
ORF/JOSEPH SCHIMMER
Von den Medien in die PR
Seitenwechsel über die rote Linie
Immer mehr Journalisten wechseln auf die Seite der Politik und Kommunikation, wie aktuelle Beispiele zeigen. Experten warnen vor den Risiken für die Demokratie und den Journalismus. Gründe für den Trend sind der Job-Abbau in den Medienhäusern und bessere Arbeitsbedingungen in der PR.
4. September 2025, 22:57
In Deutschland ist es schon wieder passiert. Stefan Kornelius ist seit Mai Regierungssprecher. Kornelius war davor Chef des Politik-Ressorts der "Süddeutschen Zeitung" und spricht jetzt für Bundeskanzler Friedrich Merz. Wieder ein Top-Journalist, der das Lager gewechselt hat. Für die Funktion des Regierungssprechers in Berlin ist das mittlerweile die Regel, nicht die Ausnahme. Auch die Vorgänger von Kornelius waren erfolgreiche Medienleute. Kanzlerin Angela Merkel holte sich mit Steffen Seibert für ihre Ära sogar einen ZDF-Anchor an Bord.
Neue Stimme für die rote Machtbasis
Alles legitime Karriereschritte oder doch der Beweis, wie verflechtet Medien und Politik sind? Es ist ein heikles Terrain, wie auch der neue Job von Matthias Schrom zeigt. Schrom war zuletzt bei Servus TV und davor jahrzehntelang im ORF. Den Posten des ZIB-Chefredakteurs musste er 2021 wegen unpassender Chats mit dem damaligen FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache räumen. Jetzt hat er den Journalismus vorerst verlassen. Schrom ist seit Mitte August für die Kommunikation der Landesholding Burgenland zuständig. Die Holding managt die vielen Beteiligungen des Landes und ist dem roten Landeshauptmann Hans Peter Doskozil direkt unterstellt.
Schrom: Kenne Doskozil nur als ZIB-Reporter
Mit Verhaberung habe das nichts zu tun, sagt Schrom. Österreich sei ein kleines Land, aber Doskozil kenne er aus seinem journalistischen Vorleben nur flüchtig, aber privat gar nicht. "Ich habe ihn damals bei der Flüchtlingsbewegung 2015 oft interviewt, weil ich als ZIB-Reporter an der Grenze gestanden bin und er der Landespolizeidirektor war."
Was die Politik daran reizt Journalisten auf ihre Seite zu ziehen, ist klar. Hervorragende Kontakte und Insiderwissen, wie Redaktionen so ticken. Das ist Gold wert. Und was motiviert jetzt Ex-Journalisten wie Schrom? Die breite Themenpalette bei der Kommunikation für die Landesholding. Und: "Weil ich einfach einmal neugierig bin, das gebe ich durchaus zu, wie es sich auf der Seite der Kommunikation anfühlt, weil man nicht der Rezipient ist, sondern der, der versucht, etwas unterzubringen."
"Journalistisches Know-How missbraucht"
Der Medienwissenschafter Josef Trappel von der Universität Salzburg fällt ein hartes Urteil. Solche Seitenwechsel seien "hochproblematisch". Trappel spricht von einem Missbrauch, wenn journalistische Fähigkeiten von Pressesprechern eingesetzt werden. "Ich glaube das ist tatsächlich auch für die Demokratie sehr abträglich", so der Medienwissenschafter. Kritik, mit der Matthias Schrom nichts anfangen kann. "Wenn man dafür sorgt, dass Menschen, die etwas zu kommunizieren haben, es auf eine Art und Weise kommunizieren können, dass es auch beim Empfänger ankommen kann, nämlich bei Journalistinnen und Journalisten, finde ich das eher einen Beitrag zur Demokratie."
Medienleute wechseln immer öfter zur PR
Schrom ist bei weitem nicht der Einzige, der gerade die Branche verlassen hat. Weitere aktuelle Beispiele: "Burgenland Heute"-Moderator Hannes Auer leitet seit Monatsanfang das Presseteam der Wiener SPÖ-Finanzstadträtin Barbara Novak. Doris Vettermann, langjährige Politik-Journalistin bei der "Kronen Zeitung", ist jetzt Sprecherin bei Sozialministerin Korinna Schumann von der SPÖ. Und Veronika Dolna-Gruber arbeitet seit kurzem als Sprecherin für Außenministerin und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger, davor war Dolna-Gruber Innenpolitik-Chefin bei der "Kleinen Zeitung" in Graz.
Josef Trappel sieht einen Trend. Im Journalismus werden Jobs abgebaut, in der PR nicht. "Immer mehr PR-Menschen stehen den professionellen Journalistinnen und Journalisten gegenüber."
Apokalyptische Zeiten machen erfinderisch
Wie bitter der Hintergrund dieser Entwicklung ist, weiß auch Georg Renner. Er hat sich vor zwei Jahren nach Stationen bei der "Presse", der "NZZ" und zuletzt als Ressort-Chef bei der "Kleinen Zeitung" selbstständig gemacht, mit Newslettern und dem Podcast "Ist das wichtig". Auch Renners Job bei der "Kleinen Zeitung" war durch rigide Sparmaßnahmen gefährdet. "Journalismus ist ein wunderbarer Job, aber wir stehen gerade in der österreichischen Medienbranche vor apokalyptischen Zuständen, muss man ehrlicherweise sagen."
Für Abkühlphase im Dienst der Glaubwürdigkeit
Jüngster Einschlag: Der Privat-Sender "Puls24" beendet aus wirtschaftlichen Gründen seinen Onlineauftritt. Renner hat Verständnis, auch wenn er sich selbst keinen Wechsel in die PR vorstellen könnte. "Da denkt man schon darüber nach, solange man noch einigermaßen einen Marktwert hat: Was kann ich noch machen, um irgendwie Geld zu verdienen?" Um einen schlechten Beigeschmack zu vermeiden, schlägt Renner eine Cool-down-Periode vor, eine Abkühlphase.
"Also wenn man nicht direkt aus einem journalistischen Beruf, der über Politik berichtet, ins Kabinett eines Ministers, einer Ministerin oder in die Parteikommunikation wechselt. Das macht tatsächlich keinen schlanken Fuß und ist vor allem in der Außenwirkung fatal", sagt Renner.
Von der Zeitung zur Senioren-Sprecherin
Von einer Abkühl-Phase hält Karin Leitner wenig. Die langjährige Print-Journalistin, die unter anderem für den "Kurier" und zuletzt die "Tiroler Tageszeitung" geschrieben hat, ist seit einem Jahr Sprecherin von ÖVP-Seniorenbund-Chefin Ingrid Korosec und damit im Politik-Betrieb gelandet.
Leitner hat mit 56 Jahren - angesichts der trostlosen Aussichten in den Medienhäusern - einen beruflichen Neustart gewagt. Der Abschied sei ihr als "Journalismus Junkie" nicht leichtgefallen.
Ihre Vorteile jetzt: Ein guter Draht in die Medienlandschaft und das Gespür, wie man Themen so aufbereitet, dass sie von den Redaktionen auch dankend angenommen werden. Was sie am Redaktionsalltag nicht vermisst, sind die Arbeitsbedingungen. "Immer weniger Journalisten und Journalistinnen müssen immer mehr erledigen. Der Zeitdruck ist groß, es geht um Klicks. Das ist eigentlich auch nicht mehr das, wofür ich in den Journalismus gegangen bin", sagt Karin Leitner.
Ex-ZIB-Moderator rät zum "klaren Schnitt"
Dass der Arbeitsdruck im Journalismus enorm gestiegen ist, sieht auch der ehemalige ZIB-1-Morderator Gerald Groß so. "Ich weiß nicht, ob ich heute noch in diesen Job gehen würde, um ehrlich zu sein." Groß hat dem ORF und den Medien schon vor mehr als 20 Jahren den Rücken gekehrt, wobei er indirekt mit der Branche immer noch viel zu tun hat. Jetzt ist er Mediencoach und bringt seiner Kunden aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft bei, wie sie Interviews am besten meistern.
Also zuerst Interviews führen und dann anderen beibringen, wie man Journalisten-Fragen elegant umschifft? Das sei ein Mythos, sagt Gerald Groß. Er bringe nicht bei, Fragen nicht zu beantworten, sondern wie man seine eigene Agenda als Interviewter verfolgt. Prinzipiell sei es legitim, die Seiten zu wechseln, meint Groß. Aber: "Wichtig ist immer ein klarer Schnitt. Dass man sagt: Ich war Journalist bis zu diesem und jenem Datum, und jetzt bin ich auf der anderen Seite."
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