Gedanken für den Tag
"Was die Welt im Innersten zusammenhält" - Gedanken zum Welternährungstag von Michael Chalupka
14. Oktober 2010, 06:57
Michael Chalupka ist evangelischer Pfarrer und Direktor der Diakonie Österreich.
Eine Milliarde Menschen hungern. Ihnen fehlen Kohlehydrate, Eiweiße und Fette, die der menschliche Körper zum Überleben braucht. Doch es geht beim Nachdenken über Welternährung um weit mehr als um die ausreichende Zufuhr von Nährstoffen. Es geht um die Frage, was in unsere Kochtöpfe, auf unsere Teller und in unsere Mägen kommt. Es geht um die Herstellung und Verteilung von Lebensmitteln. Es geht um Ess-Gemeinschaft und Gastfreundschaft. Es geht um Sozial- und Biomärkte, um Suppenküchen und Gourmettempel.
Und in all dem geht es zentral um Selbstbestimmung hinsichtlich des eigenen Körpers. Den einen wird sie verweigert, für Konsumenten und Konsumentinnen wird sie immer schwieriger - und andere wiederum zelebrieren sie fast schon religiös. Essen ist ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen.
Das Huhn im Topf
Die Sommer meiner Kindheit haben nach Nüssen, Schokolade und Hühnerfüßen geschmeckt und nach Mais und Schweinen gerochen. Im Maiskobel über dem Hof war mein Lieblingsplatz. Über mir das schilfgedeckte Dach, neben mir die Maiskolben, unter mir die schwarzen Schweine der Backa in der Vojvodina - und im Ohr die Stimme der steinalten Tante, die mich zur Nachmittagsjause rief: "Moi Mishko, Moi Mishko, Golatscha". Die Kuchen und Kekse haben nach Honig und Walnuss geschmeckt. Die Sommer meiner Kindheit waren ein einziges kulinarisches Abenteuer. Das, was wir essen und riechen, prägt sich unauslöschlich ein, wird Teil unserer Welt.
Teil dieser Welt war auch ein Huhn, dem unser Aufenthalt bei den Verwandten im ehemaligen Jugoslawien das Leben kostete. Wer dabei sein wollte, musste früh aufstehen. Noch in Pantoffeln fing sich Tante Juliane eine der wenigen mageren Hennen und machte ihr den Garaus. Noch vor sieben Uhr war das Huhn im Topf, mitsamt Klauen und Hals - und, wenn das Huhn ein Hahn war, auch mit dem Kamm. Dann brodelte der Topf mit dem Hühnergulasch bis um die Mittagszeit vor sich hin. Und es war köstlich! Auf diese Art, das hat mir der viel zu früh verstorbene Gourmetpapst Christoph Wagner versichert, wird es nur in der Backa und im Banat zubereitet, das Hühnergulasch.
Während der Topf vor sich hin simmerte, stellte sich die Tante beim Bäcker um Brot an. Es war die Zeit des real existierenden Sozialismus, und meine Tante war das Anstellen gewohnt. Es war nicht sicher, dass es Brot gab. Gab es keins, halfen die Nachbarn aus. Denn meine Tante hatte Gäste. Die Gäste sollten vom Mangel und der Armut nichts merken. Drum wurde auch ein Huhn geschlachtet. Es gingen viele Sommer ins Land bis ich bemerkt habe, dass das Huhn, das während unseres Besuchs sein Leben lassen musste, das einzige Huhn war, das geschlachtet wurde. Gästen etwas Besonderes vorsetzen zu können, ist der Gastgeberin Stolz und Würde. Denn Gäste sind ein Geschenk. Mit ihnen wird geteilt, was man hat. Mehr noch, es wird auch das geteilt, was man nicht hat.
Service
Wenn Sie diese Sendereihe kostenfrei als Podcast abonnieren möchten, kopieren Sie diesen Link (XML) in Ihren Podcatcher. Für iTunes verwenden Sie bitte diesen Link (iTunes).