Renata Schmidtkunz

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Im Gespräch

Renata Schmidtkunz sagt Adieu

Nach 26 Jahren verlässt Renata Schmidtkunz den ORF - in ihrer letzten Ausgabe von "Im Gespräch" wechselt sie die Seiten und ist zu Gast bei Andreas Obrecht.

Ihr erstes Gespräch führte sie mit dem Weltschauspieler Peter Ustinov. Das war im März 1999. Peter Huemer leitete damals die legendäre Ö1 Sendereihe „Im Gespräch“. Seither lud sich die Fernsehredakteurin, Filmemacherin und "Club 2"-Moderatorin monatlich Gäste aus allen Bereichen der Gesellschaft ein: Nobelpreisträger Anton Zeilinger oder eine Kärntner Bergbäuerin, den Unterhaltungsstar Thomas Gottschalk oder die UNO-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte Francesca Albanese. In ihren Sendungen wurde gelacht und geweint, laut gedacht und Posaune gespielt.

Pfarrers Kinder, Müllers Vieh - eine Hommage von Peter Klein

Einfach war sie nie, die Kollegin Renata. Einfach zu sein war auch niemals ihre Absicht. Oft eckte sie an. Es lag an den vielen Hürden und Hindernissen, die sich ihr in den Weg gestellt hatten, fand sie. Es lag an ihrer Kompromisslosigkeit, fanden andere. Immer Vollgas. Immer geradeaus Richtung Wahrheit. Oder was auch immer sie dafür hielt.

Vielleicht liegt es daran, dass sie als 1964 in Nordrhein-Westfalen geborene Pfarrerstochter ihre Kindheit und Jugend in Oberösterreich, in Niederösterreich und zuletzt in Kärnten verbringen musste. Als Protestantin. Und damit als Teil einer Minderheit. Und als Frau noch dazu. Sie studierte Evangelische Theologie in Wien und im französischen Montpellier und landete bald im ORF. Fernsehen zunächst. Viele Jahre, viele Filme, viele Formate und viele Sendereihen. Sie war Miterfinderin von „kreuz und quer“, kümmerte sich um die „Religionen der Welt“ und moderierte den legendären „Club 2“. Mit Vor- und Rücksichten hielt sich Kollegin Schmidtkunz dabei nie allzu lang auf. Ihr ging es in erster Linie um die Sache. Und erst in zweiter Linie um den ORF.

Insofern war es bloß konsequent, dass Renata Schmitdkunz und Ö1 zueinanderfanden. Viele Freiheiten, weniger Druck. Sie moderierte das Radiokolleg, gestaltete Beiträge und übernahm 2013 schließlich die Sendereihe Im Gespräch. Und sie tat, was sie immer schon getan hatte: Sie polarisierte - mit Erfolg. An die 700 Gespräche hat Renata Schmidtkunz insgesamt geführt. Mit allem, was Rang und Namen hat. Von Ruth Klüger und Herta Müller bis Peter Ustinov, von Angela Davis über Alice Schwarzer bis hin zu Alexander Van der Bellen. Und viele Male entzündete sich an den Gesprächen von Kollegin Schmidtkunz die Frage, ob oder wie sehr man sich als ORF-Redakteurin exponieren kann, darf oder soll. Wie sehr darf man sich als Mitarbeiter oder Mitarbeiterin eines Unternehmens, das per Gesetz zur Unabhängigkeit und Ausgewogenheit verpflichtet ist, verbünden, verbrüdern oder verschwestern. Ist es legitim, einen Pakt mit den Menschenrechten einzugehen, ist es im Sinne des Gesetzgebers, auf der Seite von Minderheiten zu stehen?

In der Kommunikationswissenschaft gibt es den äußerst nützlichen Begriff "false balance", "falsche Ausgewogenheit", der im Grunde ein gut gemeintes journalistisches Verhalten beschreibt, demzufolge allen eine Stimme gegeben werden müsse. Jenen, die den Klimawandel bloß als eine Laune der Natur abtun ebenso wie jenen, die die drohende Klimakatastrophe als menschengemachtes Unheil verstehen. Mister Donald Trump weiß dieses Missverständnis hervorragend zu nutzen. Den aktuellen Nahostkonflikt kann man so sehen - oder anders. Ausgewogenheit und Unabhängigkeit bestünden nun darin, beide Seiten gleichermaßen zu Wort kommen zu lassen. Die einen sagen so, die anderen eben anders. Die einen sind Feministen oder Feministinnen, die anderen eben nicht. Was soll’s, sagen die unabhängigen Medien, wir urteilen nicht. Wir sind bloß die Waage, die Justitia in Händen hält. Wer was in welche Waagschale wirft, ist nicht unser Problem.

Renata Schmidtkunz hat und hatte einen anderen Zugang zu der Frage von Objektivität und Ausgewogenheit. Sie hat sich und ihre Themen in die eine Waagschale geworfen. Durch ihre Einladungspolitik, durch ihre Gäste und durch die Wahl ihrer Themen. Stets belesen, allerbestens vorbereitet, ebenso humorbegabt wie fröhlich. Die andere Waagschale, findet sie, ist ohnehin schon schwer beladen.

Renata Schmidtkunz

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Nun verlässt Renata Schmidtkunz die Bühne, die Radiobühne zumindest. Auf vielen anderen wird sie weiterhin präsent sein - als Moderatorin, Gastgeberin, Gesprächspartnerin und als kritische Stimme ihrer Zeit. In ihrem Elternhaus, erzählte sie einmal, sagte man mit Blick auf die Kinder manchmal: "Aus Pfarrers Kindern und Müllers Vieh wird selten was bis nie."

Was aus Müllers Vieh geworden ist, wissen wir nicht. Was aus der Tochter des evangelischen Pfarrers Schmidtkunz geworden ist, wissen wir sehr wohl. Wir werden ihre Stimme wohl auch weiterhin vernehmen. Bedauerlicherweise nicht mehr in Ö1.