Gedanken für den Tag

Von Stephan Schulmeister. "Geld, Krise und Gemeinschaft". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Genau zehn Jahre nach der Einführung des Euro als alleiniges Zahlungsmittel in vielen Ländern Europas macht sich der Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister Gedanken über den Widerspruch zwischen den Grundwerten der Bürgerinnen und Bürger in der EU sowie ihren Erwartungen an die Politik und der politischen Praxis andererseits.

Mit der großen Krise vertiefte sich der Widerspruch zwischen den Grundwerten der Bürger und Bürgerinnen in Europa und der neoliberalen Ausrichtung der Politik.

Diese reagierte auf die Krise mit Banken- und Konjunkturpaketen. Damit bekämpfte sie die Symptome der Krise, nicht ihre systemischen Ursachen. Dass die freiesten Märkte manisch-depressive Schwankungen der für die Unternehmer wichtigsten Preise verursachen - Wechselkurse, Rohstoffpreise, Aktienkurse, Zinssätze - kann ja mit einer marktreligiösen Weltanschauung nicht wahr genommen werden.

Die Rettungsmaßnahmen erhöhten die Staatschulden dramatisch, gleichzeitig setzte die Finanzalchemie wieder voll ein, erweitert um ein neues Spiel: die Spekulation gegen Eurostaaten. Zunächst konzentrierte sich die Spekulation auf Griechenland, die Zinsen stiegen auf 12 Prozent, der Rettungsschirm musste her. Danach breitete sich die Zinsepidemie auf Irland, Portugal, Spanien und Italien aus.

Darauf reagierte die Politik nicht etwa mit einer Einschränkung des Spielraums der Finanzakrobaten, sondern versuchte, deren Wohlwollen zu erwirken, und zwar durch Schuldenbremsen. Nicht die demokratisch legitimierte Politik ist oberste Instanz, sondern die "unsichtbare Hand des Markts" und ihre irdischen Stellvertreter, die Ratingagenturen.

Die Ankündigung von Schuldenbremsen, also eines "more of the same", dämpft die Nachfragebereitschaft der Unternehmen und Haushalte weiter, erstmals seit Beginn der Weltwirtschaftskrise kündigt die Politik auf dem Weg in eine Rezession an: Wir werden nichts dagegen tun. Dies wird die Krise vertiefen.

Was es jetzt braucht, ist konkretes und anteilnehmendes Denken. Statt wie in Griechenland Löhne, Pensionen und Arbeitslosengelder zu kürzen, sollten offensive Konzepte zur Verbesserung der Umwelt, des Bildungswesens und der Entfaltungschancen der Jungen entwickelt werden. Dies würde das Wirtschaftswachstum nachhaltig erhöhen.

Wenn Vermögende zu diesem Zweck mehr Beiträge an unseren Verein, den Sozialstaat, leisten, würden sie sich selbst nützen. In einer Depression werden sie nämlich viel mehr verlieren. Solidarität ist eben auch für Reiche ein Eigennutz höherer Ordnung.

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Titel: GFT 120208 Gedanken für den Tag / Stephan Schulmeister
Länge: 03:50 min

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