
APA/KERSTIN SCHELLER
Kunst
Erwin Wurm - die fetten Jahre sind vorbei!
Er brachte einen Banker dazu, sich mit Spargel in den Nasenlöchern abbilden zu lassen, und steckte Supermodel Claudia Schiffer für eine Fotostrecke der Vogue Stifte zwischen die Zehen. Er lichtete einen Pater mit Apfel im Mund ab und bat Franz Beckenbauer mit Orangen zu posieren. One Minute Sculptures nennt Erwin Wurm jene flüchtigen Skulpturen, die in Interaktion mit dem Publikum entstehen und ihn in den 1990er Jahren weltberühmt gemacht haben. Dieser Tage fordern Wurms Skulpturen an einem besonderen Ort, dem Park der Kaiservilla in Bad Ischl, zum Mitmachen und Mitdenken auf.
27. August 2025, 23:53
Wer an Bad Ischl denkt, tappt unwillkürlich in die Nostalgiefalle. Hier verbrachte Kaiser Franz Joseph I. bekanntlich die Sommermonate. Unter seiner scheinbar ewig währenden Regentschaft erlebte der beschauliche Ort als heimliche Hauptstadt Kakaniens seine Blüte. Bis heute ist die Ischler Kaiservilla ein Touristenmagnet. Wer sie betritt, befindet sich allerdings gewissermaßen mitten in einem Tierfriedhof. Das Treppenhaus der kaiserlichen Sommerresidenz ist mit tausenden Jagdtrophäen geschmückt - mit Überresten von Tieren, die der Kaiser persönlich erlegt haben soll. Man könnte dieses Treppenhaus als morbiden Treppenwitz der Geschichte bezeichnen, denn akkurat im malerischen Ischl besiegelte Kaiser Franz Joseph I. das Schicksal Europas.
Jagdtrophäen als Menetekel
Am 28. Juli 1914 unterschrieb der greise Herrscher eine Kriegserklärung an Serbien. Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, der Erste Weltkrieg, war nicht mehr aufzuhalten. Zwischen Ironie und Zynismus pendelt mitunter auch die Kunst Erwin Wurms, der dieser Tage kopflose Anzüge im Park der Kaiservilla platziert, als wollte er - gewohnt leichtfüßig - auf die Abwesenheit der Körper hinweisen, auf das Resultat der großen Materialschlacht also. Dem Pathos früherer Künstlergenerationen, der großen expressiven Geste, wollte der heute 71-jährige Erwin Wurm stets mit Ironie begegnen, was die Kritik mitunter dazu verleitete, das Werk des Erfolgskünstlers als banal zu brandmarken. In diesem Fall freilich bleibt dem Kunstpublikum das Lachen im Halse stecken.
Ich glaube, dass man schwere, ernste Themen nicht mit Pathos behandeln sollte. Pathos macht die Leute klein und drückt sie nieder.

APA/KERSTIN SCHELLER
Erwin Wurms fettes Cabrio im Park der Kaiservilla in Bad Ischl
Auf Einladung Alfred Weidingers, Geschäftsführer der OÖ-Landes-Kultur GmbH, bespielt Erwin Wurm nicht nur den Park der Ischler Kaiservilla, sondern auch das so genannte Marmorschlössl. Damit tritt er in die Fußstapfen des chinesischen Kunststars Ai Wei Wei, dem im Kulturhauptstadtjahr 2024 dieselbe Ehre zuteil wurde. Bis 26. Oktober ist ein Best-Of des Wurmschen Oeuvres zu sehen, dessen Erfolgsrezept nicht zuletzt darin liegt, dass es niederschwellig rezipierbar ist, oder - neudeutsch formuliert - „instagrammable“. Selfies mit Wurms ikonischen Arbeiten fluten tatsächlich die Sozialen Netzwerke.
Die Instagrammability der Kunst
In Bad Ischl ist nicht nur Erwin Wurm berühmtes fettes Haus zu sehen, sondern auch sein fettes Auto, ein roter Porsche, der aus der Form geraten ist. Das Automobil verknüpfte einst das Mobilitäts- mit dem Freiheitsversprechen und wurden im doppelten Wortsinn zum Motor der Konjunktur. Im 20. Jahrhundert galt: Wenn die Automobilwirtschaft boomt, ist Wachstum garantiert. Was passiert, wenn es nicht gut läuft, lesen wir dieser Tage in den Nachrichten. Allein die deutsche Automobilindustrie streicht über 50.000 Arbeitsplätze. Die fetten Jahre sind vorbei. Erwin Wurm war stets ein Meister darin, die alltägliche Lebenswirklichkeit, das Banale und Profane in seine Kunst zu integrieren. Der Erfolg gibt ihm recht. „Ich arbeite oft mit Realismen, also arbeite mich am Begriff und an der Konstruktion der Wirklichkeit ab“ erklärt Erwin Wurm.
Ich hatte gleichzeitig immer auch Sehnsucht nach abstrakten Arbeiten. Ich habe in meiner Arbeit diese Grenzen ausgelotet. Aber da ich glaube an die Bildmächtigkeit der Realismen, komme ich immer wieder auf Autos, Häuser oder Kleidungsstücke zurück.
Erwin Wurms ironisch verbrämte Konsumkritik fügt sich erstaunlich gut in das feudalherrschaftliche Setting der Kaiservilla ein. Dass Besucher:innen in den Stallungen der Kaiservilla zu einer flüchtigen Skulptur, zu einer von Wurms berühmten One Minute Sculptures werden können, indem sie zum Beispiel einen Tennisball am Kopf balanciert, oder sich einen Kübel über den Kopf stülpen, macht einen zusätzlichen Reiz dieser Ausstellung aus, die dazu angetan ist, zu zeigen, dass Kunst für alle da ist.
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OÖ Landeskultur - Erwin Wurm