Gedanken für den Tag
"Thomas Bernhards Frömmigkeit" - Zum 80. Geburtstag des österreichischen Schriftstellers. Von Susanne Gillmayr-Bucher
12. Februar 2011, 06:57
Susanne Gillmayr-Bucher ist Professorin für alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz.
Die lyrischen Anfänge des literarischen Werks von Thomas Bernhard entfalten eine leidenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Leben. Dabei stehen sich die Sehnsucht nach einer heilen Welt, wie sie in der Tradition und Religion erfahrbar werden kann, und die radikale Kritik von Gesellschaft und Kirche scheinbar unversöhnlich gegenüber. Zwischen Faszination und Ablehnung, zwischen großen Hoffnungen und enttäuschten Erwartungen entfalten die Gedichte Bernhards ein zorniges Ringen auf der Suche nach Sinnpotenzialen des Lebens. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.
Meine Qual ist ausgetrunken
Die dunklen Seiten des Lebens sind in der Lyrik Thomas Bernhards stets gegenwärtig. In zahlreichen Anläufen setzen sich die Gedichte mit den leidvollen Aspekten des Lebens auseinander und versuchen, diesen zu begegnen. Die Hoffnung richtet sich nicht darauf, aus dem Leid gerettet oder vor ihm bewahrt zu werden, sondern darauf, es hinter sich lassen zu können. Programmatisch kommt dies im ersten Gedicht des Gedichtbands "Auf der Erde und in der Hölle" zum Ausdruck.
Warum muss ich die Hölle sehen? Gibt es keinen anderen Weg zu Gott?
Eine Stimme: Es gibt keinen anderen Weg! Und dieser Weg ... er führt durch die Hölle
Bernhards Gedichte kreisen immer wieder um die Erfahrung, dass es keinen Weg vorbei an Anfeindungen, Zweifeln, Versagen und Schwäche gibt und sie nehmen diese Erfahrung ernst. Emphatisch sprechen sie von den Konfrontationen und zeigen einen Weg, den das Ich dieses Gedichts im Angesicht des eigenen Scheiterns geht. Letztlich fordert gerade die Verwirklichung des Lebens diesen Weg, selbst wenn er durch die Hölle führt. Doch die Hölle ist nicht das Ziel der Gedichte. Das lyrische Ich geht in der Erwartung voran, dass die Qual begrenzt ist, dass sie durchschritten werden kann.
So heißt es beispielsweise im letzten der neun Psalmgedichte:
Ich fürchte mich nicht mehr.
Ich fürchte nicht mehr,
was kommen wird.
Mein Hunger ist ausgelöscht,
meine Qual ist ausgetrunken
Jenseits der Qual bleibt die Hoffnung, dass etwas Neues möglich wird. Der Blick öffnet sich für das Schöne, das sich erstmals ohne eine schreckliche Kehrseite zeigt. Mit solch einem hoffnungsvollen Blick kann aus der bitteren Klage bewunderndes Staunen werden:
Ich werde sagen,
wie herrlich die Erde ist, wenn ich ankomme,
wie herrlich die Erde ist ...
Ohne mich fürchten zu müssen...
Service
Buch, Volker Bohn (Hg.), Thomas Bernhard. Gesammelte Gedichte, Suhrkamp Verlag
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Sendereihe
Playlist
Titel: Ansage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min
Titel: Absage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min