
ORF/JOSEPH SCHIMMER
Le week-end ab September
Nibelungen, Babenberger, Byzantinerinnen
Unterwegs, on the road: gender and migration - "Das Nibelungenlied"
1. September 2025, 22:36
Zu den Sendungen
Le week-end in acht Teilen
ab 06 09 2025, 13 Uhr
Beginnen wir mit einer Sünde. Zu den Geschichten, die wir erzählen werden, passt das, wie sich bei so viel Sex & Crime denken lässt, ganz hervorragend. Es geht allerdings vorerst nur um eine erzähltechnische Sünde: Wir nehmen die Pointe vorweg. Der Dreh- und Angelpunkt alles Folgenden ist eine pompöse, glorreiche Hochzeit im Wien des Jahres 1203. Der Babenberger Herzog Leopold VI. heiratet die byzantinische Prinzessin Theodora Angelina. Für "Le week-end" hat hier die Verflechtung der Geschichten von Babenbergern und Byzanz mit dem berühmten "Nibelungenlied" seinen fiktiven Kulminationspunkt. Aber der Reihe nach.
Den über viele Jahrhunderte reichenden Verwicklungen entlang von Rhein und Donau - migration -, und zwischen rivalisierenden Königen und vor allem Königinnen - gender - wollen wir in den kommenden "Le week-end"-Sendungen die Musik und die Geschichten assoziativ entnehmen, diese Verwicklungen mit Musik kommentieren. Gerade weil so Manches davon wissenschaftlich oder durch belastbare Quellen gar nicht beweisbar ist, frönen wir musikalisch der Lust der Spekulation. Man könnte ja behaupten, dass genau das für Dichtungen wie das "Nibelungenlied" und die unzähligen anderen Epen dieser Zeit konstitutiv war: Die unauflösbare Verquickung von Sagenhaftem und Faktischem, von Erzähltem und Erlebtem, von Befürchtetem, Erhofftem oder Erwünschtem. Und an genau diesem Spiel beteiligen wir uns im großen Epos "Le week-end" jetzt auch.
Der Autor ist unbekannt
Von einer riesigen Hochzeit in Wien ist im "Nibelungenlied" die Rede. Ja, das stimmt, aber bis wir dazu kommen, rinnt noch sehr, sehr viel Wasser den Rhein und die Donau hinunter. "Das Nibelungenlied" soll zu Beginn des 13. Jahrhunderts geschrieben worden sein, also in den Jahrzehnten rund um 1200. Wir kennen den Autor bis heute nicht, klar ist nur, dass er ein Zeitgenosse der berühmten Kollegen Walter von der Vogelweide, Neidhart von Reuental oder auch dem Tannhäuser, der im Dienste des letzten Babenbergers stand, gewesen sein muss. Eine zentrale Rolle bei der Entstehung des "Nibelungenliedes" scheint jedenfalls der Bischofssitz in Passau gespielt zu haben. Dort residiert in den Jahren um 1200 der kunstsinnige und kunstfördernde Bischof Wolfgang von Erla. Man vermutet, der Autor des "Nibelungenliedes" könnte aus dessen Schreibschule stammen. Seine geografischen Kenntnisse des Verlaufs der Donau zwischen Passau und Wien, die Nennung der Orte und Gegenden von unter anderem Eferding, Enns, Pöchlarn, Tulln und Wien sind jedenfalls frappant.
Politisch gesehen begeben wir uns in die Zeit der Staufer-Kaiser. Der berühmte Friedrich Barbarossa verunglückt 1190 während eines weiteren Kreuzzuges tödlich, was unter anderem dazu führt, dass sein Verbündeter, der Babenberger Herzog Leopold V., an die Spitze dieser Heereseinheit gelangt und sich als Stellvertreter des verstorbenen Kaisers sieht. Genau das sieht übrigens König Richard Löwenherz nicht so, für ihn bleibt Leopold ein kleiner Herzog, und vermutlich liegt auch darin der Grund für den berühmten Zwist samt Geiselnahme und Lösegeld.

ORF/JOSEPH SCHIMMER
Stadt löst Burgen ab
Das Leben auf den Burgen wird um 1200 herum langsam etwas komfortabler und es gilt als Gebot der Stunde, dass jeder Herrscher, der etwas auf sich hält und der es sich leisten kann, Klöster gründet, Märkte zu Städten erhebt oder Städte neu gründen lässt. Langsam beginnt die Stadt als spielentscheidendes Lebenszentrum die Burgen abzulösen. Es ist eine Zeit im Umbruch, bei den Nibelungen, bei den Babenbergern und in Byzanz. Das kann ungeheuer brutal sein aber auch edel, elaboriert und musikalisch feinsinnig.
Die Darstellung des höfischen Lebens im "Nibelungenlied", der vorgeblich burgundische Hof in Worms, wird meist als eine historisierende Abbildung des Stauferschen Hoflebens betrachtet, samt des Aufeinanderpralls älterer und jüngerer, höfischer Lebensformen. Da stehen einander gegenüber die alte Rache und das neue Recht, das alte Verständnis von Sippenheirat wird bedrängt vom neuen, aus Frankreich kommenden Ideal der Minne. Und selbstverständlich sehen der fiktive Burgunderhof im Nibelungenlied und die realen Gepflogenheiten der Zeitgenossen einander in Sachen Sex & Crime, in Sachen Liebe und Verrat, Betrug und Mord auch ziemlich ähnlich.
Porträt auch heutiger Zustände
Man kann das "Nibelungenlied" auch als eine Art Zerrbild der höfischen Gesellschaft der Stauferzeit und der Jahrzehnte davor lesen. Oder andersrum als ein Porträt auch heutiger gesellschaftlicher Zustände zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Großsprecherei und Diplomatie, zwischen Geschlechterrollen und Flüchtlingsströmen, zwischen gender und migration. Wie werden in diesen Sendungen Jahrhunderte und Kontinente durchqueren, und es wird grimmig werden. "'Le week-end' - Nibelungen, Babenberger, Byzanz" heißt es in mehreren bevorstehenden Sendungen, in anderen Worten: "unterwegs, on the road: gender and migration – Das Nibelungenlied".
Schon die Musik im Ohr? Den Klang der mittelalterlichen Istampitas der Spielleute und der höfischen Chitarra, der klösterlichen Choräle und Psalmen, der rabiaten Musik der vielen Kreuzzüge, der derben Landsknechtsklänge, der Lyrik österreichischer Minnesänger am Babenbergerhof, des Prunks früher Kathedralenmusik?
Österreich des 13. Jahrhunderts
Und dann noch all die "Le week-end"-Musik, die in viel späteren Jahrhunderten zu diesen Geschichten geschrieben wurde: Symphonische Dichtungen und später dann Filmmusiken, Opern des 19. Jahrhunderts sowie Avantgarde des 20. Jahrhunderts.
"Le week-end" taucht ein ins österreichische 13. Jahrhundert zwischen Nibelungen, Babenbergern und Byzanz. Musikalische Unterstützung bekommen wir von unter anderen René Clemencic und Les Menestrels, von Jordi Savall und sardischen Sängern, von Walter von der Vogelweide und Neidhart von Reuental, von Georg Friedrich Händel und Georg Philip Telemann, von österreichischen Zeitgenossen wie Wolfgang Mitterer, Olga Neuwirth und Egon Wellesz, auch wenn sich diese Musikerinnen musikalisch gar nicht mit den Jahrzehnten rund um 1200 auseinandergesetzt haben. Um das Essenzielle menschlicher Zustände dreht sich deren Musik aber allemal auch. Und darum geht es zwischen Byzanz, den Babenbergern und den Nibelungen.
Gestaltung
- Christian Scheib