
ORF/MUSIKPROTOKOLL
musikprotokoll
Ablingers komplementäres Rauschen
Über Jahrzehnte war das ORF-Festival "musikprotokoll im steirischen herbst" für den heuer 66-jährig verstorbenen Komponisten Peter Ablinger ein Ort vieler Uraufführungen.
23. September 2025, 17:43
Das musikprotokoll präsentiert heuer Ablingers "Weiss/weisslich 27d 'für Winfried Ritsch'" - musikalische Vexierspiele mit zwölftönigem Rauschen aus Lautsprechern, die, im Kreis aufgestellt, die gehend Hörenden in eine Eschersche Hörspirale locken.
Scheinbar endlos steigen oder sinken die Zwölftonskalen, je nachdem, welche Gehrichtung man einschlägt. Ablingers Stück ist dem Kollegen und langjährigen "partner in crime" Winfried Ritsch gewidmet. Das ging aber auch umgekehrt: Für dieses musikprotokoll stellen wir deswegen dem Stück "weiss/weisslich: komplementäres Rauschen" von Peter Ablinger das Stück "Gesang der Orgel 2b" von Winfried Ritsch gegenüber. Er hat es Peter Ablinger gewidmet. In beiden Fällen fordern nahezu unmerkliche Veränderungen der Schwingungsverhältnisse unser Hören heraus.
"Die Existenz von Klängen wurde bis jetzt nicht bewiesen", Peter Ablinger

Peter Ablinger, 1996
SIEGRID ABLINGER
Rahmenbedingungen für Schwingungen
Schwingungen sind zwar die Voraussetzung für das Hören von Musik, aber Schwingungen führen nicht notwendigerweise zum Hören von Musik. Schwingungen können mit anderen Frequenzen in anderen Medien, in anderen Kontexten als alles Mögliche wahrgenommen werden, als Licht oder Erdbeben, als Hitze oder Entschleunigung, als Sprache oder Rauschen. Nur unter ganz bestimmten Rahmenbedingungen führen Schwingungen zu etwas, das wir traditionellerweise bereit sind, Musik zu nennen. Dem Künstler und Denker Peter Ablinger war das Wissen darum ein Leben lang Antrieb zum radikalen Neudenken dessen, was wir als Musik, was wir als Kunst wahrnehmen wollen und können. Peter Ablinger hat dazu lapidar in ein eines seiner dutzenden, großartigen Notizhefte geschrieben:
Für das musikprotokoll 2025 haben wir noch im November 2024 mit Peter Ablinger gemeinsam eine Werk-Trias ausgeheckt, die in drei Statements drei entscheidende Aspekte dieses seines radikalen Musikdenkens erlebbar machen sollte. Peter war zwar schon von seiner Krankheit gezeichnet, aber bester Dinge und voller Ideen. Selbstverständlich war es unser aller Absicht, ihm mit diesen drei Werken am Ort vieler seiner Uraufführungen, also in Graz und beim "musikprotokoll im steirischen herbst", nochmals eine präzise Ehrung zuteilwerden zu lassen. Nun ist er dafür viel zu schnell gestorben. Der Ehrung tut das keinen Abbruch.
Von Wendeln und Metallplatten
Im uraufzuführenden Orchesterstück "Die Wendel" - wie in "die Wendeltreppe" - hält das live spielende Orchester einen Akkord übereinandergeschichteter Quinten aus, einen damit notgedrungenermaßen zwölftönigen Akkord. Derselbe Akkord in einer zugespielten Version beginnt sich, bewegt durch eine elektronische Manipulation, langsam vom live gespielten Akkord wegzudrehen. Eine Folge von schillernden, vibrierenden, mikrotonalen Verschiebungen ist die Folge dieses minimalen Eingriffs. Wenn aus der Kommunikation von Obertonschwingungen miteinander letztlich Musik wird.
Die "Metalplatte" geht mit anderen Mitteln an die Faszination der Schwingungen heran. Viele Musiker, auch Peter Ablinger, haben in den letzten Jahren mit Transducern gearbeitet, die, angebracht auf schwingungsfähigen Oberflächen, durch das Zuspielen von Klängen, also Schwingungen, weitere Klänge erzeugen. Peter Ablinger nun hat zuletzt ein System entwickelt, bei dem das Zuspielen von Klängen nicht weitere Klänge, sondern sichtbare Schwingungen einer hängenden Metallplatte erzeugt. Wenn aus hörbaren Schwingungen letztlich unhörbare Musik wird.
Gestaltung
- Christian Scheib