Gedanken für den Tag

"Migration und Religion" von Michael Bünker, evangelisch-lutherischer Bischof

"Geh aus deinem Vaterland und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will" (1 Mose 12, 1).

Wenn Menschen ihre Heimat verlassen haben, welche Bedeutung hat dann Religion für sie in der neuen Heimat? Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker spricht in den "Gedanken für den Tag" über den Glauben, der mitgeht und trägt, auch und gerade wenn sich Menschen mit den Herausforderungen und Veränderungen, die der Aufbruch in eine neue Heimat mit sich bringt, konfrontiert sehen.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Für Evangelische ist der Zusammenhang von Migration und Religion tief im kollektiven Gedächtnis verankert. Spätestens seit der Landesherr Ferdinand II. gemeint hat, er wolle lieber über eine Wüste herrschen, als Ketzer in seinem Land zu dulden, war das Schicksal der Evangelischen von Ausweisung, Zwangsemigration und Deportation geprägt. Transmigration wurde das beschönigend genannt. 1734 wurde die erste durchgeführt, eine ganze Reihe folgte bis zum Jahr 1781, in dem Kaiser Josef II. das Toleranzpatent erließ. Ganze Familien wurden deportiert, oft - besonders grausam - mussten die Abgeschobenen ihre Kinder zurücklassen. Einige zehntausend Personen sind so wegen ihres Glaubens zu Migrantinnen und Migranten geworden. Das Fußfassen in der neuen Heimat war nicht leicht und ist auch nicht immer gut gegangen. Viele wurden bleibend entwurzelt, konnten weder hier noch da daheim sein.

Freilich war dieses Schicksal nicht auf die Evangelischen beschränkt. Besonders Jüdinnen und Juden waren hierzulande immer wieder von der Ausweisung, der Vertreibung bedroht, meistens unter Lebensgefahr.

Liegt das dem Österreicher im Blut? Andere im Land verbreitete Religionen und Glaubensüberzeugungen nur solange auszuhalten, solange sie unsichtbar bleiben? Und wenn es sichtbar wird, dass eine andere Religion öffentlich gelebt wird, entweder nach Anpassung und Aufgabe der eigenen Identität zu rufen oder das Auswandern zu raten? Von dort zur Abschiebung ist es nicht weit. Manche Wahlplakate erwecken den Eindruck, als wäre die Fremdenfeindlichkeit den Menschen in unserem Land in Fleisch und Blut übergegangen. Ich bin sicher, dass das nicht stimmt. An der Hilfsbereitschaft und Aufnahmewilligkeit der österreichischen Bevölkerung Fremden gegenüber und an ihrer Toleranz gegenüber weniger bekannten Religionen soll und darf nicht gezweifelt werden. Aber die Last der Geschichte macht es notwendig, wachsam zu sein, den Anfängen zu wehren und für das Recht auf Religionsfreiheit für alle einzutreten. In gewisser Weise ist das auch ein evangelisches Erbe.

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