Diagonal - Radio für Zeitgenossen
Stadtportrait Warschau - Eine vielfach verwundete Stadt, in der immer wieder
Wunder geschehen.
Gestaltung: Wolfgang Kos, Peter Lachnit und Martin Pollack
31. August 2002, 17:05
Es gibt keine zweite Hauptstadt in Europa, die wie Warschau völlig zerstört und wieder rekonstruiert wurde. "Warschau soll dem Boden gleichgemacht werden": So lautete 1944 Hitlers Befehl nach zwei grausam niedergeschlagenen Aufständen. Fünfzig Prozent der Bevölkerung (800.000 Menschen, darunter 500.000 Juden) waren während NS-Besatzung und Krieg gewaltsam ums Leben gekommen. Auch wenn die Altstadt mit beispielloser denkmalschützerischer Akribie als Replik neu entstand, so blieb das neue Warschau ("Phönix aus der Asche") von Verwerfungen und Diskontinuitäten geprägt.
Hunderttausende wurden in der KP-Ära aus bäuerlichen Gegenden umgesiedelt, Bewohner mit weit zurückreichenden urbanen Wurzeln sind im heutigen Warschau die Ausnahme. Manchmal wurde der soziale Mix Warschaus mit den Reisenden in einer Bahnhofshalle verglichen.
Die urbane Textur wurde nach 1945 in monotone Formlosigkeit gedehnt, mit weiten Brachen als offenen Wunden und dem monströsen "Kulturpalast" der Stalin-Zeit als bis heute ungeliebtem Wahrzeichen.
Die steigende Bedeutung von Symbolen polnischer Nostalgie - Adels-und Wappenverzeichnisse erreichen enorme Auflagen - sind die andere Seite der beispiellosen Beschleunigung und Kommerzialisierung, die der Warschauer Alltag seit 1989 erlebt hat. Das neue Warschau hat viele Gesichter: amerikanisierte McCity mit Business-Skyline, informeller Handel im zum Basar umfunktionierten öffentlichen Raum, verunsicherte Menschen, die einander wilde Geschichten von kleinen Dieben und großen Mafiabossen erzählen.
(Wiederholung vom 24.11.2001)
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(Wiederholung vom 24.11.2001)