Gedanken für den Tag

"Maria - der exemplarische Mensch" von Rainer Bucher

Von jeher wurde Maria, die Mutter des Jesus von Nazareth, in enge Beziehung gebracht zur Zeit sprießender Pflanzen, beginnender Fruchtbarkeit in der Natur und wachsender Lebensfreude. Deshalb wird Maria traditionell als "Maienkönigin" gefeiert.

Der Grazer Pastoraltheologe Rainer Bucher freilich stellt sie in der Woche von 17. bis 22. Mai als anti-patriarchale Figur schlechthin vor. Maria steht für eine Menschheit, die gegen zerstörerische Zustände und Handlungen kämpft. Sie zeigt, so Bucher, was passiert, wenn sich ein Mensch auf Gott einlässt: Er wird stark. Aus einem kleinen jüdischen Mädchen wird die Mutter Gottes, aus einer ohnmächtigen Frau wird eine, die Mächtige vom Thron stößt.

Maria steht für Jesu Botschaft. Sie ist darin eine Liebhaberin des Heiligen Geistes. Genau das sagt der Jungfrauentitel für Maria. Dieser Titel ist umstritten und missverständlich. Er hat einen biologischen Sinn und eine theologische Bedeutung. Man darf beide nicht trennen, aber auch nicht identifizieren. Der Jungfrauentitel hebt in beiden Aspekten die Unabhängigkeit der Frau von den Männern hervor, unterstreicht die Herkunft Jesu von einer Frau und ersetzt den Mann, nicht aber die Frau durch den Heiligen Geist. Er begründet nicht das Patriarchat, sondern markiert seine religiöse Verwerflichkeit.

Der Jungfrauentitel hat auch eine politische Konnotierung. Er war etwa in Ägypten ein Königsattribut. Gleichzeitig deutet er auf das Gegenteil: Die Armut. Denn in patriarchalen Verhältnissen bedeutete Nichtverheiratung Ausgrenzung und Not. Maria ist als Frau die arme Königin des Volkes Gottes. Man braucht die biologische Konnotation des Jungfrauentitels nicht zu streichen oder zu ironisieren. Denn sie charakterisiert Maria als eigenständige Frau.

Diese Lehre, wie alle Lehren über Maria, besitzt eine tiefe humane Bedeutung, wie ich bei Elmar Klinger gelernt habe. Dann steht Maria für die Umwertung der Werte von stark und schwach, reich und arm im Magnifikat, für die ursprüngliche Reinheit aller Menschen vor aller Schuld im Dogma von der Unbefleckten Empfängnis und für die Vorwegnahme erfüllter Hoffnung von Mensch und Welt in der Sehnsucht nach einem Himmel.

In ihrer Jungfräulichkeit aber steht sie für eine Menschheit, die an Christus glauben kann. Aus einem kleinen jüdischen Mädchen wird in der Begegnung mit Gott eine starke Frau. So stark, dass die Bibel sagt: Maria blieb Jungfrau. Denn das heißt: Autonom, nicht unterworfen dem Willen des Mannes. Die katholische Kirche ist eben erst dabei zu begreifen, was Maria für sie bedeutet.

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