Radiokolleg - Der letzte Satz

Von der Kunst, einen Roman zu beenden (1). Gestaltung: Armin Stadler

"Ich bin nicht Stiller!" Obwohl nicht alle ersten Romansätze so berühmt sind wie jener in Max Frischs Roman "Stiller", hat man als Leser einige doch irgendwie im Gedächtnis behalten. Anders verhält es sich mit jenen Sätzen, die einen Roman beschließen. Ganz ehrlich, kennen Sie den letzten Satz in Frischs Roman? Den letzten Satz irgendeines Romans?

Über die Angst vor dem weißen Blatt Papier oder die Kunst des Beginnens ist in der Literaturgeschichte so häufig geklagt und so viel geschrieben worden, dass man den falschen Eindruck haben könnte, das Romanende sei eine völlig unproblematische Angelegenheit. Doch der letzte Satz kann eine Geschichte abwürgen, wenn er zu früh kommt. Ist das häufigere Gegenteil der Fall, macht der Leser selbst ein vorzeitiges Ende. Fühlt er sich in der Lektüre vollkommen aufgehoben, soll der letzte Satz am besten niemals kommen.

Aber ein Satz muss immer der letzte sein in einem Roman. Bloß welcher? Woran erkennen ihn Autor/innen und Schriftsteller/innen? Wenn die Geschichte, sofern überhaupt eine erzählt wurde, zu Ende ist, lautet die voreilige wie banale Antwort. Wenn sich keine weiteren Sätze mehr aufdrängen. Doch ganz so einfach ist das nicht mit dem literarischen Schlussmachen. Nie ist alles gesagt und immer gäbe es noch etwas zu erzählen. So erweist sich das Schreiben von Finalsätzen als ebenso prekär wie die Formulierung des Romanauftakts. In eine Geschichte hineinzufinden, ist das eine Problem, wieder aus ihr herauszukommen, das andere - vielleicht größere. So verwundert es kaum, dass viele letzte Sätze über den Romanschluss hinaus verweisen. Sie beschließen dann nur Texte, aber die Geschichten bleiben offen und die Erzählungen laufen weiter.

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