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Matrix

Wie Überwachung gesellschaftsfähig wurde

2013 lösten die Enthüllungen über das US-Programm PRISM, mit dem die NSA direkten Zugriff auf Daten großer Internetkonzerne erhielt, weltweite große Proteste aus. Heute hingegen werden vergleichbare Systeme in Europa rechtlich eingebettet und gesellschaftlich weitgehend hingenommen: Ob Palantirs Analyseplattform Gotham, der AMS-Algorithmus oder FinanzOnline: Systeme, die Daten verknüpfen und auswerten, sind in Europa längst etabliert.

Als Edward Snowden 2013 die geheimen Überwachungsprogramme der US-Dienste enthüllte, war der Aufschrei groß. Prism und XKeyscore machten sichtbar, wie tief Geheimdienste in die digitale Kommunikation eingriffen. In Europa führte das zu parlamentarischen Untersuchungen, zu Urteilen des Europäischen Gerichtshofs gegen Vorratsdatenspeicherung und zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte über die Grenzen staatlicher Macht. Damals war Widerstand sichtbar: Demonstrationen, Online-Kampagnen, offene Briefe an Regierungen.

Snowden-Demonstration 2013 in Berlin

APA-IMAGES/ACTION PRESS/TOBIAS SEELIGER

Überwachung hat sich professionalisiert

Ein Jahrzehnt später ist die Empörung leiser geworden. Was nicht bedeutet, dass es weniger Überwachung gibt, sie hat sich vielmehr professionalisiert. Unternehmen wie Palantir bieten mit ihrer Plattform Gotham Werkzeuge an, die Polizei und Sicherheitsbehörden in mehreren europäischen Staaten einsetzen. Das Analyse- und Visualisierungssystem verknüpft Daten aus unterschiedlichen Quellen, erstellt Netzwerke zwischen Personen, Orten und Ereignissen und hilft Ermittlern, Muster zu erkennen, die in den einzelnen Datenbanken unsichtbar bleiben würden. Prinzipiell könnte die Technik auch noch weit mehr leisten, etwa durch die Einbindung zusätzlicher Datensätze wie Bewegungsprofile oder Finanztransaktionen. Ob und in welchem Umfang das geschieht, hängt weniger von den technischen Möglichkeiten ab als von rechtlichen Rahmenbedingungen und politischer Kontrolle.

Palantir auch in Österreich

Europol nutzte Palantirs Produkt Gotham von 2016 bis 2021 für operative Analysen, bevor die Plattform außer Dienst gestellt wurde. Und auch das österreichische Bundesheer kam mit Palantir in Berührung. Laut Medienberichten wurde die Software im Jagdkommando über einen Zeitraum von rund sechs Monaten testweise erprobt. Eine parlamentarische Anfrage im Mai 2023 griff das Thema auf, das Verteidigungsministerium verwies in seiner Antwort jedoch auf Amtsverschwiegenheit im Interesse der umfassenden Landesverteidigung und bestätigte keine Details. Zahlungen an das Unternehmen sind jedenfalls nicht erfolgt: „Das Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV) hat keine Zahlungen an Palantir Technologies bzw. an Peter Thiel geleistet“, heißt es in einer anderen Beantwortung.

Gesichtserkennung

APA-IMAGES/VISUM/ALEXANDER ROSSBACH

Gesichtserkennung und Überwachung von Messenger-Diensten

Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, KI-gestützte Risikoanalysen oder automatisierte Datenabgleiche sind längst jedenfalls längst Teil des Alltags. Und auch die Überwachung von Messenger-Diensten wie WhatsApp sind seit diesem Jahr gesetzlich verankert. Mit Zustimmung eines Drei-Richter-Senats und unter Kontrolle eines Rechtsschutzbeauftragten kann die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst verschlüsselte Kommunikation auslesen.

Die Argumente sind klar: Sicherheit gilt als hohes Gut, ohne digitale Werkzeuge wäre moderne Kriminalitätsbekämpfung kaum möglich. Datenanalysen sollen Ressourcen sparen, richterliche Kontrolle Missbrauch verhindern. Doch ebenso klar sind die Gegenargumente: Eingriffe in Grundrechte, Fehleranfälligkeit, schleichende Normalisierung. Die entscheidende Frage lautet nicht mehr, ob überwacht wird, sondern wie, unter welchen Regeln, mit welchen Kontrollen und mit welchen Grenzen.

Überwachung ist Teil der Realität

Von Prism zu Gotham spannt sich ein Bogen, der zeigt, wie sich das Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit verschoben hat. Überwachung ist Teil der europäischen Realität geworden. Ob sie gesellschaftsfähig bleibt, hängt davon ab, wie ernst Politik, Gerichte und Öffentlichkeit den Schutz der Grundrechte nehmen und ob die Fragen, die Snowden einst aufgeworfen hat, weiterhin gestellt werden.

Gestaltung

  • Sarah Kriesche