Bekenntnisse einer Vierrad-Diva: Arzttermin einmal anders

Na, heute noch gar nicht so richtig gelacht? Dann bist du hier sehr gut aufgehoben bei meinem Podcast über die vielen großen und kleinen Diskriminierungen, die eine Frau und Mutter mit Behinderung so in ihrem Leben über sich ergehen lassen muss. Mein echter Name ist Barbara und der Künstlername „Die Vierrad-Diva“ ist eigentlich schon ein bisschen in die Jahre gekommen. Als berufstätige Mutter von zwei Kindern bleibt in meinem Leben auch wirklich wenig Divenhaftes übrig. Also hör doch selbst rein in die skurrile Welt der Diskriminierungen, dort, wo Ableismus täglich erlebt wird, aber natürlich herzlich darüber gelacht werden darf.

Ein ganz gewöhnlicher Arzttermin.

Der Herbst und der Winter sind nicht so meine Jahreszeiten. Wenn andere glücklich strahlend die Spaghetti-Tops gegen kuschelige Pullover tauschen, backe ich mürrisch meine Wintersachen zurück in den Kasten und warte fluchend auf die erste Erkältung. Und na ja die kommt natürlich pünktlich nur wenige Tage, nachdem der Nachwuchs schnupfend von der Schule heimkehrt. Während die Mini-Me und der Little Boy nach nur wenigen Tagen wieder super fit sind, läuft bei mir die Erkältung alle nur erdenklich möglichen Stadien durch und endet nach zwei Wochen im Dauerhusten. Zwei durchwachte Nächte halte ich aus, bis ich völlig fertig bei meiner Ärztin anrufe und sofort einen Termin bekomme. Ich mache mich früh auf den Weg, wohl wissend, dass ich bis in die Praxis noch einige Hürden zu überwinden haben werde. Die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit meiner Ärztin wiegen zwar die Barrieren zu ihrer Praxis jedes Mal auf, aber anstrengend ist es trotzdem und zwar für alle Beteiligten. Gemeinsam mit ihrem Mitarbeiter hilft sie mir nämlich jedes Mal die vier Stufen hoch, die das Eingangsniveau vom alten, klapprigen Aufzug trennen, der mich noch ein weiteres Geschoß nach oben befördern muss. Während meine Helfer mir nun über die erste Hürde helfen, prahlen sie begeistert mit dem neuen Aufzug, der viel größer und moderner ist und vor allem viel barrierefreier sein soll. Diese Info quittiere ich mit einem mittelgroßen Hustenanfall und viel erfreutem Kopfnicken. Die Freude währt aber nur kurz, denn beim Aufzug angekommen bemerke ich, dass die Brandfallstellung aktiviert ist und der Aufzug keinen Meter mehr fährt. Da es im Gebäude nicht brennt und niemand evakuiert wird, handelt es sich wohl um einen einfachen technischen Defekt. Nur für mich ist dieser Defekt im Moment fatal, denn wir stehen nun alle ziemlich dumm im Treppenhaus herum und schauen nach oben. Vier Stufen sind eine Sache, aber ein ganzes Stockwerk in einem historischen Altstadtgebäude mit entsprechend gewendelten Stufen nach oben ist ganz etwas anderes. Der Mitarbeiter presst betroffen die Lippen aufeinander und eilt nach oben. Das Telefon läutet bis zu uns hörbar im Dauerlauf. Die Ärztin und ich sind nun allein. „Was machen wir jetzt?“, frage ich zwischen zwei Hustern. Hinter uns gehen eine Mutter und ihr kleines Kind die Treppe nach oben. Ich muss lachen ob der Absurdität der Situation. Wir können nicht vor und nicht zurück und stehen da wie zwei begossene Pudel, während alle anderen Personen an uns vorbeihuschen. Ja, was wäre, wenn wir die Behandlung einfach hier machen, fragt mich die Ärztin völlig unvermittelt. Ich bin erstaunt und gleichzeitig erleichtert, nicht umsonst den Weg auf mich genommen zu haben. Ich nicke und huste und wir suchen uns im Treppenhaus ein feines Plätzchen, wo wir etwas ungestörter sind. Wir sind zwar für jeden sichtbar, stehen aber nicht direkt am Gehweg der vielen anderen Personen, die das Gebäude betreten oder verlassen. Die Ärztin beginnt mich zu untersuchen und zu befragen. Dabei legt sie außerordentlichen Wert auf Diskretion und wir schweigen und ich huste immer, wenn jemand mal wieder vorbeikommt. Nach wenigen Minuten einigen wir uns darauf, dass eine Infusion die richtige Behandlung wäre. Ruckzuck haben die Ärztin und ihr Team alles zu mir nach unten gebracht und schon geht es los. Die Ärztin hat die Nadel schon in der Hand, da geht plötzlich das Treppenhauslicht aus. „Könnten Sie mir mit der Handy-Taschenlampe leuchten?“, fragt sie selber nun völlig verunsichert. Auch sie hat solche Voraussetzungen noch nicht erlebt. Tapfer leuchte ich ihr also den Weg zu meinen Venen, und während wir da sitzen und die Arznei in meinen Arm tröpfelt, scherzen wir über die unfassbare Absurdität dieser Situation. Immer wieder gehen andere Personen etwas entfernt von uns zum Aufzug, um dann seufzend doch die Treppen nach oben zu nehmen. Wir lachen und scherzen, und es geht mir schon wesentlich besser. Als wir fertig sind, kommt ein anderer Arzt bei uns vorbei und meine Ärztin erzählt ihm in kurzen Worten, was passiert ist und wie unangenehm ihr das ist. Der Arzt selber schon ziemlich alt und eigentlich ganz offensichtlich auch schon eingeschränkt in seiner Mobilität, zuckt nur mit den Schultern. Ich schau etwas verdutzt, was ist denn da jetzt los? Meine Praxis, die war nie barrierefrei und ich hätte die Patientin gar nicht aufgenommen, wenn sie einen Rollstuhl braucht, faucht der Böse mit abfälligem Blick zu mir. Mir wird ganz heiß vor lauter Scham. Die Ärztin aber ignoriert ihn lässig, dreht sich um und sagt: Jetzt erst recht! Dass der Lift einmal ausfällt, das kann ja passieren, aber die vier Stufen kriegen wir sicherlich auch noch weg.

Wie oft habe ich das schon erlebt: Menschen, die offensichtlich selber von der Barrierefreiheit super profitieren würden, lehnen diese völlig ab. In diesem Fall ist es sogar so, dass der voll fiese, gemeine Arzt, der mich abgelehnt hätte, wie er gesagt hat, immer wieder das Service des Roten Kreuzes in Anspruch nimmt, um Patientinnen in seine Praxis bringen zu können. Warum das so ist? Jede von uns kann sich einmal das Bein brechen und temporär auf die Barrierefreiheit angewiesen sein. Wie wichtig die Barrierefreiheit für uns alle ist, hören wir in der nächsten Geschichte.
Verzweiflung unter Müttern.

Am Vortag waren wir noch in bester Partylaune, weil die Kinder Geburtstag hatten und nun war alles anders. Bei der Riesenhüpfburg hatte sich die Mini-Me verletzt und war nach der anstrengenden Party noch den Großteil der Nacht wachgelegen. Und ich natürlich mit ihr, was denn sonst? Gespannte Nerven daher im Auto am Weg in die Klinik. Ja, im Auto, denn das Klinikgelände liegt zwar bestens öffentlich erschlossen, aber genau die Kinderklinik liegt malerisch ganz oben auf dem steilen Hügel. Da komme ich mit Rollstuhl und verletzter Mini-Me mit Schmerzen und daher von sämtlichen Hilfsdiensten befreit nie und nimmer rauf. Tja, Mini-Me und ich erregen schon mal die Aufmerksamkeit so mancher Einmischer. Eine Dame vor uns an der Supermarktkasse musterte uns neulich auffällig und sagte dann: „Geh, Ihre Tochter ist ja so groß, die unterstützt Sie überall. Nein, super ist das, wie die das brav macht.“ Die Mini-Me schaute mich dann mit großen Augen an, denn, lassen wir die Kirche im Dorf: Meine Kinder sind wunderbar, aber ich traue mich wetten, dass sie mich genauso wenig oder viel unterstützen wie andere Kids ihre Mama auch. Normal einfach, daher antworte ich damals gekonnt schnippisch: Na ja, ich habe sie ja unterstützt, bis sie so groß geworden ist, ned wahr? Aber heute ist da nichts mit Unterstützung. Den Hügel zur Klinik kommen wir nur motorisiert hoch. Leider finden wir auf der Kuppe keinen Parkplatz, denn alle barrierefreien Parkplätze sind belegt. Ich sehe einen Wachmann, klage ihm durchs Autofenster mein Leid. Er lässt uns am Gehsteig vor einem Baum parken. Wir eilen in die Klinik, wo uns ein professionelles und freundliches Team sämtliche mögliche Diagnosen erklärt. Mit Tipps und Tricks gegen die Schmerzen sowie einem Gips kommen wir wieder nach draußen und sehen, wie ein hochglänzender SUV-Minivan gerade auf einem freigewordenen barrierefreien Parkplatz einparkt. Natürlich fahre ich sofort hin. „Entschuldigen Sie, haben Sie einen Parkausweis?“, frage ich fordernd und die Antwort kommt prompt: „Nein, habe ich nicht, aber Zwillinge!“ Und im versöhnlicheren Nachsatz kommt dann noch: „Ich weiß eh, dass ich hier nicht stehen darf, aber mein Kind ist krank und ich kann sonst nirgends stehen.“ „Mein Kind ist auch krank und hat Schmerzen, und ich komme nicht einfach da auf den Hügel rauf mit dem Rollstuhl. Sie hätten unten parken und dann mit dem Kinderwagen raufkommen können“, kontere ich wütend. Aber mir vergeht die Wut, als ich mir die Mutter genauer ansehe. Augenringe, wie ich sie habe, deuten auf eine durchgemachte Nacht hin. Die Frisur inexistent, die Jeans und das T-Shirt definitiv nicht nach modischen Aspekten gewählt, sondern nur nach Fundort. Meine Annahme: ganz oben am Bügelwäscheberg. Und wie leid sie mir tut. Sie hievt einen riesenhaften Zwillingskinderwagen und dann zwei maulende 3-Jährige aus dem Auto und einer davon hustet wie verrückt. Ich fahre wortlos zu meinem Auto und setze mich rein. Die Mini-Me sitzt schon leicht lethargisch neben mir. Der Klinikbesuch hat sie total fix und fertig gemacht. Dann nehme ich mir ein Herz, lasse nochmal das Fenster runter und rufe hinaus: „Alles Gute für die Kinder und viele starke Nerven wünsche ich Ihnen. Und nichts für ungut, aber Sie müssen verstehen, wie blöd das für mich da ist mit dem Hügel.“ Sie lächelt müde zurück und nickt und verspricht mir, sich nicht mehr auf einen barrierefreien Parkplatz zu stellen. Auf der Heimfahrt komme ich ins Grübeln: Ja sicher, wir Mütter haben uns gerade angepflaumt, aber schuld sind die wenigen Parkplätze vor einer Klinik, in die kranke und weinende Kinder von ihren besorgten Eltern gebracht werden. Und ausbaden müssen den ganzen Schlamassel mal wieder wir Mütter. Es gibt keine praktikable Möglichkeit, mit einem kranken oder verletzten Kind dort hin zu kommen und dann müssen wir uns auch noch müde und verzweifelt um die wenigen Parkplätze streiten.

Ja, ja, manchmal denke ich mir, die Welt wäre viel barrierefreier, wenn auch mal die Väter diese vielen Hürden überwinden müssten. Andererseits weiß ich aber auch, dass wir Eltern alle zu kämpfen haben und nicht immer dabei gut unterstützt werden, wie folgende Geschichte gut zeigt.
Zwei gelungene Prachtexemplare.

Die Mini-Me ist sieben Wochen alt und es ist die erste kinderärztliche Untersuchung für mein Baby. Der Arzt blickt mürrisch auf, mustert zuerst mich im Rollstuhl sitzend, dann meine mich begleitende Schwiegermutter mit Beinprothese und ganz offensichtlich gehbehindert und erst zum Schluss das kleine Mädchen in der Babyschale. Er wendet sich ab und sagt mir missbilligend: „Na, ihr seid ein eigenartiges Gespann!“ Ich bin geschockt und fertig. Wusste ich es doch, sogar der Kinderarzt findet es falsch, dass eine querschnittsgelähmte Frau Kinder bekommt. Dann fragt mich der Arzt aus, wie ich denn überhaupt mit dem Kind zurechtkäme, macht sich Notizen am Computer und ist wirklich unhöflich und forsch. Was ist mit der persönlichen Assistenz? Ob ich denn nicht wisse, dass viele Bezugspersonen meinem Kind schaden würden? Was ist, wenn die Oma mal nicht helfen kann? Und was passiert, wenn ich, die Mutter, krank werden sollte? Warum kommt eigentlich nicht der Vater zum Kinderarzttermin? Er lässt mir kaum Zeit zu antworten, und ich stottere und stammle, denn ich fühle mich gestresst und in die Enge getrieben. Nach der Untersuchung bin ich den Tränen nahe. Das ist also der Tenor der Außenwelt: Alle finden wohl, ich sollte gar kein Kind haben. Viele Jahre ging es dann so weiter. Immer wieder fand mein Arzt Möglichkeiten zur Kritik. Meine Tochter war ihm zu schwergewichtig als noch vollgestilltes Stillbaby. Mein Sohn war ihm stets zu dünn. Meine Tochter lernte erst zu spät gehen, und der Arzt gab mir die Schuld. Wenn Ihr Kind immer nur Sie im Rollstuhl sieht, wird es nicht gehen lernen wollen, blaffte er mich an. Mein Sohn sprach in den Augen des Arztes viel zu spät und viel zu undeutlich, was ganz klar an den vielen Assistentinnen lag, die mit der Kleinen redeten. Trotzdem wechselte ich nicht den Arzt, denn in der Innenstadt ist es nahezu unmöglich, einen barrierefreien Arzt zu finden. Ich erduldete alle negativen Kommentare mit stoischer Ruhe, denn ich hatte es mir ja selber ausgesucht, Mutter zu sein, oder? Urplötzlich kam die schockierende Nachricht, dass mein Kinderarzt in Pension geht. Ich war völlig von den Socken, hatte mich über die vielen Jahre und die vielen Beleidigungen hinweg daran festgeklammert, dass ich zumindest immer einen ärztlich geschulten Ansprechpartner haben werde. Ein Anrufmarathon ging danach los. In meiner Stadt gibt es 25 Kinderarztpraxen und nur acht davon sind barrierefrei zugänglich. Kein einziger der acht barrierefreien Kinderärzte wollte mich mit meinen Kindern als Patientinnen aufnehmen. Nach vielen Telefonaten und einigen Betteleien bei den Sprechstundenhelferinnen bekamen wir nach, wohl gemerkt, fünf Monaten Wartezeit, endlich einen Termin für beide Kinder. Als wir dann in der Praxis auftauchen, bin ich nervös und habe mal wieder Angst. Meine Kinder sind zwar jetzt schon acht und fünf Jahre alt, aber dennoch: Was wird der neue Arzt wohl zu uns und vor allem zu mir als Mama im Rollstuhl sagen? Wir betreten den Raum und der Arzt lächelt mich an. Kein Wort zu meiner Behinderung. Er trägt zwei unterschiedlich gefärbte Schuhe und mein Schnellchecker-Sohn fragt ihn ohne Sprachfehler und wortgewand, warum das so ist. Meine Tochter erzählt ihm, wie toll die Ferien seien und wie spaßig sie Sport findet. Beide Kinder werden von Kopf bis Fuß durchgecheckt, und ich versuche entspannt zu bleiben. Der Arzt lehnt sich zurück und sagt: „Alles in Ordnung mit Ihren beiden Kindern, sie sind jetzt meine Patienten. Mir ist nur aufgefallen, dass Sie in den letzten Jahren keine Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen mehr gemacht haben. Warum denn das?“ Ich schaue in die vertrauenswürdigen Augen des Arztes und erzähle ihm die Wahrheit. Seinen Gesichtsausdruck könnte man als geschockt beschreiben, aber er nickt nur. Meine Behinderung wird noch immer nicht näher thematisiert und das erleichtert mich ungemein. Ich fühle mich gelöst, glücklich und denke an meinen ersten Kinderarztbesuch zurück. Wer hätte damals gedacht, wie prächtig die Kinder einer Mama im Rollstuhl gedeihen können?

Das waren die Bekenntnisse einer Vierrad-Diva, die schonungslose Wahrheit über ein Leben mit Behinderung. Wenn du Lust hast, dann abonniere doch bitte meinen Podcast und erzähle auch deinen FreundInnen davon. Mehr Infos über mich und mein Leben findest du auf meiner Website oder in den sozialen Medien. Also bis zum nächsten Mal!