Da capo: Im Gespräch

Wo befindet sich der Sitz des "Ich"? Michael Kerbler spricht mit Georg Northoff, Neurowissenschafter und Philosoph

Die Zahl der erfolgreich verlaufenen Organtransplantationen in Österreich ist auch im Vorjahr wieder gestiegen. Es konnten mehr Nieren-, Leber- und Herztransplantationen durchgeführt werden als im Jahr 2008. Dennoch: Es warten derzeit mehr als 1.100 Patienten auf ein Spenderorgan.

Jene, für die ein passendes Spenderorgan gefunden werden konnte, müssen großes Augenmerk darauf legen, die Risiken einer Abstoßreaktion des fremden Gewebes so gering wie möglich zu halten. Aber auch die "psychische Einverleibung" des Organs kann sich schwierig gestalten, denn - so berichten Psychotherapeuten an Transplantationszentren - "durch eine Transplantation wird die Grenze zwischen Eigenem und Fremdem aufgelöst. Dadurch ist die Identität bedroht."

Der Psychiater und Philosoph Georg Northoff interviewte vor einigen Jahren Parkinson-Patienten, denen Stammzellen von Föten ins Gehirn eingeschleust worden waren. Diese Patienten, so Northoff, wollten einen persönlichen Zugang zu ihrem Implantat aufbauen: "Ein deutscher Patient, dem Zellen eines Schweden eingepflanzt wurden, meinte zu mir: 'Jetzt werde ich bestimmt bald Schwedisch sprechen.'"

Diese Haltung deckt sich mit der Erfahrung des Kardiologen und Psychologen Paul Pearsall von der Universität Hawaii, wonach einige Transplantierte an ein "Zell-Gedächtnis" glauben. Sie vermuten, dass durch die Transplantation psychische Eigenschaften des Spenders auf sie übergehen. Womit die Frage nach dem "Ich", genauer dem Sitz des "Ich", gestellt ist. Gibt es ein "Ich", ein Selbst? Ist es das "Ich", das uns erst beseelt?

Der Neurowissenschafter und Philosoph Georg Northoff geht diesen Fragen in seinem jüngsten Buch nach. Er bettet die Diskussion um das "Ich" und den "freien Willen" in eine kriminalistische Handlung ein: Er schreibt das "Ich" zur Fahndung aus und schickt seine zwei Ermittler, einen Hirnforscher und einen Philosophen, los, um den Fall zu lösen. Dabei steht der Tatort fest: das menschliche Gehirn.

Dies führt zu weiteren Fragen, nämlich, ob man den religiösen Glauben in Zusammenhang mit bestimmten Aktivitäten im Gehirn bringen kann oder wie unser Selbst im Kontext von Emotionen zu sehen ist. Seit 2009 hat Georg Northoff einen eigens für ihn geschaffenen Lehrstuhl für Geist, Gehirn und Neuroethik an der Universität in Ottawa, Kanada, inne. Sein Ziel ist es, die Neurophilosophie diesseits von Philosophie und Hirnforschung als eigenständige Disziplin zu etablieren.

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