANA

Das eben Erreichte schon wieder bedroht

Die albanische Regierung sieht den Vjosa-Wildfluss-Nationalpark nun als Chance für den Tourismus, allerdings nicht unbedingt für den Ökotourismus, sondern für Luxusresorts am Meer. Internationale Investoren, darunter Jared Kushner, Schwiegersohn von Donald Trump, pumpen Geld in das Land. Damit ist das eben Erreichte schon wieder bedroht.

In dem Delta, das für Vögel ein bedeutender Lebensraum ist, wird ein Flughafen gebaut. Dazu gibt es Pläne für große touristische Projekte am Meer, die Schildkröten und andere Tiere und Pflanzen gefährden würden. An der Shushica, dem wichtigsten Zufluss der Vjosa und Teil des Nationalparks, wurde mit dem Bau einer Wasserleitung für die Tourismusregion Himara am Meer begonnen, der Fluss würde nahezu austrocknen. Neue Raftingunternehmen siedeln sich an, obwohl der Managementplan für den Nationalpark nur sehr beschränkte Nutzung der Vjosa vorsieht. Und kürzlich wurde ein Gesetz verabschiedet, das den Bau von Fünf-Sterne-Einrichtungen für den Tourismus in Schutzgebieten erlaubt. All das ist ein Schlag ins Gesicht für all jene Menschen, internationalen Organisationen und Institutionen, die Albanien mit Fachwissen und Geld bei der Gründung und Umsetzung des Nationalparks unterstützen.

Nicht nur eine Aufgabe für Albanien

Für all jene, die sich für den Schutz der Vjosa und ihrer einzigartigen Ökosysteme einsetzen, währte die Atempause also nur kurz. Sie kämpfen weiter für den wilden Fluss, damit nicht wiedergutzumachender Schaden abgewendet werden kann.

Für die Wissenschaft drängt ebenfalls die Zeit, denn viele Arten und Prozesse an und in der Vjosa sind noch nicht einmal erforscht und würden durch Bautätigkeiten und Übernutzung für immer verloren gehen. Der Schutz der Vjosa ist deshalb nicht nur eine Aufgabe für Albanien. Der Wildfluss ist auch eine Referenz für Renaturierungsprojekte an europäischen Flüssen, die in der Vergangenheit verändert und beeinträchtigt wurden.

Gestaltung

  • Sonja Bettel