Radiokolleg - Drama der zerbröckelnden Subjekte

Ödön von Horváths Universum der Uneigentlichkeit.
Zum 70. Todestag des Dichters (1). Von Gerhard Moser und Robert Weichinger

Am 1. Juni 1938 tobt ein Gewitter über Paris. Gegen halb acht Uhr abends geht ein Mann über die Champs-Élysées. Just in dem Moment wird ein alter Kastanienbaum vom Blitz getroffen. Ein Ast bricht ab und trifft den Mann am Hinterkopf. Man bringt ihn in die Klinik Paul Marmotton in der nahen Rue d'Armaille. Er ist aber schon tot.

Zwei Tage später schreibt Joseph Roth in einem Nachruf in der "Pariser Tageszeitung": "Ödön von Horváth, einer der besten österreichischen Schriftsteller, deutschsprachiger Ungar von Geburt, ist vorgestern in Paris das Opfer eines jener Unfälle geworden, die wir als 'sinnlos' zu bezeichnen pflegen, weil uns das Unerklärliche sinnlos erscheint."

Horváths früher Tod - der Dichter war erst 37 Jahre alt, als er starb - markiert den Beginn seiner bis heute andauernden Renaissance, die Umstände, unter denen er ums Leben kam, waren seiner Unsterblichkeit "förderlich".

Doch nicht alles ist Mythos. Darüber hinaus gibt es auch ganz handfeste, um nicht zu sagen profane Gründe, warum Ödön von Horváth nach wie vor zu den wichtigsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts zählt: Stücke wie Prosa zeichnen diese "aufgeladene" Atmosphäre aus, es liegt etwas Ungeheuerliches in der Luft. Dazu kommt die epigrammatische Schärfe, die durch die lyrische Eigenart des Dialogs gemildert wird.

Horváth ist ein moderner Autor, weil seine Begabung, die Labilität von Figuren in ihrer Brüchigkeit vorzuführen, aktuell geblieben ist.

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