Naomi Shintani Deibel

MIA DEIBEL

Ö1 Talentebörse

Naomi Shintani Deibel, Bildende Kunst

In Kooperation mit den österreichischen Kunstuniversitäten präsentiert Ö1 junge Kunst-Talente Österreichs. Naomi Shintani Deibel studiert Malerei an der Universität für Angewandte Kunst Wien.

In meiner künstlerischen Arbeit beschäftige ich mich mit den Grenzen der Malerei und wie sich diese durch Performance, Sound und Text erweitern lassen. Dabei verbinde ich verschiedene Medien, um neue Erzählformen und Ausdrucksmöglichkeiten zu schaffen.

Was ist Kunst – und was nicht?

Für mich ist Kunst ein Playground – ein Ort, an dem gedacht, gefühlt, experimentiert und auch gezweifelt werden darf. Sie ist kein abgeschlossenes Produkt, sondern ein offener Prozess, der Widersprüche zulässt und Fragen aufwirft. Spannend wird Kunst dann, wenn sie nicht alles erklärt oder ausformuliert – wenn sie eine Lücke lässt. Einen Raum, in dem Betrachter:innen eigene Gedanken entwickeln oder ins Fragen geraten. Gleichzeitig ist Kunst ein Netzwerk: ein Geflecht aus Beziehungen, Institutionen, Kontexten und Akteur:innen.

Wie sind Sie zur Kunst gekommen?

Ich glaube, es waren viele kleine Begegnungen, die mich zur Kunst gebracht haben. In der Schule hatte ich Freund:innen, deren Eltern Künstler:innen waren. Wenn ich bei ihnen zu Hause war, hat mich die Kunst, die dort hing, total fasziniert. Als Teenager habe ich dann angefangen, in meinem Kinderzimmer zu zeichnen und zu malen. Das war für mich etwas unglaublich Befreiendes – gerade in dieser Phase, in der man so vieles infrage stellt. Ein weiterer wichtiger Einfluss war mein Vater – obwohl er eigentlich gar nichts mit Kunst zu tun hat. Aber er hat diese Fähigkeit, Dinge, die „zu schade zum Wegwerfen“ waren, zu sammeln und neu zu kombinieren. Aus Fundstücken baute er praktische, kreative Möbel.

Kommt Kunst von Können, Müssen oder Wollen?

Für mich ist Kunst vor allem eine Frage des Wollens. Ich glaube nicht an das Klischee vom „Künstler-Genie“ – Kunst ist kein exklusives Talent, sondern eher eine Sprache. Und wie jede Sprache kann man sie lernen. Natürlich braucht es Zugang: durch Bildung, Austausch und ein unterstützendes Umfeld. Aber es geht nicht nur ums Wollen – auch ums Können. Und damit meine ich nicht in erster Linie Technik oder Handwerk. Sondern: Kann man es sich überhaupt leisten, Kunst zu machen? Kunst braucht Zeit, Raum und finanzielle Ressourcen – all das ist nicht selbstverständlich

Wo würden Sie am liebsten ausstellen/auftreten/inszenieren?

Derzeit träume ich davon, eine Ausstellung im ehemaligen Haus meiner Großmutter in Japan zu realisieren. Das Gebäude war früher ein kleines Krankenhaus – heute steht es leer und bietet mit seinen verwinkelten Räumen und seiner besonderen Atmosphäre einen faszinierenden Ort für künstlerische Interventionen.

Mit wem würden Sie gerne zusammenarbeiten?

Meine Praxis entwickelt sich zunehmend in Richtung Kollaboration. Die Zusammenarbeit mit Künstler:innen aus anderen Disziplinen sowie mit Werkstätten empfinde ich als essenziell und enorm bereichernd für meine künstlerische Arbeit. Der Austausch, das gemeinsame Denken und Produzieren eröffnen neue Perspektiven und lassen die Malerei über sich hinauswachsen. Ein persönlicher Traum wäre eine Kollaboration mit einem Modedesign-Label. Textilien und textile Materialien sind in meiner Praxis immer wieder präsent – die Verbindung von Malerei, Körper und tragbarem Objekt fasziniert mich.

Wie viel Markt verträgt die Kunst?

Aus meiner Perspektive – als Kunststudentin, die aktuell nicht aktiv Teil des Kunstmarkts ist – lässt sich das schwer verallgemeinern. Aber persönlich würde ich sagen: Zu viel Markt schadet der Kunst. Manchmal frage ich mich sogar, ob der Markt überhaupt eine so gute Idee ist. Ehrlich gesagt hätte ich lieber einen fairen Stundenlohn – das wäre toll!
Sobald eine künstlerische Praxis vor allem auf Produzieren um des Produzierens willen ausgerichtet ist – also primär auf Verkäuflichkeit oder Profit – geht für mich etwas Grundlegendes verloren: die Autonomie, der Flow, die Freiheit, Dinge neu zu denken, zu scheitern, zu kombinieren, zu verwerfen.

Und wie viel Kunst verträgt der Markt?

Der Markt nimmt Kunst vor allem dann ernst, wenn sie sich rechnen lässt – das sagt aber nichts über die Qualität eines Werks aus. Ich denke nicht, dass der Markt ein verlässlicher Maßstab für künstlerische Qualität ist.

Was ist etwas völlig Unvernünftiges, das Sie trotzdem sofort tun würden, wenn Geld keine Rolle spielt?

Ich würde einfach mal in Tokyo wohnen, mal in New York – und von dort aus arbeiten. Ich liebe es, immer wieder neue Orte zu entdecken, weil ich viel Inspiration aus der Umgebung ziehe.

Welche Vision haben Sie für Ihre Arbeit – oder für sich selbst – in zehn Jahren, die Sie (noch) niemandem erzählt haben?

Für nächstes Jahr steht erst mal der Diplomabschluss an – der wäre mega wichtig für mich, um den nächsten Schritt zu machen. Danach will ich einfach weitermachen, wachsen und schauen, wohin mich die Kunst noch trägt.

Glauben Sie, dass Ihre Arbeit in Zukunft von künstlicher Intelligenz ersetzt werden könnte – und warum (nicht)?

Klar, irgendwann wird es vermutlich einen „Superstar“-KI-Künstler geben – vielleicht die neue Katharina Grosse, nur eben als Roboter. Der könnte dann „K-Brush 3000“ heißen!
Aber dass KI alle Maler:innen komplett ersetzt, glaube ich nicht. Gerade in der Ölmalerei braucht es eine große Sensibilität für das Material. Farbe mischen, das Verhältnis von Leim in der Grundierung, das Reagieren auf unvorhersehbare Effekte – das sind keine rein technischen Abläufe, sondern körperliche und intuitive Prozesse. Eine Maschine könnte das vielleicht effizienter ausführen, aber genau dadurch würde für mich der Reiz verloren gehen. Diese Unplanbarkeit, das Scheitern, das Improvisieren – all das ist für mich essenziell. Außerdem wurde das Ende der Malerei ja schon öfter ausgerufen – zum Beispiel in den 1970ern, als Konzeptkunst, Performance und andere Ausdrucksformen den Kunstbegriff stark erweitert haben. Und trotzdem: Malerei ist nie verschwunden. Eine der frühesten figürlichen Höhlenmalereien stammt aus Indonesien und ist über 50.000 Jahre alt. Vielleicht, weil sie sich immer wieder wandeln kann – auch im Dialog mit Technik, Zeitgeist und neuen Medien.

Wann und wo sind Sie das letzte Mal unangenehm aufgefallen?

Ehrlich gesagt finde ich die Frage etwas komisch. Würde man angehende Ärztinnen oder Juristinnen so eine Frage stellen? Für mich steckt da ein veraltetes Klischee drin – dass Künstler:innen grundsätzlich „sich nicht benehmen können“. Ich glaube, dieses Bild ist längst überholt. Einen Skandal kann ich leider nicht bieten.

Was wünschen Sie sich, dass Ihre Kunst bei anderen auslöst?

Ich wünsche mir, dass meine Kunst vor allem einen Mood auslöst. Am meisten freut es mich, wenn meine Installationen etwas im Gegenüber anstoßen – wenn die Betrachtenden selbst Teil des Werks werden. Das passiert oft dann, wenn die Lücke, von der ich am Anfang gesprochen habe.

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