Hörbilder

"Scheu wie eine Fledermaus". Karl Kraus als Vorleser. Zum 75. Todestag am 12. Juni. Von Barbara Denscher und Stefan Weber

Genau 700 Mal trat der Schriftsteller und "Fackel"-Herausgeber Karl Kraus zwischen 1892 und 1936 öffentlich als Vorleser auf. Bei diesen bis ins kleineste Detail durchgeplanten Veranstaltungen, deren Einnahmen stets wohltätigen Zwecken zugutekamen, las Kraus sowohl Eigenes wie auch Texte anderer Autoren und - bevorzugt - die Libretti von Offenbach-Operetten. Die Resonanz auf die Vorlesungen war immens und von einer starken Polarisierung gekennzeichnet: Einer begeisterten Fangemeinde, die Kraus über Jahrzehnte treu blieb, standen teils überaus aggressive Kritiker gegenüber, die wiederholt die Absage von Vorlesungen erzwangen.

Die Wirkung des Vorlesers Kraus ist durch einige Tondokumente und durch zahlreiche zeitgenössische Berichte erschließbar - so z. B. durch jenen der Schriftstellerin Karin Michaelis, die 1911 schrieb: "Der Saal ist bis zum letzten Platze voll. Alle Lichter sind verlöscht. Nur da oben auf dem grün bekleideten Tisch leuchten zwei vereinzelte Kerzen. Nun kommt Karl Kraus. Scheu wie eine Fledermaus eilt er an den Tisch, verschanzt sich bang hinter ihm, kreuzt die Beine. Seine nervösen Hände fahren über die mitgebrachten Arbeiten. Er fängt an: hart, nachdrücklich, energisch, bezwingend, durch Überzeugung bezwingend. Hätte er chinesisch oder persisch gesprochen, man wäre mit der gleichen Spannung gefolgt."

Sendereihe

Gestaltung

  • Stefan Weber

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