Freakcasters: David Stockenreitner über Humor und Inklusion
30. Juli 2025, 19:47
David Stockenreitner:
Hallo, mein Name ist David Stockenreitner, das ist ein sehr internationale Name. David ist hebräisch und heißt „der Geliebte“. Bitte sagts das meinen Eltern! Naa, meine Eltern haben mich eh lieb. Zumindest sagen das meine Adoptiveltern. Naa, das war nur ein Scherz, das würden sie nie sagen. Und Stockenreitner, das ist jetzt das wirklich internationale, Stockenreitner ist ein griechischer Nachname. Und heißt auf Deutsch so viel wie: Stockenreitner ist überhaupt kein griechischer Nachname, die ganze Familie kommt aus Kärnten, also hör auf zu lügen, du Bauer!
Sandra Knopp:
Herzlich willkommen bei Freakcasters, sagt Sandra Knopp. In unserem Podcast geht es um Inklusion, um Menschen, Geschichten und Leidenschaften. Bei uns geht es also um jene Dinge, die Menschen gerne tun, egal ob mit oder ohne Behinderung. So auch unser heutiger Gast. Er sagt, er hasst es, wenn man ihn via Radio auffordert, gut gelaunt in den Tag zu starten. Manche Mitmenschen kann der gebürtige Kärntner nach eigener Aussage nicht besonders gut leiden. Und dennoch kommt er viel unter Menschen und bewegt sich im Rampenlicht. Denn David Stockenreitner ist Comedian. In seinem aktuellen Programm „El Disablo“ sucht er nach Wegen, um an Geld zu kommen. Ob legal oder illegal, ist dabei nicht so wichtig.
David Stockenreitner:
Also a Unsympath bin ich, bissl kriminell angehaucht bin ich auch. Das wären schon mal gute Voraussetzungen für a kriminelles Imperium mit mir als Oberboss, so mafiamäßig. El Disablo, der Programmtitel, jetzt weiß ich, woher der kommt. Und so wie viele Mafiosi habe auch ich extrem schlechte Erfahrungen mit legaler Arbeit gemacht. Ich habe … vor allem seit der Corona-Pandemie läuft es mit Auftritten eher suboptimal. Ich habe lange Zeit versucht, noch in anderen kreativen Berufen Fuß zu fassen. Zum Beispiel habe ich auch Zeit lang erfolglos Werbeslogans geschrieben: „Selbstbefriedigung, es gibt immer was zu tun.“ Oder: „Rauchen bekämpft das Zahnfleisch dort, wo es entsteht.“ Wollte mir nie jemand abkaufen. Dann habe ich versucht, ein Kinderbuch herauszubringen. Also ich habe ein Kinder... Ist nichts Böses, ist ein ganz ein liebes Kinderbuch. In dem Kinderbuch geht es sehr viel um das Thema Wahrheit und es trägt den Titel „Mami und Papi haben sich nicht mehr lieb und das ist deine Schuld“. Ja, man darf die Kinder nicht anlügen. Man muss ihnen sagen, wie es ist. Dieses Buch gibt es auch für gleichgeschlechtliche Paare mit Papi und Papi und Mami und Mami. Da haben aber dann die FPÖ und die katholische Kirche dagegen demonstriert mit dem Argument: Im Sinne christlicher Werte hat ein Kind ausschließlich die Liebe zwischen Mann und Frau zu ruinieren.
Sandra Knopp:
David Stockenreitner ist Jahrgang 1990. Er hat gelocktes dunkles Haar, das er kurz geschnitten trägt. Er hat eine Brille und einen Drei-Tage-Bart. Stockenreitner ist zwei Monate zu früh zur Welt gekommen. Auf seiner Website beschreibt er die Behinderung so: Ein wenig funktionierendes linkes Bein und einen noch weniger funktionierenden rechten Arm. In dieser Podcast-Folge kombinieren wir Passagen aus dem Gespräch, das wir mit David Stockenreitner im Funkhaus geführt haben und mit Ausschnitten aus „El Disablo“. Es entsteht ein akustisches Portrait mit Ecken und Kanten und ganz viel Humor. Bei seinem aktuellen Programm ließ sich David Stockenreitner vom politischen Zeitgeschehen inspirieren.
David Stockenreitner:
Obwohl ich nicht explizit politisch bin in meinem Programm, kommt die Inspiration schon ein bisschen von den Korruptionsskandalen der letzten paar Jahre und so von diesen Chat-Protokollen. Weil das ist ja eigentlich wie ein Seifen-Oper. Immer wenn neue Chat-Protokolle von der ÖVP rausgekommen sind, war ich mich richtig gefreut irgendwie. Weil man hat einfach gemerkt, es waren ein Haufen kleiner Buben, die zu weit gegangen sind, weil sie es geil gefunden haben und weil sie geglaubt haben, niemand kommt ihnen drauf. Da haben sich sehr viele Leute berechtigterweise darüber aufgeregt. Aber ich habe mir dann so gedacht: Wenn du die Gelegenheit hättest, so zu sein wie die, würdest du das nicht auch einmal machen? Nur um einmal auszuprobieren, wie es ist. Sehr viele denken vielleicht von sich, ich wäre niemals korrupt. Und ich denke dann: Hast du es schon einmal ausprobiert? Gibt es eine Gelegenheit? Die Mischung korrupt und behindert gibt es selten. Und es wird auch von der Gesellschaft, vielleicht unbewusst, behinderten Menschen oft nicht zugetraut, dass sie verschlagen und hinterhältig sein können. Und das wäre aber ein wichtiger Schritt in Richtung Inklusion. Es sollte auch, wenn man es salopp ausdrücken will, behinderte Arschlöcher ergeben.
Sandra Knopp:
Für einen Comedian ist es wichtig, dass die Gags stets sitzen, folglich kommt dem gesprochenen Wort große Bedeutung zu.
David Stockenreitner:
Sprache spielt bei mir im Programm eine besonders wichtige Rolle. Eigentlich könnte man sagen, Sprache spielt die einzige Rolle, weil durch meine Behinderung kann mich nicht so gut bewegen und muss mich eher auf den Text verlassen. Ich kann den rechten Arm nicht bewegen und das linke Bein ist stark eingeschränkt, also physisch, nicht intellektuell. Ich will dann nicht auf meinen Körper achten auch müssen. Deshalb versuche ich, es lieber so genau wie möglich auszudrücken. Es gibt nicht-behinderte Comedians, die spielen Sachen sehr oft körperlich aus. Was auch super ist, weil es sehr viele Pointen noch extra Würze gibt oder wo das körperliche Ausspielen alleine schon die Pointe ist. Aber bei mir geht das nicht so. Deshalb muss ich auf die Sprache besonders achten und ich muss mich auf meine Texte verlassen können.
Sandra Knopp:
Sprache und Talent sind das eine, doch inwiefern ist das Entwerfen eines Kabarettprogramms erlernbar?
David Stockenreitner:
Ja, das kann man schon üben. Weil das ist auch ein Handwerk und ein Handwerk kann man lernen. Man sollt halt eine gewisse Grundlage haben, also bissl einen Schmäh. Die Humorgeschmäcker sind ja Gott sei Dank verschieden. Man kann es schon üben, also es ist ein gewisser handwerklicher Aspekt dabei. Also wenn man jetzt den Humor von einer leeren Badewanne hat, dann wird das wahrscheinlich nicht funktionieren, egal wie gut man handwerklich ist oder wie viel man theoretisch darüber weiß. Aber wenn eine gewisse Grundlage da ist, dann geht das schon.
Sandra Knopp:
Viele mögen sich fragen, was der Unterschied zwischen einem Kabarettisten und einem Comedian ist. Wir haben das David Stockenreitner gefragt. Und so hat er geantwortet:
David Stockenreitner:
Es gibt so die Annahme, dass Kabarett politisch ist und Stand-Up-Comedy nicht. Das ist ein kompletter Blödsinn, weil es gibt irrsinnig gescheite und politische Stand-Up-Comedy und gleichzeitig irrsinnig flaches Kabarett. Es ist nur, in Österreich ist die Unterscheidung fließend eigentlich, weil in Österreich ist immer noch alles, was unter dem Strich lustig sein soll oder die Leute zum Lachen bringen soll, ist Kabarett in Österreich. Und so allgemein würde ich sagen: In der Stand-Up-Comedy sind die Erzählbögen kleiner. Also es sind kürzere Geschichten, die oft einmal gar nichts miteinander zu tun haben. Also ein Stand-Up-Programm in seiner reinsten Form kann man sich fast so vorstellen wie ein Musikalbum. Da haben die einzelnen Songs oft auch nicht viel miteinander zu tun. Die haben einen Beginn und ein Ende und dazwischen ist oft kein Übergang. Mit der Analogie kann man sich recht leicht zurechtfinden zwischen die zwei Genres. Und ich glaube auch, dass Kabarett näher am Theater ist als Stand-Up, weil Kabarett, wenn man es so unterscheiden würde wie in Deutschland, also zwischen Kabarett und Comedy.
Sandra Knopp:
Wo verortest du dich persönlich mehr?
David Stockenreitner:
Eher im Stand-Up, weil ich bin nicht sehr theatral und ich sing auch nicht. Ich habe auch jetzt kein Lichtwechsel, ich habe keine Musik, ich habe einfach nur ein Mikrofon und das war es. Und je nach Veranstaltung oder Auftrittszeit kann ich meinen Erzählbogen eher runder machen oder wirklich so wie ein Musikalbum, wo eine Nummer, die nächste, die nächste und fertig, ohne dass die Nummern irgendwas miteinander zu tun haben.
Sandra Knopp:
„El Disablo“ besteht aus mehreren kleinen Geschichten. Stockenreitner arbeitet viel mit Ironie und Überzeichnung. Ob das nun schwarzer Humor ist, möge jeder für sich selber entscheiden.
David Stockenreitner:
Ich bin ein Fan von schwarzem Humor. Wovon ich kein Fan bin, wenn jetzt jemand auf Biegen und Brechen zum schwarzen Humor hindrängt. Das versuche ich zum Beispiel auch nicht. Ich habe schwarzen Humor sehr gerne. Aber wenn ich jetzt eine Pointe oder einen Witz hab, der nicht düster ist, aber trotzdem gut, dann versuche ich den nicht auf Biegen und Brechen dort hinzubringen ins Düstere. Sondern dann lasse ich ihn, so wie er ist.
Christoph Dirnbacher:
Aber wenn ich jetzt die österreichische Kabarettszene ein bisschen so vor meinem geistigen Auge quasi Revue passieren lasse oder mich vor Augen halte, dann ist doch fast jeder im schwarzen Humor daheim. Ich hab noch kaum jemand gesehen, der sagt, ich mache alles außer schwarzen Humor. Ist das ein Kabarettisten-/Comedy-Phänomen oder hat das andere Wurzeln?
David Stockenreitner:
Ich weiß nicht, ob das was österreich-spezifisches ist, aber es bezeichnen sich schon so viele Kabarettisten und Comedians als schwarz-humorig. Das hat für mich schon fast jegliche Bedeutung verloren. Wo ich mir dann denke, okay so arg ist das auch nicht. Also wenn da in irgendeiner Beschreibung drinsteht, der oder die Performerin hat einen sehr schwarzen Humor, dann schaue ich es mir an und denk mir: Nein, eigentlich nicht.
Sandra Knopp:
Und ich habe auch gelesen, dass eines der großen Vorbilder Josef Hader ist. Stimmt das? Und wenn ja, warum?
David Stockenreitner:
Ja, das stimmt. Weil er einer der Ersten ist, die ich gesehen habe und weil er mit Worten so gute Bilder zeichnet. Und das versuche ich auch so gut wie möglich zu machen. Je genauer und klarer das Bild ist, das durchs Erzählen entsteht, desto besser ist die Pointe irgendwie. Weil man sich dann da so reinversetzen kann. Wenn es so vage ist, dann leidet oft der Witz drunter. Ich finde es gut, wenn man Sachen möglichst genau beschreibt.
Sandra Knopp:
Wir haben den Comedian auch gefragt, wo ihm die besten Witze einfallen. Die Antwort war erstaunlich einfach. Vielleicht geht es euch ja auch so.
David Stockenreitner:
Es klingt jetzt ein bisschen klischeehaft, aber die besten Witze, glaube ich, fallen einem ein, wenn man nicht drüber nachdenkt. Also meistens unter der Dusche. Was ich schon Wasser verbracht habe, nur weil ich über irgendwas nachgedacht habe in der Dusch. Wo ich dann irgendwie eine halbe Stunde unter der Dusch gestanden bin und dann draufgekommen bin: Gewaschen hab ich mir jetzt eigentlich nicht, ich bin einfach nur nass. Aber die besten Sachen kommen leider, muss man vielleicht dazu sagen, echt in unerwarteten Momenten. Es gibt Leute, die kennen das, dass sie sich zum Computer oder zum Notizbuch dazusetzen können und so lange schreiben, bis sie irgendwas haben. Das kann ich nicht. Ich brauche irgendeine Grundlage.
Sandra Knopp:
Seit ungefähr neun Jahren arbeitet David als Comedian. Vor Auftritten verspürt er immer noch ein gewisses Kribbeln. Das zählt er quasi zu den Berufskrankheiten. Wer sich für ein Bühnenleben entscheidet, braucht vor allem folgende Motivation.
David Stockenreitner:
Wenn das Bedürfnis, auf der Bühne zu stehen, größer ist als die Angst davor, dann geht es eigentlich recht gut. Es gibt Leute, die schreiben irrsinnig gute und witzige Texte und wollen sich aber nicht auf eine Bühne stellen. Und dann gibt es Leute, die können sich auf eine Bühne stellen und irrsinnig gut improvisieren und irrsinnig gut im Moment sein, aber um das Verrecken nicht schreiben. Und das hat beides seine Berechtigung. Um sich auf eine Bühne zu stellen, gehört vor dem Mut erst einmal das Bedürfnis danach. Ich glaube, sonst bringt‘s nichts.
Sandra Knopp:
Aber du hast gesagt, beim ersten Auftritt warst du so nervös und hast nicht einmal das Publikum anschauen können. Wie hat sich das dann gelegt? Ist das etwas, womit du heute noch kämpfst? Oder gehst du jetzt gerne auf die Bühne und freust dich, wenn du merkst, dein Publikum ist da, und du legst jetzt los?
David Stockenreitner:
Ich habe immer noch Lampenfieber und das wird hoffentlich immer so bleiben. Aber die Nervosität ist jetzt eine andere. Früher war ich oft nervös, weil ich immer gedacht habe: Ui, das wird nicht funktionieren, das wird nichts, das kann ich gleich wieder vergessen. Und heute ist es eher so eine freudige Anspannung, weil ich es ja jetzt doch schon länger mache und auch meine Texte habe. Oder meine Witze habe, auf die ich zurückgreifen kann, und wo ich dann weiß: Okay, wenn das nicht funktioniert, dann mache ich eine andere Nummer. Also, dass man immer irgendeinen Notfallplan hat und dann geht das schon.
Sandra Knopp:
Stockenreitner nimmt sich in seinem Programm oft selbst auf die Schippe, wie der folgende Ausschnitt zeigt:
David Stockenreitner:
Generell haltet sich meine Liebe zu Menschen absolut in Grenzen. Wenn du mit mir was unternehmen willst, dann musst du mir das zwei Wochen im Vorhinein sagen, damit ich die zwei Wochen Zeit hab, mir zu überlegen, wie ich am besten absag. Ich lasse dann meistens die zwei Wochen verstreichen und antworte dann in letzter Sekunde mit einer WhatsApp-Nachricht: „Tut mir leid, ich kann heute nicht, ich bin so eigenartig müd.“ Und eigenartig müd ist geil, wenn man das schreibt, weil das klingt so ominös. Das gibt dem Leser Rätsel auf. Und Lesen soll auch Abenteuer im Kopf sein. Dann macht sich der Leser Sorgen: Oh Gott, was hat er, was ist eigenartig müd? Ist er hingefallen und hat Kreislaufprobleme? Oder hat er Corona? Und da hab ich den Leser dann genau dort, wo ich ihn haben will.
Sandra Knopp:
Aufgewachsen ist David Stockenreitner in einem kleinen, aber feinen Städtchen namens Villach im bergigen und wässrigen Kärnten, wie er auf seiner Website schreibt. Als Kind schaute er damals ab und zu Comedy-Sendungen im Fernsehen. Auch wenn er damals noch nicht alle Witze verstehen kann, ist ihm klar: Er will, wie seine Vorbilder auch, Menschen zum Lachen bringen.
David Stockenreitner:
Mr. Bean, Jim Carrey und Leslie Nielsen, das waren so die Ersten, weil‘s sehr viel Physical Comedy war und da muss man sich in der Welt noch nicht so auskennen, um zu verstehen, warum das lustig ist. Und mit der Zeit habe ich dann angefangen, so Kabarettauftritte und Stand-Up-Ausschnitte zu verstehen, und habe das dann irgendwann einfach selber probiert. Weil ich wollt eigentlich gleich ein Programm schreiben, wie man gedacht hat, dass es sich gehört. Also 90 Minuten Programm schreiben. Dann habe ich gemerkt, dass ich das noch überhaupt nicht kann, und auf welcher Grundlage. Und dann sind auch die ersten English Stand-Up Comedy Open Mics aufgetaucht in Wien, also offene Bühnen, Open Mic, also das heißt, da kann sich jeder raufstellen, der sich vorher anmeldet. Und da hat man sich einmal 5 Minuten ausprobieren können und man muss nicht da jetzt ein Jahr lang dabei sitzen, um sich ein 90-Minuten-Programm zu überlegen.
Sandra Knopp:
Seine Anfänge liegen also in der Tradition der englischen Stand-Up-Comedy. Kurze 5 Minuten Auftritte, die entweder funktionieren oder auch nicht. In unserem Gespräch spricht er recht wenig über seine eigene Biografie. Die Kindheit und Jugend mit Behinderung sei aber oft nicht einfach gewesen.
David Stockenreitner:
Der Kindergarten war furchtbar, Volksschule war okay und Hauptschule und Oberstufe war dann wieder furchtbar. Also ich warte immer noch, bis sich der Satz, die Schulzeit ist die beste Zeit deines Lebens, bestätigt. Also hätte ich bisher nichts davon gemerkt, mir gefällt es so, wie es jetzt ist. Ich bin eigentlich nie gehänselt worden oder bewusst ausgeschlossen worden, aber eine Kindheit und eine Pubertät mit Behinderung ist wirklich niemandem zu empfehlen. Das wirst du vielleicht ein bisschen nachvollziehen können. Als Teenager ist man eh schon so geplagt, weil man nicht weiß, wo hinten und vorne ist. Und dann mit einer Behinderung auch noch dazu, weil man dann oft aus gewissen Situationen ausgeschlossen ist, ohne dass dich bewusst jemand ausschließen will, sondern du bist dann ausgeschlossen, weil du einfach merkst, da kann ich nicht mit. Das geht so nicht.
Sandra Knopp:
Meinst du damit gewisse Sachen wie Sportwochen, oder was meinst du damit?
David Stockenreitner:
Ja, ja genau. Und da ist es halt schlecht, wenn man in einem Umfeld aufwächst, das so auf Sport ausgerichtet ist. Ich glaube, das ist österreichübergreifend. Wir haben so einen Sportfetisch, den ich überhaupt nicht verstehe. Das sage ich jetzt auch nicht nur, weil ich eine Behinderung habe, sondern ich verstehe ihn einfach nicht. Was ist so geil dran? Ich verstehe es nicht.
Sandra Knopp:
Du meinst, einen Berg runterzufahren?
David Stockenreitner:
Ja, oder auf einen Berg raufzuklettern.
Sandra Knopp:
Wie ist es denn eigentlich dann dazu gekommen, dass du von Kärnten nach Wien gekommen bist? Wann war das und wie war das dann auch für dich?
David Stockenreitner:
Ich bin nach Wien gegangen, weil ich gedacht habe, ich will studieren. Hab ich ja eine Zeit lang gemacht. Ich habe einen Bachelor gemacht in Theater, Film- und Medienwissenschaft. Und dann habe ich irgendwann fast zeitgleich mit dem Studiumangefang habe den ersten Comedyauftritt gemacht, oder ich weiß nicht, habe ich vielleicht schon ein Jahr studiert, bevor ich den ersten Auftritt gehabt habe. Dann habe ich mir gedacht, oh, mein erster Auftritt war nicht komplett scheiße, vielleicht sollte ich das beruflich machen. Also ein bisschen zu viel Selbstvertrauen habe ich damals gehabt. Es hat dann doch relativ lange gedauert, bis ich es so weit war, dass ich es beruflich machen konnte.
Sandra Knopp:
Jetzt muss ich trotzdem etwas nachfragen zum ersten Auftritt, weil an den wird man sich ja ewig erinnern. Wo war das, wie war das und hattest du Lampenfieber und wie bist du damit umgegangen? Ganz viele Fragen auf einmal, aber wie war der erste Auftritt?
David Stockenreitner:
Ich war so nervös, dass ich, glaube ich, in 5 Minuten zweimal aufs Klo gegangen bin. Dann auf der Bühne war ich so nervös, dass ich nicht einmal habe stehen können. Ich habe total gezittert am ganzen Körper. Dann habe ich mich hingesetzt, dann ist es halbwegs gegangen. Aber das Publikum anschauen hab ich trotzdem nicht können. Also ich habe fast die ganze Zeit im Boden reingeschaut. Aber anscheinend war mein Text da gut genug, dass ich damals im Theater am Spittelberg bei irgendeinem Kabarettwettbewerb Dritter geworden bin. Und da habe ich dann gemerkt: Okay, ein guter Text ist mehr als die halbe Miete. Und das hat mir einen sehr großen Ego-Boost gegeben. Vielleicht ein bisschen zu viel am Anfang, aber man wird doch relativ schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Also wenn mir jemand sagt, wenn mir ein Kabarettist oder ein Comedian sagt, er hat noch nie einen schlechten Auftritt gehabt, dann hat er das erst entweder einmal gemacht oder er lügt. Weil es gibt niemanden, der keinen schlechten Auftritt hat.
Sandra Knopp:
Das Thema Behinderung zieht sich auch durch das Solokabarett „El Disablo“. Wir bringen hier nur einen kleinen Ausschnitt, damit nicht zu viel verraten wird.
David Stockenreitner:
Es gibt am österreichischen Arbeitsmarkt eine sogenannte Behindertenquote. Das heißt jetzt nicht, dass jedes Unternehmen eine gewisse Anzahl von Mitarbeitern in Arbeitsunfälle verwickeln muss, bis sie behindert sind. Sondern das heißt, ein Unternehmen muss ab 25 Mitarbeitern mindestens einen Behinderten oder eine Behinderte einstellen, sonst muss das Unternehmen eine Strafe zahlen. Wisst ihr, wie hoch die Strafe ist? 267 Euro im Monat. Ich bin jetzt kein Arbeitsmarktexperte, aber 267 Euro im Monat ist, glaube ich, billiger, als wenn du jemanden einstellst. Wer auch immer sich das ausgedacht hat, hat das Prinzip einer Strafe nicht verstanden. Eine Strafe muss bestrafend sein, nicht eine attraktive Alternative. Wenn du wegen irgendetwas verurteilt wirst, dann darfst du dein Strafmaß ja auch nicht aussuchen. Dann geht dir der Richter nicht her und sagt: „Passen S‘ auf, Sie kriegen von mir entweder 10 Jahre Gefängnis oder ein Bussi aufs Bauchi. Aber überlegen Sie es sich gut! Das wird ein sehr kratziges Bussi.“ Der hat wahnsinnig trockene Lippen.
Christoph Dirnbacher:
Wie weit darf Humor gehen, gerade in Bezug auf Behinderung, aber vielleicht nicht nur?
David Stockenreitner:
Es kommt immer darauf an, wer was zu wem sagt. Und wenn man sich darüber im Klaren ist und wenn man diese Parameter für sich abgesteckt hat, dann kann man im Zweifelsfall auch jeden Witz verteidigen, wenn man sich das genau überlegt hat. Also in welcher Situation bin ich? In welcher Situation ist das Publikum? Was darf ich machen, was darf ich nicht? Weil ich mache mich zum Beispiel ungern lustig über Leute, die noch eine schwerere Behinderung haben als ich. Außer ich stöße satirisch über alle anderen, also dann schon. Und was Humor darf, das muss, glaube ich, jeder mit sich selber ausmachen. Und man hat auch als Zuhörer oder Zuhörerin oder Zuschauerin das Recht, sich von Witzen und von Comedy oder Kabarett angegriffen zu fühlen. Das ist vollkommen legitim, aber man sollte sich nicht erwarten, dass irgendjemand etwas dagegen tut.
Sandra Knopp:
Oft wisse man aber erst im Nachhinein, wo die Grenze ist, weil man sie überschritten hat, meint Stockenreitner nachdenklich. Ihm geht es nicht um Provokation um der Provokation willen, sondern schlicht um einen guten Witz.
David Stockenreitner:
Ich höre oft von Leuten, vor allem ohne Behinderung, dass ihnen bei meinen Sachen oft das Lachen im Hals stecken bleibt. Ich weiß nicht genau, was ich mit dieser Aussage anfangen soll, weil erstens am liebsten nicht meine Absicht, dass euch das Lachen im Hals stecken bleibt, und zweitens einmal, ich habe die Behinderung und nicht ihr. Also sie ist auch nicht ansteckend, also ihr könnt ruhig lachen. Und von einem Menschen mit Behinderung habe ich das noch nie gehört. Also die müssen nicht so lange überlegen, bis sie lachen.
Sandra Knopp:
Christoph hat sich die bisherigen Programme von David Stockenreitner angehört. Ihm ist dabei aufgefallen, dass sich die Gags, die einen Behinderungsbezug haben, meist gegen David selbst richten. Absicht oder Zufall?
David Stockenreitner:
So irgendwie so ein Mittelding. Manchmal ist es Absicht, manchmal ist es Zufall. Also ich versuche jetzt nicht, extra noch Pointen über meine Behinderung einzubauen, sondern wenn mir was anderes einfallt, was nicht mit der Behinderung zu tun hat, aber trotzdem sehr gut ist, dann lasse ich es auch drin und versuche das zu machen. Ich bin ja nicht in erster Linie behindert, sondern ich bin in erster Linie Komiker. Und die Behinderung spielt natürlich eine große Rolle, weil es halt mein Leben beeinflusst jeden Tag und ich kann sie auch nicht verstecken und brauche das auch nicht. Aber ich bin Komiker und möchte meine Pointen und meine Themen so vielfältig wie möglich gestalten.
Sandra Knopp:
Was sind denn eigentlich die Sachen, die dich so selber zum Lachen bringen? Also ist das Situationskomik aus dem Alltag, sind das so geskriptete Sachen? Worüber lachst du? Sind das Witze oder Alltagsanekdoten, was bringt dich so richtig zum Lachen?
David Stockenreitner:
Also alles, was du jetzt gerade aufgezählt hast. Wenn ein Witz gut ist, ist er gut, egal wo er herkommt oder womit er zu tun hat. Und ich mag auch absurde Sachen sehr gerne. Auch oft Sachen, über die niemand anderer lacht. Nicht weil es jetzt düsterer oder schwarzer Humor ist oder eine düstere Thematik, sondern weil es halt einfach oft auch mal nur Geräusche sind. Zum Beispiel, wenn ich Musik höre. Frank Zappa, der hat sehr viele Instrumentalstücke, wo er gar nicht singt und trotzdem ist irgendwie das, was er mit Instrumenten macht, so witzig, dass ich echt Tränen lachen muss.
Sandra Knopp:
In seinem Programm macht sich David Stockenreitner auf humorvolle Art und Weise Gedanken, ob es nicht besser wäre, die eigene Behinderung noch plakativer zu präsentieren. Wenn sich ein Comedian diese Frage stellt, kommt dabei Folgendes raus:
David Stockenreitner:
Ich bin eigentlich recht zufrieden mit meiner Behinderung. Ich habe gedacht, es reicht. Aber ich habe vor kurzem in Berlin gespielt und da ist nach der Vorstellung ein 18-Jähriger auf mich zugekommen. Und er hat dann gesagt: Deine Behindertenwitze würden viel besser zünden, wenn du mehr humpeln würdest. So auf gottlos. Zuerst war ich ein bisschen offendet, dann habe ich drüber nachgedacht und er hat Recht. Ich bin wirklich zu wenig behindert für meine Comedy. Ich werde jetzt meine Bühnenperson auch von Grund auf ändern. Ich werde es bei zukünftigen Auftritten so machen: Ich hinke mit beiden Beinen, lasse mich dann nach drei Schritten auf die Bühne fallen, spiel mein Programm im Liegen, sabbernd und schreiend. Weil wann schon behindert, dann richtig, voll Klischee. Bei der Hälfte ungefähr mache ich mir an die Hosen, krampfe ein bissel und am Ende kommt Licht ins Dunkel in den Saal und tut Spenden sammeln.
Sandra Knopp:
Gab oder gibt es einen Moment, in dem der Comedian denkt, dass er’s geschafft hat?
David Stockenreitner:
Das wird hoffentlich nie passieren. Also jetzt habe ich es geschafft! Das habe ich mir schon so oft gedacht, wann ich mich das selber fragen werd. Aber ich glaube, dass man sich das selber sagt, jetzt habe ich es geschafft, das ist gar nicht so gesund. Weil einem da ein bissel der Druck wegbricht und auch die Freude daran. Weil Druck ist jetzt nicht unbedingt was Schlechtes, sondern das kann einem ermutigen, einfach weiterzuarbeiten. Und wenn einem das wegfällt, was macht man dann noch?
Sandra Knopp:
Mehr Informationen zu David Stockenreitner und seinen nächsten Auftritten haben wir euch in die Show Notes gestellt. Das war Freakcasters für heute. Das Gespräch mit David Stockenreitner für Christoph Dirnbacher und Sandra Knopp. Mehr Folgen unseres Podcasts findet ihr unter freakcasters.simplecast.com. Wenn euch diese Episode gefallen hat, empfehlt uns doch bitte weiter! Wir sind auf allen gängigen Podcast-Plattformen wie Apple Podcasts, Spotify und Google Podcasts abrufbar. Wir würden uns auch über eine gute Bewertung freuen. Am Mikrofon verabschiedet sich Sandra Knopp.