Da capo: Im Gespräch

"Der Mensch ist nicht nur an der Maximierung des materiellen Eigennutzens interessiert". Michael Kerbler spricht mit Ernst Fehr, Neuroökonom

Wirtschaftliche Vorgänge bestimmen die Geschichte von Individuen, Familien und ganzen Nationen. Die Untersuchung ihrer psychologischen und soziologischen Grundlagen ist in den zurückliegenden Jahren zum Gegenstand zahlreicher Forschungsprojekte geworden. Dabei stellt sich heraus: Der Homo oeconomicus, der bisher als obsessiver Maximierer des Eigennutzes gesehen wurde, erhält menschliche Züge. Ein prominenter Forscher in dem Bereich der "behavioural economics" ist der österreichische Wirtschaftswissenschafter Ernst Fehr.

Fehr, er lehrt seit Jahren an der ETH Zürich, spricht von der "psychologischen Wende" in der Ökonomie. Wie der Astronom Kopernikus vor einem halben Jahrtausend das heliozentrische Weltbild an die Stelle des geozentrischen setzte, so entwerfen Fehr und seine Mitarbeiterinnen heute ein neues ökonomisches Menschenbild. "Der Mensch als Wirtschaftssubjekt ist eben nicht nur rational, und er ist nicht nur an der Maximierung des materiellen Eigennutzens interessiert", stellt Fehr nachdrücklich fest. Den neuen Homo oeconomicus zeichnen Eigenschaften wie Fairness, Vertrauen, Solidarität und mitunter auch Altruismus aus.

In den vergangenen Jahren hat sich Fehr verstärkt der Neuroökonomie zugewandt. Als Neuroökonomie wird die interdisziplinäre Verknüpfung von Neurologie, Psychologie und Ökonomie verstanden. Ziel ist es, herauszufinden, wie Menschen als Konsumenten oder Investoren bestimmte wirtschaftliche Entscheidungen fällen.

Um herauszufinden, wie Entscheidungsprozesse tatsächlich im Gehirn ablaufen, nutzen die Forscher auch die Kernspintomographie. Testpersonen werden während der Untersuchung mit Konsum- und Investitionsentscheidungen konfrontiert. Neurowissenschafter können also jene Areale des Gehirns lokalisieren, die bei Entscheidungsabläufen einen erhöhten Stoffwechsel aufweisen. Damit wird es möglich, die aktiven Gehirnbereiche teilweise emotionalem oder kognitivem sowie kontrolliertem oder automatisiertem Verhalten zuzuordnen. Der Blick ins Gehirn zeigt, dass menschliches Handeln offensichtlich zu einem großen Teil von Empfindungen wie Angst oder Vertrauen geleitet wird.

Von Österreich verabschiedete sich der gebürtige Vorarlberger Ernst Fehr vor mehr als 15 Jahren und schuf ein renommiertes Zentrum für Verhaltensökonomie an der Universität Zürich, wo er das Institut für Empirische Wirtschaftsforschung leitet. Fehr, er ist prominenter Vertreter der "psychologischen Wende" in den Wirtschaftswissenschaften, wurde in der Vergangenheit immer wieder als "nobelpreisverdächtig" gehandelt. Michael Kerbler spricht mit Ernst Fehr darüber, wie die Erkenntnisse in der Neuroökonomie die Welt verändern.

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Buch-Tipps
Ernst Fehr und Gerhard Schwarz, "Psychologische Grundlagen der Ökonomie", Verlag NZZ Libro der Neuen Zürcher Zeitung, Zürich (ISBN: ISBN-10: 3038230278 bzw. ISBN-13: 978-3038230274)

Joachim Bauer, "Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus", Hoffmann und Campe, Hamburg (ISBN: 9783455500851)

Jason Zweig, "Gier - wie wir ticken, wenn es ums Geld geht", Carl Hanser Verlag, München (ISBN: 9783446412231)

Detlef Linke, "Das Gehirn", Reihe "Wissen" des C. H. Beck Verlages, München (ISBN: 340644721-X)

Frank Ochmann, "Die gefühlte Moral. Warum wir Gut und Böse unterscheiden können", Ullstein, Berlin (ISBN-10: 3550086989 bzw. ISBN-13: 978-3550086984)

Paul Glimcher, Colin Camerer, Russell Alan Poldrack und Ernst Fehr, "Neuroeconomics: Decision Making and the Brain", in englischer Sprache, Academic Press, Oxford, England (ISBN-10: 0123741769 bzw. ISBN-13: 978-0123741769)

Max Weber, "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus", Beck'sche Reihe des C. H. Beck-Verlages, München (ISBN 3406511333)

Frans de Waal, "Primaten und Philosophen. Wie die Evolution die Moral hervorbrachte", Carl Hanser Verlag, München (ISBN-10: 3446230831 bzw. ISBN-13: 978-3446230835)

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