Gedanken für den Tag

von Manuel Rubey. "Mein Papa kann in der Arbeit schlafen" - Geschichten vom Vater-Sein

Manuel Rubey ist Schauspieler.

Plötzlich ist alles anders: Sorgen, die man vorher nicht hatte. Glücksgefühle, die man vorher nicht kannte. Vater zu werden verändert das Leben, rückt vieles in ein neues Licht. Kinder zu haben, macht es ziemlich unmöglich, sich mit der Welt abzufinden, wie sie eben ist, weil plötzlich nicht nur die eigene Zukunft auf dem Spiel steht. Kinder drücken auch dem Alltag ihren Stempel auf, weil sich das wahre Leben auf einmal zwischen Kindergarten, Spielplatz und Gute-Nacht-Geschichte abspielt - auch wenn Papa ein erfolgreicher Schauspieler ist. Und zur Not kann er ja (während der Drehpause) "in der Arbeit schlafen", wie Manuel Rubeys ältere Tochter einmal im Kindergarten erklärte. Gedanken für den Tag in der Woche vor dem 12. Juni, dem sogenannten Vater-Tag.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

"Unser Lebensgefühl heißt Unsicherheit", lese ich in einer deutschen Wochenzeitung. Der Psychologe Wolfgang Schmidbauer sagt das. Ich sitze in einem Flugzeug nach Prag. Stimmt. Wie gut kenne ich diesen Schatten, der über allem liegt, die ständige Angst vor einer Katastrophe, diese Panik, weil wir nicht gelernt haben, zu vertrauen. Das Flugzeug poltert und ich habe Angst. Was ist, wenn ich nicht wieder heimkomme? Was ist dann mit meiner Familie? Ich denke an die Geburt unserer zweiten Tochter Luise. Das liegt jetzt sechs Monate zurück. Sie kam deutlich zu früh, und ich habe jede Sekunde dieser Nacht präsent wie einen Film, den ich mir gerade ansehe.

Dass ich unserer großen Tochter versprochen hatte auf jeden Fall da zu sein, wenn sie aufwachen wird. Dass die Mama nur zur Kontrolle ins Spital fährt. Dass ich dieses Versprechen gebrochen habe, weil ihre Mutter eben nicht nur zur Kontrolle fuhr, sondern die Ärzte in einem plötzlichen Kampf gegen die Zeit einen Kaiserschnitt machen mussten. Dass ich durch die kafkaesken Gänge des Wiener AKH renne und nicht weiß, wo ich hin soll. Dass ich endlich einen Mann treffe und ihn anschreie: "Wie komme ich in die 9. Etage?" Dass mir dieser, ohne sich auch nur irgendwie aus der Ruhe bringen zu lassen, antwortet: "Mit'm Lift, üblicherweise." Dass ich plötzlich zu beten anfange. Dass ich diesem Gott, dieser höheren Macht, an die ich eigentlich nicht glaube, plötzlich verspreche, wenn das nur gut geht, wenn Luise nur leben wird, dann werde ich vertrauen lernen. Dann werde ich glauben, dass das alles einen Sinn hat. Dann, ja dann.

Das Flugzeug hat aufgehört zu wackeln. Ich bin irgendwie so ergriffen, dass ich mich schützen muss, dass ich jetzt alles ausblenden muss, was um mich passiert. Ich setze Kopfhörer auf und schalte auf "zufällig abspielen". Win Butler, Mastermind der kanadischen Band Arcade Fire singt über seine Sehnsucht danach, eine Tochter zu haben, um ihr noch etwas von der Schönheit dieser Welt zeigen zu können: "So can You understand how I want a daughter while I am still young? I want to hold her hand and show her some beauty, before all this damage is done. But if it's too much to ask, than send me a son."

(Luise geht es übrigens sehr gut. An meinem Vertrauen arbeite ich weiter.)

Service

Manuel Rubey

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Sendereihe

Playlist

Titel: Ansage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min

Titel: GFT 110608 Gedanken für den Tag / Manuel Rubey
Länge: 03:45 min

Titel: Absage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min

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